Frankreich und Deutschland schauen sehr unterschiedlich auf Schulden. Das fängt schon bei der Sprache an, erklärte Bruno Le Maire in einer Arte-Dokumentation. Darin sagte der französische Finanz- und Wirtschaftsminister, der französische Begriff für die Schuld ("la dette") sei allein auf die finanzielle Schuld bezogen. In Deutschland wiederum habe der Begriff eine weitere Ebene, die der moralischen Verfehlung. Die moralische Aufladung finanzieller Schuld, so Le Maire, gehe in Deutschland sehr tief. In Frankreich wiederum existiere sie nicht.
Deutschland mit besonderem Bild des Staates
Sind Schulden in Deutschland also ein semantisches Problem? Möglicherweise, sagt der österreichische Politikwissenschaftler Andreas Eisl, der am Institut Jacques Delors in Paris arbeitet. Eisl beschäftigt sich in seiner Forschung mit der europäischen Budgetpolitik. In Deutschland werde beim Thema Schulden der Staat häufig mit der schwäbischen Hausfrau verglichen, die mit dem Geld auskommen muss, das ihr zur Verfügung stehe. Kein guter Vergleich, meint Eisl, da ein Staat prinzipiell ewig existiere.
In Frankreich hingegen sage man, ein Bürger leihe sich ja auch Geld, wenn er ein Haus bauen will. Dennoch sei es natürlich für Frankreich schwierig, "Deutschland Lektionen zu erteilen, wenn man auf den Schuldenstand Frankreichs sieht", so Eisl.
In Europa herrscht keine Furcht vor Schulden
Deutschland ist nicht das einzige Land mit einer Schuldenbremse in Europa. Dennoch gehören die deutschen Haushaltsregeln hier zu den strengsten, die den Spielraum mit am meisten einschränken.
Befürchtungen wie die von CDU-Chef Friedrich Merz, wonach Deutschland an einer strengen Haushaltsdisziplin festhalten müsse, da ansonsten im Rest der Europäischen Union die Dämme brechen könnten, kann der Österreicher nicht nachvollziehen. Deutschlands Gesamtverschuldung liegt bei knapp 65 Prozent und ist damit die niedrigste unter den G7-Staaten. Die meisten EU-Staaten hätten derzeit eine andere Sorge als eine galoppierende Staatsverschuldung: "Nämlich dass Deutschland dann als Wachstumsmotor in Europa wegfällt", so Eisl. Wenn Deutschland nun in einer wirtschaftlich schwierigen Lage, in der die Wirtschaft nicht wächst, auch noch spare, könne das erst recht die Klimaziele der Europäischen Union gefährden.
USA starten große Investitionspakete
Ein Blick über den Atlantik: Die Staatsverschuldung der USA liegt bei mehr als 33 Billionen Dollar, mehr als 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, viel mehr als in Deutschland. Trotzdem verabschiedete Präsident Joe Biden in den vergangenen Jahren massive Investitionspakete, die vor allem die Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen sollen: den Inflation Reduction Act mit einem Volumen von rund 370 Milliarden Dollar; oder den Chips Act in Höhe von über 40 Milliarden Dollar. Für die Ökonomin Kimberly Clausing sind diese Pakete jedoch eher ein Ausdruck der Schwäche als der Stärke.
Clausing leitet den Lehrstuhl für Steuerpolitik an der University of California in Los Angeles. Sie meint, die Europäische Union habe mit dem CO₂-Zertifikatehandel bessere Akzente setzen können als die US-Regierung. Weil mit den Republikanern ein Preis für CO₂ nicht zu machen sei, versuche es die Biden-Administration auf einem anderen Weg: "Indem die Regierung Energiewende, Innovationen und Anpassungen an die Klimakrise subventioniert, hofft sie darauf, sich den Anforderungen des Pariser Klimaabkommens anzunähern", erklärt Clausing.
Sollte man lieber in Entwicklungsländer investieren?
Die USA setzen vor allem mit dem Inflation Reduction Act weniger auf direkte Subventionen an Unternehmen, sondern mehr auf Steuergutschriften. Wenn Firmen etwa den Umstieg in die Elektrifizierung wagen, verringert sich ihre Steuerlast. Clausing sagt, für den Klimaschutz sind Schulden in jedem Fall gerechtfertigt. Am besten investiert sei das Geld jedoch an anderer Stelle, nämlich bei Projekten in Entwicklungs- und Schwellenländern: "Wenn man in die Dekarbonisierung der Wirtschaft in Indien oder Afrika investiert, erreicht man mit derselben Menge Geld viel mehr als in Deutschland oder in den Vereinigten Staaten", meint die Wirtschaftswissenschaftlerin.
Das stimme einerseits. Jedoch, merkte etwa der Risiko- und Nachhaltigkeitsforscher Ortwin Renn im Dossier Politik des BR an, käme das Geld in diesen Ländern häufig nicht dort an, wo es gebraucht werde. Außerdem fehle die Motivation, wenn die entwickelten Länder wie Deutschland, Frankreich oder die USA ihre eigene Transformation nicht schafften.
Im Video: Milliardenloch, Schuldenbremse, Ampel-Zoff - Ist Deutschland pleite? Possoch klärt
Dieser Artikel ist erstmals am 10. Dezember 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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