Für die einen war schon allein der Name ein Fehler, für die anderen ist es ein "echter Kulturwandel", mit dem man auf "Respekt und gerechte Teilhabe" setze. Das Bürgergeld hat seit seinem Start 2023 für heftige Debatten gesorgt – politisch wie gesellschaftlich.
Die Union will das Bürgergeld abschaffen, die SPD hat es lange verteidigt, zuletzt aber auch Fehler eingeräumt. Worauf kommt es in den Verhandlungen an? Vier Knackpunkte:
1. Der Name "Bürgergeld"
Nach dem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 hatte die SPD beschlossen, ein neues Sozialstaatskonzept zu erarbeiten. "Das war ein sehr wichtiger Selbstheilungsprozess der SPD, der damals stattgefunden hat", glaubt die Münchner SPD-Politikerin Seija Knorr-Köning, die bei dieser Bundestagswahl für den Wahlkreis München-West angetreten ist.
Am Ende dieses Prozesses steht die Idee für einen Hartz-IV-Nachfolger. Auf den neuen Namen kommt die damalige Parteichefin Andrea Nahles, in einem Gastbeitrag in der FAZ stellt sie ihn vor: Ein Bürgergeld soll kommen. Der Name soll vor allem Respekt ausdrücken.
Doch er steht schon früh in der Kritik. "Die Assoziation, zu sagen, das sieht nach einem bedingungslosen Grundeinkommen aus, da ist ein bisschen was dran", sagt Heinrich Alt im BR24-Interview. Alt war von 2003 bis 2015 Vorstandsmitglied bei der Bundesagentur für Arbeit und ist Experte beim Thema Grundsicherung.
Auf die Frage, ob das Bürgergeld ein Fehler war, sagte CDU-Chef Merz im Kanzlerduell: "Schon der Begriff, ja". Für die SPD war das Bürgergeld ein Prestigeprojekt, ein Weg, die innerparteiliche Zerrissenheit wegen Hartz IV zu überwinden. Lässt sie sich auf eine Namensänderung ein? Es wäre ein Eingeständnis, dass man kein Gespür dafür hatte, wie der Begriff wirken könnte. Allerdings gibt es inzwischen auch Sozialdemokraten, die sich offen dafür zeigen.
- Mehr zur Geschichte des Bürgergelds und der Frage, ob es gescheitert ist, hören Sie im BR-Podcast "Die Entscheidung". In der aktuellen Staffel "Ist das Bürgergeld gescheitert?" sprechen SPD-Politiker, Bürgergeld-Empfänger und der Mann, der für die Umsetzung von Hartz IV zuständig war, über Fehler, Formen und Fallstricke der Grundsicherung.
- Zum Podcast: Die Entscheidung - Ist das Bürgergeld ungerecht?
2. Sanktionen: Weiter verschärfen?
Bevor es mit dem Bürgergeld losgegangen ist, beschloss die Ampel im Mai 2022 ein sogenanntes Sanktionsmoratorium. Das bedeutet: Zeitlich befristet sollten fast alle Sanktionen ausgesetzt werden. Wenn ein Bürgergeld-Empfänger beispielsweise Termine beim Jobcenter nicht wahrnimmt oder eine zumutbare Arbeit ablehnt, muss er keine oder nur noch geringe Konsequenzen fürchten.
Der Schritt hat für viel Kritik gesorgt. Es brauche Sanktionsmöglichkeiten, allein wegen der Gerechtigkeit gegenüber arbeitenden Menschen, argumentierten Unionspolitiker. Als es im Laufe des Jahres 2022 zu Verhandlungen im Bundesrat zwischen Ampel- und Unionsparteien kam, wurden Sanktionen wieder beschlossen. Und die Ampel selbst legt Anfang 2024 noch einmal nach.
Merz will nun abermals Sanktionen verschärfen. Bei den sogenannten Totalverweigerern soll das Bürgergeld gestrichen werden. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass so eine Maßnahme für maximal zwei Monate möglich ist.
Auch Scholz sprach sich im Kanzlerduell für "harte Sanktionen" für Menschen aus, die Jobangebote ablehnen. Bei der SPD ist das aber besonders unter Parteilinken umstritten. Seija Knorr-Köning ist eine Gegnerin von Sanktionen. "Wenn ich jemanden mit Sanktionen zwinge, einen Job zu machen, der nicht zu ihm passt oder zu ihr, dann stehen die da in drei Monaten wieder beim Jobcenter auf der Matte."
3. Kosten: Lässt sich beim Bürgergeld sparen?
Wie viele finanzielle Mittel man für das Bürgergeld aufbringen will, da sind sich SPD und Union ebenfalls nicht einig. Im Jahr 2024 verursachte das Bürgergeld Kosten von 50 Milliarden. Merz sprach von "zweistelligen Milliardenbeträgen", die man einsparen könnte: unter anderem über Sanktionen, strenge Regeln beim Schonvermögen und vor allem damit, dass man 400.000 Arbeitslose in Jobs bringt. Auch die Ampel hat im Haushalt für 2025 das Bürgergeld mit über fünf Milliarden weniger angesetzt, weil man auf eine rasche Belebung des Arbeitsmarkts hofft. Dass man da aber kurzfristig so viel Geld einsparen könne, da sind Experten wie Heinrich Alt skeptisch.
4. Höhe des Bürgergelds
Die Union will zwar laut Wahlprogramm das Bürgergeld "abschaffen", das grundsätzliche Prinzip dürfte aber bestehen bleiben. Es findet sich zudem keine Forderung, die Regelsätze – aktuell 563 Euro für Alleinstehende – generell zu senken, anders als bei der FDP beispielsweise. Allerdings hat Merz in der ZDF-Wahlarena gefordert, die Sätze für die rund 1,8 Millionen erwerbsfähigen Arbeitslosen "deutlich zu senken". Ob die SPD da mitspielt? Seija Knorr-Köning verweist da auf das Bundesverfassungsgericht, das geurteilt hat, dass jedem das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zusteht. Oder anders: In dem Maß zu senken, wie Merz sich das vorstellt, sei verfassungswidrig.
Doch obwohl es ihr Prestigeprojekt war, deutete die SPD zuletzt an, grundsätzlich gesprächsbereit zu sein. "Wir haben bei manchen Themen vielleicht auch den Eindruck entstehen lassen, dass es uns zu sehr um das Bürgergeld geht und zu wenig darum geht, dass hart arbeitende Menschen gesehen werden", sagte Parteichef Lars Klingbeil nach der Wahl im NDR.
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