"Die Wirklichkeit hält sich nicht an Verträge", so erklärt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), warum er einen Plan für die Wirtschaft vorstellt, der so gar nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt ist. Überall Krisen: Putins Angriffskrieg, US-amerikanischer Wirtschaftsprotektionismus.
Die Wirklichkeit, die Habeck nun ändern will, sieht in Deutschland so aus: Das Land steckt das zweite Jahr in Folge in einer Rezession, trotz eines 0,2-Prozent-Mini-Wachstums im dritten Quartal. Die Arbeitslosenzahlen steigen im Gesamtjahr. Der Jobgarant Automobilindustrie ist in der Krise, energieintensive Industrien verlagern ins Ausland. Was tun?
Die recht kurze Antwort aller Beteiligten lautet: Investitionen anreizen. Über das Wie wird gestritten. Nachdem die Ampel noch eine Wachstumsinitiative mit 49 Maßnahmen gemeinsam auf den Weg gebracht hatte, legen die Ampel-Spitzen nun konkurrierende Vorschläge vor.
Der Habeck-Plan: Zehn-Prozent-Investitionsprämie
Der Bundeswirtschaftsminister hat mit einem Strategiepapier konkretisiert, was er zuvor bereits als "Deutschlandfonds" beworben hatte. Habeck will aus diesem Fonds eine Investitionsprämie finanzieren: zehn Prozent dessen, was die Unternehmen investieren, sollen sie vom Staat bekommen. Fünf Jahre soll das gelten. Die Prämie werde mit der Steuerschuld verrechnet. Sie komme laut dem Strategiepapier "gerade auch Handwerksbetrieben sowie kleinen und mittelständischen Betrieben" zugute.
Auch Start-ups, die noch keinen Gewinn machen und deshalb nicht den Steuerrabatt nutzen können, sollen profitieren. Ihnen würden die zehn Prozent der Investitionssumme überwiesen. Habecks Ziel ist es, die Investitionsbereitschaft der Unternehmen zu erhöhen, etwa wenn sie in neue Maschinen investieren.
Was kostet das und woher kommt das Geld?
Unklar. Laut Berechnung des Bundes der deutschen Industrie (BDI) könnte es sich um einen "mittleren dreistelligen Milliardenbetrag" handeln. Habeck nimmt das Wort Schulden nicht in den Mund, er umschreibt es: "Das muss vorfinanziert werden. Ich sehe keine andere realpolitische Möglichkeit." Ein neues Sondervermögen, wie es für die Bundeswehr aufgelegt wurde, wäre aus Habecks Sicht die beste Lösung.
Was sagt die Wirtschaft?
Interessante Idee, aber unklare Gegenfinanzierung, so die Reaktion verschiedener Wirtschaftsverbände. "Weitere Nebelkerzen" sieht dagegen Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes der Familienunternehmer.
Wie sinnvoll wäre die Steuerprämie? Sie richte sich gezielt an Unternehmen, die tatsächlich investieren, sagt Wettbewerbsökonom Jens Südekum. Das erreiche eine "höhere Treffsicherheit". So würden nicht alle Unternehmen pauschal mit der Gießkanne entlastet.
Anders sieht es Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: Den meisten Unternehmen mangle es nicht an Geld, sondern an Vertrauen, Zuversicht und Projekten, in die sie lohnenswert investieren könnten, so der Ökonom.
Im Audio: Was das Konzept aus dem Wirtschaftsministerium vorsieht.
Der Lindner-Plan: Unternehmenssteuer senken, Soli abschaffen, Schuldenbremse einhalten
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hält wegen unklarer Finanzierung nichts vom Habeck-Plan. "Wir können schlicht nicht einfach so viel Geld ausgeben, wie wir wollen", sagt Lindner. Sein eigener Plan ist aber auch nicht kostenfrei: Er will die Unternehmenssteuer senken, dazu den Solidaritätszuschlag ganz abschaffen.
Der Soli wird derzeit noch von Spitzenverdienern und Unternehmen gezahlt. Die Unternehmenssteuer setzt sich aus der Gewerbesteuer, die bei durchschnittlich 14 Prozent liegt und kommunal variiert sowie der Körperschaftsteuer zusammen, die bei 15 Prozent liegt. Sie wird vom Bund festgelegt.
Andere Staaten wie Frankreich haben die Steuern für Unternehmen massiv gesenkt. Deutschland liegt derzeit in diesem internationalen Steuerwettbewerb wieder weiter hinten.
Was kostet das und woher kommt das Geld?
Das Steueraufkommen durch den Soli beträgt rund zwölf Milliarden Euro pro Jahr. Er wird zu mehr als der Hälfte von der Wirtschaft gezahlt. Für die wäre die Abschaffung eine klare Entlastung. Und eine Belastung des Staats durch weniger Steuereinnahmen. Bei der Unternehmenssteuer lässt sich der Betrag nicht eindeutig benennen.
Was sagt die Wirtschaft?
Die Abschaffung des Soli kommt gut an bei den Familienunternehmen, die das als "Investitionsbooster" bezeichnen. Die Unternehmenssteuersenkung findet bei Verbänden wie dem BDI großen Anklang. Die wettbewerbsfähige Steuerbelastung, die der BDI vorschlägt, dürfe bei maximal 25 Prozent liegen, damit der Standort Deutschland für Unternehmen auch in Zukunft attraktiv sei.
Was bringt eine Unternehmenssteuersenkung?
Darüber gehen Meinungen und Studienergebnisse weit auseinander: Das IW Köln bestätigt in einer Studie, dass die Senkung der Körperschaftssteuer um einen Prozentpunkt über fünf Jahre zwar zunächst einen Steuerrückgang bewirke, auf lange Sicht aber die positiven Effekte überwögen. Die Mindereinnahmen lägen bei maximal 17 Milliarden Euro im Jahr. Die würden durch mehr Investitionen und den Anstieg des Bruttoinlandsproduktes ausgeglichen.
Genau diesen Nutzen sieht eine Überblicksstudie von IMK und Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche nicht. 42 Studien wurden ausgewertet. Das Fazit der Forscher: Senkungen der Unternehmenssteuern mögen den internationalen Steuerwettbewerb stimuliert haben, das Wachstum aber eher nicht.
Der Scholz-Plan: "Pakt für die Industrie"
Nach seinem Treffen mit Industrieverbänden, Unternehmen, Gewerkschaften am Dienstag stellte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Pakt für die Industrie in Aussicht. Mit einem Pakt, "der sehr konkrete Maßnahmen umfasst", solle der Standort gestärkt werden, sagte Scholz.
Bisher sind keine Maßnahmen bekannt, wahrscheinlich ist, dass das Problem der hohen Energiekosten angegangen werden soll. Dass Scholz dabei die Vorschläge von Habeck und Lindner aufnehmen wird, gilt als nicht sehr wahrscheinlich. Zumal unklar ist, inwieweit sich vor allem Grüne und FDP in Wirtschaftsfragen überhaupt noch annähern können.
Vielleicht ist das der Grund, warum weder Lindner noch Habeck zum letzten Treffen des Kanzlers mit der Industrie eingeladen waren. Und auch beim nächsten Treffen am 15. November sind sie nicht dabei. Danach will der Kanzler Ergebnisse präsentieren.
Im Video: Was zwei Wirtschaftsgipfel in einer Woche ergaben
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