Es ist der 18. März 2008, der 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israels: Angela Merkel (CDU) spricht in Jerusalem als erste Bundeskanzlerin vor der Knesset, dem israelischen Parlament. Merkel stellt mit Blick auf den Holocaust klar: "Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar."
Scholz: "Deutschland an der Seite Israels"
Nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober dieses Jahres werden Merkels Worte wieder viel zitiert - auch vom jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). In einer Regierungserklärung zur Lage Israels im Deutschen Bundestag steht an seiner Seite im Parlament der israelische Botschafter. Scholz betont: "In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz - den Platz an der Seite Israels. Das meinen wir, wenn wir sagen: 'Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson'".
Das Überleben eines anderen Staates als eigene Staatsräson
Das ist einmalig in der Welt, sagt die Rechtstheoretikerin Marietta Auer, Direktorin Rechtstheorie des Max-Planck-Instituts in Frankfurt am Main: Staatsräson bedeute eigentlich, das Überleben des eigenen Staates stehe über allem oder werde über alles gestellt. "Und das Interessante hier ist, dass stellvertretend das Überleben eines anderen Staates zur eigenen Staatsräson gemacht wird." Auer betont, dass es sich dabei um einen politischen, keinen rechtlichen Begriff handle.
Holocaust: Historische Verantwortung gegenüber Israel
Die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson wird vor allem historisch begründet: Das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ist seit dem Zweiten Weltkrieg von der Schoah, dem Massenmord von Nazi-Deutschland an sechs Millionen Jüdinnen und Juden geprägt - und wird es auch immer sein. Aber nicht nur Deutschland, sondern beispielsweise auch die USA betonen das Existenzrecht Israels und somit das Recht auf Selbstverteidigung bei einem Angriff.
Deutschland für Zwei-Staaten-Lösung
Andererseits spricht sich Deutschland auch für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern aus. Deswegen zahlt Deutschland jährlich Millionen an Entwicklungshilfe für Palästinenser, um damit langfristige Projekte für Schulen, Krankenhäuser oder sauberes Wasser zu finanzieren. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sind diese Projekte und Hilfen auf Eis gelegt.
Aber: Deutschland und weitere Länder haben darauf gedrungen, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit Hilfsgütern zu versorgen, beispielsweise mit Lebensmitteln oder Medizin. Deutschland wird auch weiterhin beobachten, ob das Völkerrecht verletzt wird - und warnt Israel davor, unschuldige Zivilisten im Gazastreifen anzugreifen.
Staatsräson: Keine Verpflichtung für militärische Hilfe
Staatsräson als politischer Begriff verpflichtet also nicht dazu, etwa militärisch einzugreifen, wenn die Lage in Israel weiter eskaliert. Trotzdem würde die Bundesregierung handeln, sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Ich glaube, dass man sehr wohl bereit ist, hier sehr weit zu gehen. Und dass man möglicherweise auch schon vorfühlt im Parlament und in den Parteien, was möglich wäre."
Die Ausgestaltung dessen, was Staatsräson ist, passiert nach Mölling im Hier und Jetzt. So auch im Parlament: Sollte es nötig werden, müssten sich die Abgeordneten des Bundestags mit militärischer Hilfe für Israel befassen.
Im Audio: Die Lage in Israel und Gaza am Donnerstag
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