Dass ein Papst seinen verstorbenen Vorgänger quasi "subito", also sofort, heilig spricht, ist in den vergangenen Jahrzehnten fast zu einer Art guten vatikanischen Sitte geworden. Bei Papst Johannes Paul II., Benedikts Vorgänger, dauerte es gerade mal neun Jahre. Das Verfahren begann bereits 87 Tage nach seinem Tod - eine Rekordzeit: Normalerweise müssen dafür mehrere Jahre seit dem Ableben des künftigen Heiligen oder Seligen vergehen.
Rufe nach sofortiger Heiligsprechung bei Trauerfeier von Benedikt XVI.
Auch bei der Trauerfeier für den ehemaligen Papst Benedikt XVI. waren vereinzelt die Rufe nach seiner sofortigen Heiligsprechung auf dem Petersplatz zu hören. "Ich saß nicht auf der Piazza, sondern neben dem Altar und da hörte man die Rufe", sagt Stefan Mückl, Kirchenrechtler an der Opus-Dei-Universität Santa Croce in Rom.
Für den aus Deutschland stammenden Theologen steht fest: "Ich habe an seiner persönlichen Heiligkeit keinen Zweifel." Mückl genoss das Vertrauen des verstorbenen Papstes auch nach dessen Rücktritt: Benedikt XVI. bat ihn unter anderen, die juristische Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten für ihn zu verfassen. Dieses attestierte Joseph Ratzinger einen fehlerhaften Umgang in vier Fällen sexuellen Missbrauchs in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising.
Theologe: Missbrauchsskandal kein Hindernis für Heiligsprechung
Ein Hindernis für ein "Santo subito"? Nicht unbedingt, sagt der Münchner Liturgiewissenschaftler Winfried Haunerland. Wenn jemand heiliggesprochen werde, sei die Kirche der tiefen Überzeugung, dass dieser Mensch insgesamt vor Gott so gelebt habe, "dass er bei Gott Wohlgefallen gefunden hat" und somit zu Recht von der Kirche auch als Vorbild im Glauben angesehen werden könne. "Das bedeutet nicht, dass alles, was dieser Mensch getan hat, in allem vorbildlich gewesen sein muss, in allem fehlerfrei."
Insofern stünde etwa auch ein Schuldigwerden im Missbrauchskomplex nicht per se gegen die Heiligsprechung des verstorbenen Papstes aus Deutschland. Haunerland hält es allerdings nicht für gut, wenn Päpste ihre Vorgänger selig- und heiligsprechen - noch dazu allzu schnell. "Erst recht nicht in einer Zeit, in der die Person und die Amtszeit von Papst Benedikt insgesamt kritisch diskutiert wird."
- Zum Artikel: "Missbrauchsgutachten: Wie auch Ratzingers Ruf gelitten hat"
Gläubige weltweit dürfen zu Heiligem beten
Bevor die Kirche die so genannte Heiligkeit eines Menschen feststellt - aufgrund seines gottgefälligen Daseins zu Lebzeiten -, muss dieser seliggesprochen sein. Dann gilt er kirchenamtlich zunächst lokal begrenzt als verehrungswürdig. Spricht die Kirche einen Seligen dann auch heilig, kann er kirchenamtlich weltweit verehrt werden und die Menschen können zu ihm beten - im Glauben, dass der Heiliggesprochene bei Gott für die Anliegen aller Gläubigen eintreten kann, weil er unmittelbar bei Gott ist.
Selig- und Heiligsprechungen erfolgten nach einem kirchenrechtlichen Verfahren, das in der Regel frühestens fünf Jahre nach dem Tod beginne, erklärt Mückl. "Das Gericht, das eingesetzt wird, hat das Leben und Werk des Betreffenden zu untersuchen, also ob der Betreffende die christlichen Tugenden in einem heroischen Maße gelebt hat. Grundsätzlich kann ein Verfahren erst nach fünf Jahren eingeleitet werden. Damit möchte man vermeiden, dass irgendeine Eintagsfliege, eine spontane Begeisterung, den Anstoß für einen Prozess gibt."
Mückl: Benedikts theologisches Werk große Stärkung für den Glauben
Mückl ist sich sicher, dass es sich bei dem ehemaligen Papst Benedikt um "keine Eintagsfliege" handelt. Sein theologisches Werk sei eine große Stärkung für den Glauben vieler Menschen gewesen und werde es auch in Zukunft sein, so der Kirchenrechtler. Doch diese Sicht teilen nicht alle Theologen. Ob es zur sofortigen Einleitung eines Heiligsprechungsverfahrens wie für Johannes Paul II. nach dessen Tod kommen kann, wird bereits kontrovers diskutiert.
Entscheiden muss das am Ende Papst Franziskus. Nur er kann verfügen, das Verfahren um seinen Vorgänger auf dem Stuhl Petri vorzeitig einzuleiten. "Ich glaube, dass es in diese Richtung gehen wird", spekulierte etwa schon Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein.
"Santo subito": Vorsitzender der Bischofskonferenz zurückhaltend
In Deutschland, wo die Kirche immer noch ihre Lehren aus dem Missbrauchsskandal ziehen will, äußerte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, zurückhaltend zu "Santo subito". Und auch Haunerland rät mit Blick auf den Missbrauchsskandal davon ab: "Alles, was wir jetzt tun, betrifft noch die Opfer, die Betroffenen. Das sieht immer aus, als wenn es um ein Geringschätzen des Verbrechens geht, und damit auch eine Missachtung der Opfer."
Ball liegt nun bei Papst Franziskus
Der Ball um Benedikts Heiligsprechung liegt nun jedoch so oder so in Rom - beim Papst. Denn für Benedikts Himmelsurteil auf Erden ist derjenige Bischof entscheidend, in dessen Bistum der Heiligkeitsanwärter zuletzt gelebt und verstorben ist - der Bischof von Rom also, und das ist derzeit noch Papst Franziskus.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, ein Heiliger werde von den Gläubigen angebetet. Dies ist nicht korrekt, da die Anbetung in der Bibel Gott vorbehalten ist. Gläubige beten jedoch zu Heiligen, weil sie sich von ihnen die Fürsprache bei Gott erhoffen. Wir haben die entsprechenden Passagen korrigiert.
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