Irmgard F. im Dezember 2022 vor dem Landgericht Itzehoe
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BGH: Urteil gegen frühere KZ-Sekretärin ist rechtskräftig

BGH: Urteil gegen frühere KZ-Sekretärin ist rechtskräftig

Im vielleicht letzten deutschen KZ-Prozess hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung einer früheren KZ-Sekretärin wegen Beihilfe zum Massenmord bestätigt. Die 99-Jährige war zuvor zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden.

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verurteilung einer früheren Sekretärin im KZ Stutthof wegen Beihilfe zum Massenmord bestätigt. Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig verwarf die Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Itzehoe.

Das dortige Gericht hatte die inzwischen 99-jährige Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie zum versuchten Mord in 5 Fällen zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Diese Entscheidung ist mit der BGH-Entscheidung jetzt rechtskräftig.

BGH: Ex-Sekretärin leistete Beihilfe zu Mordtaten

Die BGH-Richter bestätigten dabei die Einschätzung des Landgerichts Itzehoe, dass Irmgard F. als damals 18- beziehungsweise 19-Jährige durch ihre Arbeit den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet habe. Durch ihre Dienstbereitschaft sei der Tatbestand der psychischen Beihilfe zu den Mordtaten gegeben.

F. sei zwar keine Haupttäterin, trotzdem treffe sie Schuld, sagte die Vorsitzende Richterin Gabriele Cirener. Sie sei als Sekretärin und Stenotypistin des KZ-Lagerkommandanten freiwillig tätig gewesen. Dort habe sie zahlreiche lagerinterne Schreiben und Anweisungen des Kommandanten getippt. Während ihrer Tätigkeit seien in dem KZ mindestens 9.000 Menschen ums Leben gekommen.

Die Beihilfe durch Irmgard F. sei untrennbar mit der Haupttat verknüpft, so die Vorsitzende Richterin. Auch gebe es eine klare Position des Gesetzgebers bei lange zurückliegenden Taten: Straftaten würden zwar grundsätzlich verjähren, Mord aber nicht. Damit sei auch Beihilfe zum Mord von einer Verjährung ausgeschlossen.

Vielleicht das letzte Strafverfahren zu den NS-Morden

Der Fall der fast hundertjährigen Irmgard F. gilt als das womöglich letzte Strafverfahren zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Massenmorde. Zwischen Juni 1943 und April 1945 war F. als Sekretärin im Geschäftszimmer des Kommandanten des KZ Stutthof bei Danzig tätig gewesen. Über ihren Schreibtisch ging dabei praktisch der ganze Schriftverkehr des Lagers.

Die Verteidigung hatte in ihrer Revision gegen das Urteil des Landgerichts einen Freispruch gefordert, weil nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne, dass Irmgard F. von den systematischen Tötungen im Lager gewusst habe, womit auch ein Vorsatz infrage stehe. Zudem habe sich ihre Arbeit als Schreibkraft nicht wesentlich von ihrem vorherigen Job in einer Bank unterschieden. Sie habe "neutrale Handlungen" ausgeführt. Der BGH schloss sich dieser Auffassung jedoch nicht an

Generalbundesanwalt: Verurteilung war gerechtfertigt

Der Generalbundesanwalt hatte beantragt, dass der Fall vor dem BGH zunächst auch mündlich verhandelt worden war, weil er möglicherweise zum letzten Mal die Gelegenheit biete, wichtige Fragen zu klären. Bundesanwalt Udo Weiß stufte den Schuldspruch des Landgerichts Itzehoe als gerechtfertigt ein. Irmgard F. habe durch ihre Dienstbereitschaft für die Mordtaten im KZ Stutthof zur Verfügung gestanden, sie habe psychische Beihilfe geleistet. Auch die Anwälte der noch verbliebenen 23 Nebenkläger in dem Verfahren hatten gefordert, die Revision zu verwerfen.

Überlebende hofften auf ein "Zeichen der Gerechtigkeit"

Im KZ Stutthof und seinen 39 Außenlagern waren nach Angaben des Dokumentationszentrums Arolsen Archives zwischen 1939 und 1945 etwa 110.000 Menschen aus 28 Ländern inhaftiert. Fast 65.000 starben. Die Zentrale Stelle Ludwigsburg zur Aufklärung von NS-Verbrechen stufte das Lager wegen organisierter Massentötungen von Juden für die Zeit von Juli 1944 bis zur Befreiung Anfang Mai 1945 als Vernichtungslager ein.

Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, erklärte vor der Verkündung des BGH-Urteils, die Überlebenden der Konzentrationslager erwarteten vor allem, dass ihre Erinnerungen "in die höchstrichterliche Urteilsfindung Eingang finden". Das Urteil sei daher "nicht nur von hoher symbolischer Bedeutung". Die Überlebenden hofften "auf ein unverkennbares Zeichen der Gerechtigkeit ihnen und ihren ermordeten Angehörigen gegenüber".

Mit Informationen von dpa und epd

Im Video: Historiker Andreas Wirsching zu BGH-Urteil zu früherer KZ-Sekretärin

Historiker Andreas Wirsching zu BGH-Urteil zu früherer KZ-Sekretärin
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Historiker Andreas Wirsching zu BGH-Urteil zu früherer KZ-Sekretärin

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