Bei einer Razzia gegen sogenannte "Reichsbürger" führen vermummte Polizisten Heinrich XIII. Prinz Reuß im Dezember 2022 zu einem Polizeifahrzeug.
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Die Vorwürfe wiegen schwer: Heinrich XIII. Prinz Reuß und acht weitere Personen stehen ab Dienstag wegen Terrorismus-Verdacht vor Gericht.

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Das sollten Sie über den Reichsbürger-Prozess wissen

Haben sie den Sturz der Bundesregierung geplant? Das klärt ab Dienstag das Oberlandesgericht Frankfurt. Dann startet die Hauptverhandlung gegen die mutmaßlichen Anführer der Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Alle Antworten zum Prozess.

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Es dürfte wohl einer der spannendsten Prozesse werden, der in den vergangenen Jahren in Deutschland verhandelt wurde, geht es doch um nichts Geringeres als den geplanten gewaltsamen Sturz der Bundesregierung: Ab Dienstag stehen deshalb vor dem Oberlandesgericht Frankfurt Heinrich XIII. Prinz Reuß sowie acht weitere Personen vor Gericht. Sie sollen die Anführer einer Terrorgruppe aus dem Reichsbürger-Milieu sein. Doch die Hintergründe des Falls sind komplex. BR24 gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Worum geht es und wie lauten die Vorwürfe?

Der am Dienstagvormittag beginnende Prozess richtet sich gegen die mutmaßlichen Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung aus der sogenannten "Reichsbürger-Szene". Laut Generalbundesanwalt Peter Frank hat es sich die Gruppe zum Ziel gesetzt, die "bestehende staatliche Ordnung in Deutschland, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen".

Die Angeklagten werden unter anderem beschuldigt, Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung zu sein sowie ein "hochverräterisches Unternehmen" vorbereitet oder unterstützt zu haben - konkret einen gewaltsamen Angriff auf das Reichstagsgebäude in Berlin. Dazu sollen sie rund eine halbe Million Euro eingesammelt und ein "massives Waffenarsenal" gehortet haben - darunter etwa 380 Schusswaffen sowie rund 350 Hieb- und Stichwaffen, so eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Was ist die Reichsbürgerbewegung?

Gerichtsprozesse gegen Reichsbürger gab es in der Vergangenheit immer wieder in Deutschland, beispielsweise in Koblenz. Dort verhandelt seit vergangenem Jahr das Oberlandesgericht gegen fünf mutmaßliche Reichsbürger. Ihnen wird vorgeworfen, unter dem Namen "Vereinte Patrioten" einen Staatsstreich und die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant zu haben.

Vertreter der Szene haben gemeinsam, dass sie die Bundesrepublik Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennen und die deutschen Gesetze ablehnen. Stattdessen behaupten sie, dass das Deutsche Reich (1871 - 1945) weiter existiert, daher auch der Name.

Wer ist angeklagt?

Auf der Anklagebank sitzen ab Dienstag durchaus bekannte Persönlichkeiten: Kopf der Organisation und wahrscheinliche wichtigste Figur in dem Fall soll der im Frankfurter Westend lebende Adelsspross Heinrich XIII. Prinz Reuß sein. Er wurde im Dezember 2022 bei einer bundesweiten Anti-Terror-Razzia durch die Polizei festgenommen. Der heute 72-jährige Immobilienmakler sollte laut Anklage an der Spitze einer neuen Staatsform stehen - ähnlich dem Deutschen Reich von 1871.

Neben Reuß richtet sich die Verhandlung gegen die Berliner Ex-Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann und die ehemalige Bundestagskandidatin der Partei "Die Basis" Johanna F.-J. aus dem Bodenseekreis. Malsack-Winkemann sollte in der neuen Regierung den Posten einer Justizministerin übernehmen. Neue Familienministerin unter Reuß sollte Johanna F.-J. werden.

Außerdem müssen sich vor dem Frankfurter Oberlandesgericht der ehemalige Oberstleutnant und Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons der Bundeswehr, Rüdiger von Pescatore, sowie die beiden früheren Soldaten der Eliteeinheit der Bundeswehr KSK, der Ex-Oberst Maximilian Eder aus dem niederbayerischen Landkreis Freyung-Grafenau und Peter W. aus Pottenstein im Landkreis Bayreuth, verantworten. Sie sollen Teil eines militärischen Arms der Reuß-Gruppe gewesen sein, der eine neue deutsche Armee aufbauen sollte.

Angeführt soll die Einheit von Pescatore haben. Laut Anklage soll er die Idee für die neu zu gründenden sogenannten "Heimatschutzkompanien" entwickelt haben. Diese sollten den Umsturz und spätere "Säuberungsaktionen" auf regionaler Ebene durchsetzen. Verhandelt wird auch gegen den suspendierten Polizei-Hauptkommissar Michael Fritsch aus Hannover. Er soll ebenfalls dem Arm angehört haben.

Weitere Angeklagte sind ein Finanzberater aus dem niedersächsischen Landkreis Harburg sowie die Russin Vitalia B., die einzige Nichtdeutsche unter den mutmaßlichen Tätern. Sie soll Reuß den Kontakt zum russischen Generalkonsulat in Leipzig vermittelt haben und ihn so bei seiner Suche nach bereitwilligen Partnern für seine Pläne unterstützt haben.

Insgesamt sind bei der Verhandlung am Dienstag neun Personen angeklagt. Sie werden aus ganz Deutschland nach Frankfurt gebracht. Dabei handelt es sich aber nur um einen Teil des Mammutprozesses. Laut Staatsanwaltschaft werden aktuell 26 Personen verdächtigt, an den Umsturzplänen beteiligt gewesen zu sein. Das Verfahren gegen die zahlreichen Mitglieder der Gruppierung wurde daher aufgeteilt.

Warum gibt es mehrere Prozesse?

Die Gerichtsverhandlung am Dienstag in Frankfurt am Main gilt als das Hauptverfahren gegen die Verschwörergruppe. Zwei weitere Prozesse laufen in Stuttgart und München. Bereits Ende April begann in dem Komplex das erste Verfahren mit neun Angeklagten in Stuttgart, ab dem 18. Juni wird vor dem Oberlandesgericht München gegen weitere acht mutmaßliche Mitglieder des Netzwerks verhandelt.

Grund für die Aufteilung ist der enorme organisatorische Aufwand. Allein der Prozess in Frankfurt hat bisher nie da gewesene Dimensionen für das Oberlandesgericht, wie Gerichtssprecherin Gundula Fehns-Böer sagte. Die Anklageschrift umfasst 617 Seiten. Fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter und nicht weniger als 25 Verteidiger werden im Prozess dabei sein. Rund 260 Zeugen werden demnach geladen, zudem sollen zehn Sachverständige bei der Suche nach der Wahrheit helfen.

Welche Strafen drohen?

Nach Angaben des Gerichts drohen den Beschuldigten bis zu zehn Jahre Haft, wenn sie in einem Anklagepunkt schuldig gesprochen werden. Im Falle mehrerer Schuldsprüche und einer Gesamtstrafe stünden maximal 15 Jahre Haft zu Buche. Für die neun Angeklagten gilt allerdings bis zu einem etwaigen Urteil die Unschuldsvermutung.

Wie lange wird der Prozess dauern?

Das ist schwer zu sagen. An allen drei Oberlandesgerichten sind bereits Verhandlungstage bis ins Jahr 2025 hinein festgesetzt - in Frankfurt wird bislang mit 53 Tagen bis Januar geplant. Generell stellen die Verfahren aber nicht das Ende der Ermittlungen dar: Nach Angaben der Bundesanwaltschaft unterschrieben mindestens 136 Menschen eine Verschwiegenheitserklärung der Gruppe.

Wie sind die Sicherheitsmaßnahmen?

Für die Hauptverhandlung in Frankfurt mussten zunächst Bagger anrollen. Die Gerichtsräume in der Frankfurter Innenstadt sind nicht geeignet für einen solchen Mammutprozess, auch weil die Justizgebäude in den nächsten Monaten saniert, um- und neu gebaut werden. Das Oberlandesgericht hat deshalb eine Außenstelle am Stadtrand im Ortsteil Frankfurt-Sossenheim errichten lassen. Innerhalb von fünf Wochen wurde die Leichtbauhalle aus Metall auf einem städtischen Grundstück aufgestellt. Mit rund 1.300 Quadratmetern soll sie ausreichend Platz für die Beteiligten bieten.

Die Dokumente zum Prozess sind laut dem Gericht in 801 Stehordnern abgelegt, auch dafür musste eigens ein Raum geschaffen werden. Die Kosten, die durch die zunächst für ein Jahr errichtete Außenstelle entstehen, lägen im einstelligen Millionenbereich, so die Gerichtssprecherin. Für die Sicherheit in der mit Stacheldraht umzäunten Halle sollen an jedem einzelnen Sitzungstag jeweils 40 bis 45 Wachtmeister sowie unzählige Videokameras sorgen.

Ist der Prozess öffentlich?

Der Verhandlungsauftakt ist auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Vor Prozessbeginn werden lange Zuschauerschlangen erwartet. Jede Person, die in den Gerichtssaal will, muss kontrolliert werden. Auch Medienvertreter sind zugelassen. Akkreditiert haben sich Journalisten aus der ganzen Welt. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt) stehen ihnen 59 Plätze zur Verfügung, für weitere Zuschauer sind 61 Plätze vorgesehen.

Mit Informationen von dpa, AFP und epd

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