Das US-Verteidigungsministerium lässt sich offiziell nichts anmerken, dass Pentagon-Chef Lloyd Austin bei seiner seit längerem geplanten Visite in Berlin heute Vormittag nicht von Christine Lambrecht empfangen wird, sondern von einem neuen deutschen Amtskollegen.
- Zum Artikel: Boris Pistorius: Der neue Verteidigungsminister ist im Amt
Vor Austins Abflug aus Washington spult sein Pressesprecher Pat Ryder routiniert das Besuchsprogramm des amerikanischen Verteidigungsministers ab: Austin und US-Generalstabschef Milley werden am Freitag auf der Ramstein Airbase mit Verteidigungsexperten aus rund 50 Ländern zu einem weiteren Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe zusammenkommen. Die Kontaktgruppe sei "entscheidend", um die "militärischen Fähigkeiten der Ukrainer zu bestimmen, abzugleichen und zu liefern".
"Vor seiner Ankunft in Ramstein wird Minister Austin nach Berlin reisen, um den ins Amt kommenden deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius zu treffen", sagt der Pentagon-Sprecher. Und spricht dabei den Namen Boris Pistorius problemlos und akzentfrei aus, so als ob er ihm seit Jahren geläufig wäre.
Verteidigungsministerium: Schwierigster Regierungsposten
Von Spanien bis Großbritannien, von Frankreich bis Washington: Einhellig wird dem neuen deutschen Verteidigungsminister bescheinigt, dass er sofort und ohne Vorbereitungszeit den schwierigsten Regierungsposten in Berlin übernehmen muss. Im westlichen Bündnis würde es wohl keinen Politiker geben, der Pistorius beneidet, mutmaßt die spanische "El Pais" und fügt hinzu: Auf "seinen Schultern liegt die Verantwortung, sich mit den Verbündeten darauf zu einigen, neue Militärhilfe in die Ukraine zu schicken". Gemeint ist die Debatte über die Lieferung von Leopard-2-Panzern, die seit Jahresbeginn sehr intensiv geführt wird.
Eine politische Schonfrist wird der neue deutsche Verteidigungsminister nicht haben, wie die "New York Times" feststellt. Pistorius werde "unmittelbar auf die Bewährungsprobe gestellt", wenn es darum geht, "dem zunehmenden öffentlichen Druck auf Deutschland" zu begegnen, Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern.
Nur zusammen mit Washington
Unmittelbar vor dem ersten Treffen von US-Verteidigungsminister Austin mit seinem neuen deutschen Amtskollegen kommt Bewegung in die Frage der Panzerlieferungen auf: Deutschland werde der Ukraine nur dann Leopard 2 Kampfpanzer überlassen und den europäischen NATO-Partnern die Lieferung der in Deutschland hergestellten Leopard 2 erlauben, wenn die USA ebenfalls ihre Kampfpanzer vom Typ M-1 Abrams den ukrainischen Streitkräften liefern würde, meldeten deutsche und amerikanische Medien übereinstimmend. Dies habe Bundeskanzler Scholz US-Präsident Biden in einem Telefonat am Dienstag mitgeteilt. Bislang lehnt die US-Regierung die Lieferung eigener Kampfpanzer vom Typ M-1 Abrams ab, unter Hinweis auf die deutlich komplexere Wartung und Inbetriebnahme des Abrams Panzers. Stattdessen bereite die US-Regierung ein neues militärisches Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar vor, berichtet CNN unter Berufung auf US-Regierungsquellen. Darunter Radschützenpanzer vom Typ Stryker, nicht aber Kampfpanzer oder Raketen mit sehr großer Reichweite.
Britische Presse über Pistorius: Ein sachorientierter Politiker
Pistorius sei ein erfahrener, sachorientierter Politiker, der international allerdings "wenig bekannt" sei und auch in der deutschen Politik "unauffällig" agiert habe, wie der britische "Guardian" den Lambrecht-Nachfolger vorstellt. Er habe den Ruf, mitunter "scharfzüngig" zu sein und "ohne Schnickschnack" zu regieren. Pistorius stehe gleich am Freitag in Ramstein vor seiner "ersten, großen Aufgabe": Mit den Verbündeten darüber zu beraten, "Kiew mit mehr Waffen und Ausrüstung" auszustatten.
Deutlicher wurde der britische Außenminister James Cleverly. Ohne Pistorius beim Namen zu nennen, rief Cleverly während seines Washington-Besuchs Deutschland dazu auf, die notwendige Exportgenehmigung für die Lieferung von Leopard-2-Panzern anderer NATO-Staaten wie Polen und Finnland an die Ukraine zu erteilen. Großbritannien habe mit der Entscheidung, den ukrainischen Streitkräften 14 Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 zur Verfügung zu stellen, klar machen wollen: Die Ukraine benötige die Fähigkeit, die russischen Invasoren im Osten und Süden des Landes "zurückzudrängen". Dabei machte der britische Außenminister einen bemerkenswert eindeutigen Zusatz: Dabei gehe es um Regionen, die "Russland seit der Invasion vor nahezu einem Jahr zu besetzen versucht hat."
Keine Einarbeitungszeit für Pistorius
Der Amtsantritt von Boris Pistorius erfolgt zu einem ausgesprochen ungünstigen Zeitpunkt: Deutschland wird von "mehreren verbündeten Ländern, vor allem von Polen, unter Druck gesetzt", analysiert der französische "Le Figaro". Druck, damit "in Deutschland hergestellte Leopard-Panzer" an die Ukraine geliefert werden können. Pistorius bescheinigt der Figaro, dass seine Ernennung bei der Truppe "begeistert" aufgenommen worden sei. Er habe das Image der Bundeswehr und der Regierung Scholz wieder zu verbessern, das durch die "Fehltritte" von Amtsvorgängerin Christine Lambrecht Schaden erlitten habe.
Auf einen Neuanfang hofft auch Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien Lecornu: Es gebe große Herausforderungen für Europa und Amerika in Sachen Sicherheit, schrieb Lecornu in seinem ersten Tweet an seinen neuen deutschen Amtskollegen. Er freue sich darauf, gemeinsam mit Pistorius die Zusammenarbeit zu verstärken und zu vertiefen. Zu gut deutsch: Da ist noch viel Luft nach oben. Kein Zweifel: Auf Boris Pistorius lasten große Erwartungen der Verbündeten.
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