Wie fest sitzt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Sattel? Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen forderte Christian Baldauf, Landesvorsitzender der CDU Rheinland-Pfalz, den Rücktritt von Scholz. Der Kanzler hält die Vertrauensfrage im ZDF-Sommerinterview für ein "Oppositionsideechen". Wie schätzen Politikwissenschaftler das ein?
"Olaf Scholz ist ersichtlich für die SPD eine Belastung geworden." Publizist und Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke findet klare Worte im BR24-Interview für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten). Scholz sei auch eine Belastung für die Koalition geworden, die sich zunehmend zerstritten präsentiert. "Der desaströse Zustand der Koalition hängt maßgeblich an der fehlenden Führung durch Olaf Scholz", sagt von Lucke.
Schlechte Umfragewerte wie noch kein Kanzler
Ist Olaf Scholz noch der richtige Mann? Das sehen nur 18 Prozent der Deutschen so. So wenig Menschen sagten beim ARD-DeutschlandTrend Anfang September, sie seien zufrieden mit dem Kanzler. Zum Vergleich: Der schlechteste Wert von Gerhard Schröder während seiner siebenjährigen Amtszeit war 24 Prozent, der von Angela Merkel während ihrer 16-jährigen Amtszeit 40 Prozent.
Schlechte Umfragewerte seien nicht ganz unüblich für Regierungen, die unter schwierigen Bedingungen ihre Arbeit machen, relativiert Wolfgang Schroeder, Professor an der Universität Kassel: "Ein Jahr vor den nächsten Wahlen ist in keiner Weise zu erkennen, dass Scholz schwächelt, oder dass er aufgeben möchte."
"Scholz kann den Riss nicht mehr kitten"
Selbst aus den eigenen Reihen wird die Ampel-Koalition in Frage gestellt. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki schrieb auf X, die Ampel habe ihre Legitimation verloren, Grünen-Chef Omid Nouripour nannte die Ampel eine "Übergangsregierung". "Diesen Riss innerhalb der Koalition kann der Kanzler für mein Verständnis nicht mehr kitten", sagt von Lucke. Sein Urteil: "Ist Olaf Scholz nicht in der Lage, diesem Land die Führung zu bescheren, die er versprochen hat, dann ist das ein weiteres Wachstumsprogramm für die AfD. Und dann ist das wirklich zum Nachteil für das Land. Das allein wirft die Frage auf, ob Olaf Scholz noch der richtige Mann ist."
"Keine Anzeichen von Müdigkeit"
Dennoch sei der Kanzler keineswegs angezählt. Es gebe keine Anzeichen, dass er müde wäre, sagt Politikwissenschaftler Schroeder. Die Bundesregierung agiere derzeit unter "filigranen Bedingungen": In der Migrationsfrage habe sie "so viel gemacht wie keine Bundesregierung zuvor, und gleichzeitig ist es vermutlich zu wenig, weil man zu spät diese Maßnahmen ergriffen hat." Schroeder kritisiert die "schwerfällige Art", Kompromisse herzustellen. Außerdem erreiche Scholz’ Regierungsstil die Menschen nicht. Neuwahlen hält Schroeder dennoch für unwahrscheinlich. Daran habe keine der derzeitigen Regierungsparteien ein Interesse.
Ampel-Aus nach der Brandenburg-Wahl?
Während Schroeder eine Scholz-Regierung auch nach 2025 für möglich hält, prognostiziert von Lucke ein Aus der Ampel nach den Wahlen in Brandenburg am 22. September. Vor allem in der FDP gehe die Panik um, bei Prognosen von ein, zwei Prozent. Von Lucke geht davon aus, dass die FDP "lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" wolle: "Diesen Riss innerhalb der Koalition kann der Kanzler für mein Verständnis nicht mehr kitten", sagt von Lucke.
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