Es ist ein Streitthema mit langer Vorgeschichte in der Europäischen Union: Seit 2020 liegt ein Vorschlag der EU-Kommission für ein Asyl- und Migrationspaket auf dem Tisch, dessen Umsetzung bislang jedoch an den unterschiedlichen Positionen der Mitgliedsstaaten gescheitert ist. Nun hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser angekündigt, sich für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen einzusetzen. Geflüchtete sollen demnach bereits an den EU-Außengrenzen registriert, erfasst und identifiziert werden.
Eine große Mehrheit der Deutschen unterstützt diesen Ansatz. Für 79 Prozent geht dieser Vorschlag in die richtige Richtung, für jeden Zehnten (11 Prozent) in die falsche Richtung. Über Details einer solchen Regelung wird im Vorfeld eines für den 10. Mai im Kanzleramt geplanten Bund-Länder-Gipfels diskutiert.
Kritiker befürchten, dass solche Asylverfahren an den EU-Außengrenzen das Recht auf Asyl aushöhlen und es für viele Flüchtlinge de facto abschaffen. Dass Menschen, die aus verschiedenen Gründen auf der Flucht sind, in Deutschland aufgenommen werden sollten, findet einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung - auch wenn dieser in Teilen leicht zurückgeht: So halten es 84 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für richtig, dass Deutschland Flüchtlinge aufnimmt, die vor Krieg oder Bürgerkrieg fliehen (-10 im Vgl. zu Februar 2016). 70 Prozent unterstützen die Aufnahme von Menschen, die wegen Hungers- oder Naturkatastrophen aus ihrem Heimatland geflohen sind (-9 im Vgl. zu September 2015). Zwei Drittel (68 Prozent) unterstützen die Aufnahme von Flüchtlingen, die aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden (-5 im Vgl. zu Februar 2016). Menschen in Deutschland aufzunehmen, die geflohen sind, weil sie in ihrem Heimatland keine Arbeit und kein Auskommen haben, findet dagegen nur eine Minderheit von 30 Prozent richtig (+5); sechs von zehn Deutschen (61 Prozent) finden das falsch.
Mehrheit für Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer
Anstrengungen für zivile Seenotrettung im Mittelmeer finden mehrheitliche Unterstützung bei den Bürgerinnen und Bürgern. Sechs von zehn Deutschen (60 Prozent) finden es gut, dass private Initiativen Flüchtlinge aus Seenot im Mittelmeer retten und in europäische Häfen bringen, jeder Dritte (32 Prozent) findet das nicht gut. Ebenfalls 60 Prozent finden, auch die EU-Staaten sollten Flüchtlinge mit eigenen Kräften aus Seenot retten; 29 Prozent stimmen dem nicht zu.
Jeder Zweite will weniger Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen
Während es also ein deutliches Bekenntnis zum Prinzip gibt, dass Deutschland Flüchtlinge aufnehmen soll und Menschen aus Seenot gerettet werden müssen, sieht der Blick auf die konkrete Situation in Deutschland etwas anders aus. Eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger (52 Prozent) spricht sich dafür aus, weniger Flüchtlinge aufzunehmen als derzeit. Diese Gruppe der Befragten ist seit dem Beginn des Jahres 2020, als die Zahlen der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge niedriger lagen, um 12 Prozentpunkte angewachsen. Fast jeder Dritte (33 Prozent) ist aktuell der Meinung, Deutschland sollte etwa so viele Flüchtlinge aufnehmen wie derzeit (-9 im Vgl. zu Januar 2020). Nahezu jeder Zehnte (8 Prozent) meint, Deutschland sollte mehr Flüchtlinge aufnehmen (-3).
Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man nach Fachkräften aus dem Ausland fragt. Vier von zehn Deutschen (41 Prozent) sind der Meinung, Deutschland sollte mehr Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Weitere 28 Prozent halten das derzeitige Niveau für passend. Knapp jeder Vierte (23 Prozent) findet hingegen, Deutschland sollte weniger Fachkräfte aus dem Ausland anwerben.
Parteienkompetenz bei Einwanderungspolitik bei allen Parteien gesunken
Zuletzt hat der ARD-DeutschlandTrend vor der Bundestagswahl 2021 gefragt, welcher Partei die Bürgerinnen und Bürger am ehesten zutrauen, eine gute Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu betreiben. Hier ist das Vertrauen in alle im Bundestag vertretenen Parteien zurückgegangen: Jeder Fünfte (21 Prozent) traut das am ehesten der Union zu (-2 im Vgl. zu September 2021). 16 Prozent sehen diese Kompetenz am ehesten bei der SPD (-6). Die AfD kommt auf 12 Prozent (-2), die Grünen auf 6 Prozent (-8), die FDP auf 4 Prozent (-2), ebenso wie die Linke (+/-0). 2 Prozent der Befragten nennen eine andere Partei (+/-0). Einer relativen Mehrheit von 35 Prozent fällt für eine gute Flüchtlings- und Einwanderungspolitik keine Partei ein; dieser Anteil liegt damit um 19 Prozentpunkte höher als noch unmittelbar vor der Bundestagswahl 2021.
Die Hälfte der Deutschen (50 Prozent) sagt, es mache ihnen Angst, dass so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen; dieser Wert ist nahezu unverändert zu Februar 2016. 46 Prozent stimmen dieser Aussage nicht zu. Drei von vier Deutschen (77 Prozent) sind der Meinung, die politischen Parteien kümmerten sich viel zu wenig um die Probleme, die durch die Zuwanderung von Flüchtlingen entstehen (+1 im Vgl. zu Januar 2014). Etwa vier von zehn Deutschen (37 Prozent) finden, die Politik in Deutschland tue genug für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen. Derweil sagen 27 Prozent, sie tue dafür zu wenig und 29 Prozent, sie tue dafür - im Gegenteil - zu viel.
AfD zieht in Sonntagsfrage mit den Grünen gleich, Union weiterhin stärkste Kraft
Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, dann käme die Kanzlerpartei SPD aktuell auf 17 Prozent (-1 im Vgl. zu April). Die Union bleibt bei 30 Prozent (+/-0) und damit weiterhin stärkste Kraft. Die Grünen verlieren einen Punkt und kämen aktuell auf 16 Prozent. Sie lägen damit gleichauf mit der AfD (16 Prozent, +1) an dritter Position. Für die AfD ist es der höchste Wert seit November 2018. Die FDP kommt auch im Mai auf 7 Prozent (+/-0). Die Linke erreicht 5 Prozent (+1) und würde damit knapp in den Bundestag einziehen. Auf alle weiteren Parteien entfallen unverändert 9 Prozent.
Grafiken: Politikerzufriedenheit
Studieninformation
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte in Deutschland; Erhebungsmethode: Zufallsbasierte Telefon- und Online-Befragung; Fallzahl: 1.360 Befragte (811 Telefoninterviews und 549 Online-Interviews); Gewichtung: nach soziodemographischen Merkmalen und Rückerinnerung Wahlverhalten, Sonntagsfrage mit separater Gewichtung; Erhebungszeitraum: 02. bis 03. Mai 2023; Schwankungsbreite: 2 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 10 Prozent 3 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 50 Prozent; durchführendes Institut: infratest dimap
Die Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden. Denn für alle repräsentativen Befragungen müssen Schwankungsbreiten berücksichtigt werden. Diese betragen im Falle einer Erhebung mit 1000 Befragten bei großen Parteien rund drei Prozentpunkte, bei kleineren Parteien etwa einen Punkt. Hinzu kommt, dass der Rundungsfehler für kleine Parteien erheblich ist. Aus diesen Gründen wird keine Partei unter drei Prozent in der Sonntagsfrage ausgewiesen.
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