Bundeskanzler Olaf Scholz vor europäischer und deutscher Flagge
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Europa erwartet mehr Führung von Deutschland

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"Brauchen Deutschland back!" – Europa erwartet mehr von Scholz

"Brauchen Deutschland back!" – Europa erwartet mehr von Scholz

Es gibt international viele Problemfelder: die Ukraine, China oder auch die gemeinsame Verteidigung. Die europäischen Alliierten erwarten mehr von Deutschland, als es bis dato liefert, vor allem Frankreich und Polen.

Am Samstag gingen sie um die Welt, die Bilder aus Paris: Staatspräsident Emmanuel Macron gelang, abseits der schweren politischen Krise seines Landes, ein Coup. Mit den großen Feierlichkeiten um die Neueröffnung von Notre-Dame. Noch mehr staunten aber viele Beobachter über ein Treffen zuvor im Präsidentenpalast. Macron brachte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und den künftigen US-Präsidenten Donald Trump zusammen. Zufrieden lächelten die drei in die Kameras. Im politischen Berlin fiel vor allem auf, wer bei dem Treffen fehlte: Olaf Scholz.

Klagen über Scholz' Fehlen in Paris

Der Bundeskanzler wurde laut Informationen der "Bild"-Zeitung im französischen Restaurant "Petit Amour" in Hamburg gesehen, wo er mit seiner Frau den gemeinsamen 26. Hochzeitstag feierte. Während sich die politischen Gegner, vor allem aus der Union, über das schwindende politische Gewicht Deutschlands auf internationalem Parkett beklagten, versuchten die Sozialdemokraten zu beschwichtigen. Bei den Feierlichkeiten von Notre-Dame seien Staats- und keine Regierungschefs eingeladen gewesen - auch wenn Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine Ausnahme darstellte.

Deutschland als "einsamer Reiter"

Trotzdem ist in Paris eine gewisse Verärgerung gegenüber dem eigentlich deutschen Freund nicht zu leugnen. Sorgte der "deutsch-französische Motor" einst für Meilensteine der europäischen Integration, gibt dieser in den vergangenen Jahren immer lautere Störgeräusche von sich.

Während Macron in Handelsfragen mit China mehr Konfrontation wagen möchte, fürchtet Scholz um die Automobilindustrie. Setzt sich die Bundesregierung für das Mercosur-Abkommen mit Südamerika und größere Absatzmärkte für ebenjene deutschen Autos ein, steht ausnahmsweise die gesamte französische Politik geschlossen gegen den Freihandel und will die Landwirte schützen. Rätselt Macrons Umfeld schon seit langem darüber, warum der Bundeskanzler sich weigert, den Taurus-Marschflugkörper zu liefern, verweist die Bundesregierung darauf, man sei der größte Unterstützer der Ukraine nach den USA.

Statt sich mit Paris zu koordinieren, habe der Kanzler in der Vergangenheit oft wie ein "einsamer Reiter" agiert, so Paul Maurice vom Pariser Thinktank Ifri. Man könne auch Frankreich vieles vorwerfen, räumt der Politikwissenschaftler ein. Doch im Gegensatz zu Berlin habe Paris in den vergangenen Jahren immer wieder Angebote gemacht. Während es in Paris zumindest den Drang gab, gemeinsam mit Deutschland arbeiten zu wollen, nehme man diesen in Berlin nicht wahr, so Maurice.

Auch Polen verlangt mehr deutsche Führung

Nicht nur Frankreich hofft, dass Deutschland mehr Verantwortung in Europa übernimmt. Frankreich versteht darunter mehr europäische Souveränität in fast allen Feldern: Industrie, Geopolitik, Verteidigung. Doch weder Berlin noch Paris scheinen die Kraft aufbringen zu können, diesen Anspruch zu untermauern.

Da sich die beiden größten Volkswirtschaften des Kontinents jeweils in politischen Krisen befinden, schleicht sich die polnische Regierung unter Premier Donald Tusk an, mehr Führung zu übernehmen. Warschau, so der Polen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Kai-Olaf Lang, versteht darunter vor allem militärische Stärke. Kein Land in der Nato gibt gemessen am Bruttoinlandsprodukt mehr Geld für Verteidigung aus. Dabei bezieht Polen viele moderne Waffen aus den USA. Ein Pfund, dass Tusk gegenüber dem baldigen US-Präsidenten Trump einzubringen gedenkt.

Lang meint, dass Polen von Deutschland zwei Dinge erwartet, um seiner Führungsrolle gerecht zu werden. Deutschland müsse erstens mehr Geld für seine Verteidigung ausgeben. Und zweitens, so Lang, könnte Polen auf eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme für Sicherheit pochen - ähnlich wie beim Corona-Wiederaufbaufonds. Gemeinsame Schulden in Europa, sogenannte Eurobonds, dagegen hatten sich vor allem Union und FDP jahrelang gewehrt.

Stimme aus Estland: "Wir brauchen Deutschland back!"

Den polnischen Forderungen würde sich wohl der konservative Europaabgeordnete und ehemalige Befehlshaber der estnischen Verteidigungsstreitkräfte, Riho Terras, anschließen. Dem BR sagte Terras, dass im Durchschnitt jeder Europäer gerade einmal eineinhalb Tassen Kaffee für die Unterstützung der Ukraine gezahlt habe. Der General denkt, dass Deutschland Europa durch schwierige Zeiten führen müsste, dazu aber gerade nicht in der Lage sei. Sowohl der Bundeskanzler als auch der französische Präsident seien geschwächt, Europa stehe ohne Führungspersönlichkeit da. Er formuliert einen einfachen Wunsch: "Wir brauchen Deutschland back!"

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