"Wir bereichern die politische Landschaft in Deutschland", schreibt die neu gegründete politische Vereinigung "Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch" (Dava) in den sozialen Medien. Dava wurde Anfang Januar gegründet und will vor allem migrantischen Wählern eine Stimme geben. Unter den Mitgliedern sind laut Partei türkischstämmige, aber auch Menschen mit deutschen, syrischen oder iranischen Wurzeln. Viele ethnische und religiöse Minderheiten fühlten sich von den etablierten Parteien nicht vertreten, sagt der Vorsitzende, Teyfik Özcan, der bis vor kurzem SPD-Mitglied war, BR24. Am 9. Juni will Dava bei der Europawahl antreten.
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Herrmann: "Wir brauchen aber keinen Spaltpilz"
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) findet es bedenklich, "dass die Dava offenkundig einen Keil zwischen die hier lebenden Türkischstämmigen treiben möchte. Schließlich wird suggeriert, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln hier per se diskriminiert werden und nicht 'vollwertige Mitglieder der europäischen Gesellschaft' seien. Wir brauchen aber keinen Spaltpilz in unserer Gesellschaft."
Auch andere Politiker sind alarmiert. Sie werfen der Partei eine Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei AKP vor. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Michael Stübgen (CDU), sagte, es sei notwendig, dass die Sicherheitsbehörden von Anfang an "ein sehr wachsames Auge auf die Aktivitäten" werfen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schrieb auf X: "Ein Erdoğan-Ableger, der hier zu Wahlen antritt, ist das letzte, was wir brauchen." Und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) findet: "Jetzt extra solche Parteien zu gründen, die den Eindruck erwecken, es soll von außen die deutsche Politik beeinflusst werden, das finden wir falsch."
Verbindungen zu Ditib-Moscheen
Die "Bild"-Zeitung (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt) hatte am Wochenende über die Verbindungen zur Erdoğan-Regierung berichtet. So war zum Beispiel ein Mitglied von Dava in der Vergangenheit Generalsekretär und Vorsitzender des Ditib-Landesverbandes Niedersachsen und Bremen (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). Ditib-Moscheen sind seit Jahren umstritten, weil die aus der Türkei entsandten Prediger als türkische Staatsbeamte Weisungen aus Ankara folgen.
Dava beklagt gezielte Diffamierungen
Dava selbst wehrt sich gegen "die gezielten Diffamierungen und aggressiven, zum Teil hetzerischen Kampagnen" von Politikern und Medien. In einer Stellungnahme auf facebook steht: "Politiker mit Migrationshintergrund pauschal zu Sündenböcken für gesellschaftliche Missstände zu erklären, sie in verleumderischer Art und Weise als verlängerter Arm irgendeiner ausländischen Regierung zu bezeichnen, bereitete stets den Boden für Übergriffe, Attacken und sogar Morde", heißt es mit Verweis auf den CDU-Politiker Walter Lübcke, der 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet worden ist.
Im Gespräch mit BR24 bekräftigt Özcan erneut: "Wir sind eine deutsche Partei. Wir wurden von Deutschen gegründet, und wir setzen uns für Deutschland ein." Dava finanziere sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. "Warum sollen wir vom Ausland irgendwelche Direktive erhalten und uns im Ausland gefügig machen?“, sagt Özcan. Die Vereinigung habe "weder vor der Gründung und auch nicht nach der Gründung Kontakt gehabt mit Vertretern von ausländischen Regierungen".
Türkei-Forscher Çopur: "Ableger der AKP"
Beobachter schätzen die Partei anders ein: "Die Partei kann in ihrem Wahlprogramm schreiben, was sie will. Sie bleibt ein Ableger der AKP, der es vorrangig um Lobbyarbeit für das Erdoğan-Regime in der EU gehen wird", sagte der Politologe und Türkei-Forscher Burak Çopur, Professor an der IU Internationalen Hochschule Essen im Gespräch mit BR24.
Auch der Sozialwissenschaftler Kemal Bozay betont, dass "die AKP mit der Dava eine Partei zu etablieren versucht, die im politisch-parlamentarischen Kontext einerseits ethnisch-türkische sowie islamisch-nationalistische Interessen stärker propagieren und andererseits auch provozieren möchte".
Sozialwissenschaftler Bozay: Name hat "religiös-islamischen Bezug"
Außerdem weist Bozay, der Professor an der Internationalen Hochschule in Köln ist, auf den Namen hin: "Interessant ist, dass hier vor allem auch als Bezeichnung 'Dava' verwendet wird, was nicht nur die 'Sache' (heißt), sondern auch den religiös-islamischen Bezug hat", sagt er BR24. Dieser Begriff werde von der islamistisch-salafistischen Bewegung seit langem als Mobilisierungsbegriff benutzt, sagt Bozay, der zugleich Mitglied im Zentrum für Radikalisierungsforschung und Prävention (ZRP) an der IU Internationale Hochschule ist.
Das Logo von Dava ist grün – grün ist die Farbe des Islam. Özcan sagt im Gespräch mit BR24 allerdings, Namen und Logo hätten "rein marketingtechnische" Gründe gehabt. Die Werbung für die Vereinigung sei aufgegangen: "Aktuell haben wir einen sehr großen Zulauf an Bürgern, die uns unterstützen wollen", sagt Özcan. Eine genaue Zahl wollte er nicht nennen. Die Zentrale von Dava befindet sich in Frankfurt, bundesweite Strukturen gibt es noch nicht.
Erdoğan-nahe Parteien auch in anderen Ländern
Der Türkei-Experte Çopur hält es durchaus für möglich, dass Dava zumindest mit einigen Abgeordneten der Einzug ins Europaparlament gelingt. "Wenn man bedenkt, dass Kleinstparteien wie die Volt-, Familien- oder auch die Piratenpartei je einen Abgeordneten im Parlament haben, dann ist es nicht ganz unrealistisch, dass es auch eine Erdoğan-Partei mit all ihren Instrumenten, die ihr zur Verfügung stehen, wie Moscheen, die Ditib, türkische Botschaften, die sozialen Medien und türkischen Fernsehkanälen es schaffen könnte." Auch in Österreich ("Wir die Gelben") (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt) oder in den Niederlanden ("Denk") gebe es bereits Erdoğan-Ableger. "Ich denke mal, Frankreich kann durchaus auch noch folgen, sodass sie versuchen werden, aus verschiedenen Ländern in das Europäische Parlament einzuziehen.“
Kemal Bozay ist etwas skeptischer: Die bisherigen bundesdeutschen Parteien und Netzwerke im Umfeld der AKP seien nicht erfolgreich gewesen. "Daher wird es nach meinen Einschätzungen schwierig sein, dass die Dava zunächst erfolgreich sein wird", sagt der Sozialwissenschaftler. "Doch die gegenseitigen politischen Umrisse und Spaltungen, die sich auch rundum der Frage Rassismus, 'Remigration' und rassistischer Gewalt gegenüber Türkeistämmigen und Migranten in Deutschland stärker sichtbar machen, können dazu beigetragen, dass Parteien wie Dava stärker werden." Innenminister Herrmann betonte, dass Dava "vor allem politisch bekämpft werden muss. Zudem gilt es, ein genaues Auge darauf zu haben, wer sich alles in dem neuen Sammelbecken tummelt".
💡 An der Europawahl 2024 können neben Parteien auch sonstige politische Vereinigungen teilnehmen, zu denen auch Dava gehört. Laut Statistischem Bundesamt hat Dava noch keinen Wahlvorschlag sowie Unterstützungsunterschriften bei der Bundeswahlleiterin eingereicht. Bei einer gemeinsamen Liste für alle Bundesländer sind Unterschriften von 4.000 Wahlberechtigten nötig.
SPD-Politiker Karaahmetoğlu rät zu mehr Gelassenheit
Die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor reagierte wenig überrascht über die Gründung. Auf X schrieb sie: Solche Parteigründungen (…) "sind meist Ergebnis jahrelanger problematischer Integrationspolitik. Warum besteht denn eventuell ein Bedürfnis, diese zu Partei zu wählen? Hat man es jahrelang versäumt, Menschen mit Einwanderungsgeschichte mehr zuzuhören?"
Der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, Macit Karaahmetoğlu, rät zu mehr Gelassenheit. Hier eine große Gefahr heraufzubeschwören, nutze nur der Erzählung von Rechtspopulisten. Er glaube weder, dass Erdoğan und die AKP die Partei direkt, insbesondere finanziell, unterstützen werde, noch dass sich hinter der Gründung eine erhoffte Einflussnahme auf das Europaparlament verberge.
Neue Diskussion um das Staatsbürgerschaftsrecht
Unterdessen hat die Gründung von Dava eine Diskussion um das Staatsbürgerschaftsrecht neu entfacht. Es zeige sich, "dass das vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Modernisierung des Staatangehörigkeitsrechts ein großer Fehler ist. Denn die erleichterten Möglichkeiten für die doppelte Staatsbürgerschaft könnten der Dava in die Hände spielen, wenn deutlich mehr türkische Staatsangehörige zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen", so Herrmann zu BR24. Und auch der CDU-Fraktionsvize Jens Spahn sagte der "Bild"-Zeitung (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt), der türkische Präsident Erdoğan lache sich "ins Fäustchen". "Er versucht seit Jahren, die Integration von Deutsch-Türken zu sabotieren. Mit dem Doppelpass für alle macht es ihm die Ampel unnötig leicht."
Mit Informationen von dpa, KNA, AFP, Reuters
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