Etwa einen Monat herrschte Funkstille zwischen der Union und der Ampel. Rechtspolitiker beider Seiten hatten beraten, wie sich das Bundesverfassungsgericht besser vor Angriffen von Demokratiefeinden schützen lässt. Im Gespräch war, die Regeln für das Gericht in das Grundgesetz aufzunehmen. Doch Unionsfraktionschef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatten die Gespräche beendet. Vorerst.
Welche Rolle spielt das Bundesverfassungsgericht?
Das Bundesverfassungsgericht ist so etwas wie ein Schiedsrichter der Demokratie. Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe sind unabhängig und gelten als Garant für stabile Verhältnisse in Deutschland. An ihren Entscheidungen kommt niemand vorbei. Die 16 Richterinnen und Richter werden zu einer Hälfte vom Bundestag und zur anderen Hälfte vom Bundesrat gewählt. Da für ihre Wahl eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, handelt es sich in der Regel immer um Kandidaten, mit denen Koalition und Opposition gut leben können. Feste Regeln, wer die Kandidaten vorschlägt, gibt es nicht. Es hat sich aber eingebürgert, dass sich Union und SPD mit ihren Vorschlägen abwechseln und dabei auch Grüne und FDP zum Zug kommen.
Wie könnten Demokratiefeinde das Verfassungsgericht schwächen?
Bisher stehen die Regeln für das Bundesverfassungsgericht im Verfassungsgerichtsgesetz. Das kann der Bundestag mit einfacher Mehrheit ändern. So wäre es zum Beispiel möglich, die Altersgrenze für Verfassungsrichter zu senken (bisher 68 Jahre), um so unliebsame Richterinnen und Richter loszuwerden. Eine Mehrheit des Bundestags könnte auch festlegen, dass die Richter nur noch mit einfacher Mehrheit gewählt werden - und nicht wie bisher mit einer Zweidrittelmehrheit. Bisher ist die Amtszeit am Karlsruher Gericht auf zwölf Jahre begrenzt. Auch das ließe sich mit einfacher Mehrheit ändern. Das Gericht wäre so schnell auf Linie gebracht.
Wie bedroht ist die Unabhängigkeit des Gerichts?
Wie schnell die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt werden kann, zeigt sich zum Beispiel in Ungarn und Polen. Auch der Oberste Gerichtshof der USA kann als Beispiel dienen. Dort sind die Richterinnen und Richter auf Lebenszeit ernannt. Ihre Besetzung ist ein Politikum, ihre Urteile verlaufen oft anhand der Parteizugehörigkeit. Das ist beim Bundesverfassungsgericht mit seinen zwei Senaten anders.
In Deutschland könnte eine einfache Mehrheit im Bundestag wichtige Regeln über die Organisation des Verfassungsgerichts ändern - mit weitreichenden Folgen. Es würde sogar schon ausreichen, wenn demokratiefeindliche Parteien ein Drittel der Abgeordneten stellen. Dann könnten sie die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren.
Wie lässt sich das Bundesverfassungsgericht besser schützen?
Schon seit Jahren werben Juristen und einige Rechtspolitiker dafür, das Bundesverfassungsgericht krisenfest zu machen. Regeln für die Richterwahl könnten zum Beispiel ins Grundgesetz geschrieben werden. Dann wären sie nicht mehr mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag zu ändern, sondern nur durch eine Zweidrittelmehrheit.
Diese Hürde gibt es auch, um das Grundgesetz entsprechend zu ändern. Deshalb haben Fachpolitiker der Ampel mit ihren Kollegen von CDU und CSU über einen möglichen Weg beraten. Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben sogar schon einen Gesetzentwurf dafür formuliert.
Die Gespräche zwischen Ampel und Union sind nach Aussagen von Teilnehmern gut verlaufen. Dann habe die Unionsfraktionsspitze um Friedrich Merz (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU) aber beschlossen, aus den Gesprächen auszusteigen. Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) erklärte danach, es gebe derzeit keine zwingende Notwendigkeit für eine Grundgesetzänderung. SPD und Grüne kritisieren das als Oppositionstaktik.
Wie geht es jetzt weiter?
Eine Grundgesetzänderung ist durch den Abbruch der Gespräche durch die Union erstmal nicht möglich. CDU-Chef Merz erklärte sich aber offen für eine weitere Diskussion, wenn es Vorschläge gibt, "die dazu wirklich geeignet sind". Seiner Ansicht nach gibt es aktuell keine ernsthaften Angriffe auf das Bundesverfassungsgericht.
Dem widerspricht Bayerns Justizminister Georg Eisenreich. Der CSU-Politiker sieht Entwicklungen, die eine Gefahr für die Demokratie sein können: "Feinde des Rechtsstaats und der Demokratie bedrohen unsere freiheitliche Gesellschaft auch von innen", so Eisenreich gegenüber BR24. Der Rechtsstaat muss nach seinen Worten die Hüter der Verfassung "entschlossen und konsequent" schützen.
Der bayerische Justizminister verweist auf eine Arbeitsgruppe der Justizminister der Länder. Sie werde sich weiter damit beschäftigen, die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts zu schützen. Nach Informationen von BR24 gehen auch im Bundestag die vertraulichen Gespräche über eine Grundgesetzänderung weiter. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.
Im Video: Ampel-Pläne - Mehr Schutz fürs Bundesverfassungsgericht
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