Das Bundesverfassungsgericht hat den Finanzierungsplänen der Ampel-Regierung einen Riegel vorgeschoben. 60 Milliarden Euro, die ursprünglich für die Folgen der Corona-Pandemie eingeplant waren, dürfen nun nicht in den Klimaschutz investiert werden. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte aufgrund des Milliardenlochs zunächst eine Haushaltssperre für 2023 verhängt und plant nun, die Schuldenbremse erneut außer Kraft zu setzen. Welche Optionen hätte die Bundesregierung, mit dieser Krise umzugehen und muss die Schuldenbremse am Ende wieder aus dem Grundgesetz gestrichen werden?
Drei Wege aus der Krise
Generell gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Die Ampel-Regierung macht noch einmal eine Ausnahme von der Schuldenbremse, so wie es jetzt Finanzminister Lindner vorsieht. Zweite Möglichkeit: Die Bundesregierung fährt einen harten Sparkurs. Das hatte etwa CDU-Chef und Oppositionsführer Friedrich Merz gefordert und nannte in diesem Zusammenhang die Kindergrundsicherung, das sogenannte Heizungsgesetz und das Bürgergeld. Drittens: Die Regierung versucht mit Finanztricks im Haushalt weiterhin Geld auszugeben.
Für Wirtschaftshistoriker Klemens Skibicki ist der Weg, den die Ampel eigentlich gehen müsste, recht eindeutig: Man müsse sich disziplinieren, so wie jeder Privathaushalt auch. "Wenn ich meiner Familie sage, wir wollen dieses Jahr in Urlaub fahren, wir wollen ein Auto kaufen, haben aber nicht mehr Geld, dann müssen wir uns überlegen, wo wir an anderer Stelle einsparen, anders wird es nicht gehen", sagt Skibicki im Gespräch mit BR24 für das neue “Possoch klärt” (Video oben, Link unten).
"Schuldenbremse war kein historischer Fehler"
Im Zuge des Streits über das Milliardenloch im Haushalt kocht eine generelle Debatte über die Schuldenbremse hoch und der jetzige Plan, sie erneut auszusetzen wirft die Frage auf: Ist sie überhaupt noch zeitgemäß? Grüne und SPD etwa wollen sie reformieren oder in ihrer jetzigen Form gar ganz abschaffen. Wirtschaftsweise Veronika Grimm hält im Gespräch mit BR24 die Schuldenbremse jedoch nach wie vor für richtig und wichtig.
So sei die Schuldenbremse gut, um sinnvoll zu haushalten und zu priorisieren. So würden auch zukünftige Generationen nicht übermäßig belastet und zukünftige Wirtschaftskrisen gemeistert werden, erklärt Grimm. Schließlich habe Deutschland dank der Schuldenbremse nach der Finanzkrise die eigenen Schulden reduzieren können – ganz im Gegensatz zu vielen anderen großen Volkswirtschaften der Europäischen Union – und sei so wesentlich besser für die Corona-Krise gerüstet gewesen. "Die Schuldenbremse war kein historischer Fehler", sagt Grimm.
Im Video: Milliardenloch, Schuldenbremse, Ampel-Zoff – Ist Deutschland pleite? Possoch klärt!
"Die Schuldenbremse ist blind"
Ökonom Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin hält die Schuldenbremse dagegen nicht mehr für zeitgemäß. Sie sei "blind" gegenüber den Bedürfnissen der Gesellschaft und der Wirtschaft und unterscheide nicht zwischen Zukunftsinvestitionen und kurzfristigen Staatskonsum.
"Heute ist klar, der Staat, Deutschland als Gesellschaft, braucht massiv mehr Investitionen in eine gute Infrastruktur, in Bildung, in Innovation, damit der Wohlstand, viele gute Jobs in Deutschland, gesichert werden können", sagt Fratzscher im Gespräch mit BR24. Die Schuldenbremse würde das verhindern.
Sparpolitik: "Weniger Investitionen sind schädlichste Kürzungen"
Laut Marcel Fratzscher ist die Alternative zum Aussetzen der Schuldenbremse eine Sparpolitik, die Investitionen in Bildung und Klimaschutz betreffen würde. Auch die Investitionen in Straßen, digitale Infrastruktur und Energieinfrastruktur wären dann dem Wirtschaftsexperten zufolge gefährdet.
"Das sind eben die schädlichsten Kürzungen, die man machen kann, weil das letztlich zulasten der Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft geht", sagt Fratzscher. Die Folge sei, dass Unternehmen abwandern, Jobs verloren gehen und damit auch Innovationen nur außerhalb Deutschlands stattfinden würden.
Drohen Steuererhöhungen?
Grüne und Teile der SPD wären bereit, Steuern für Wohlhabende zu erhöhen. Diese Möglichkeit, über Steuererhöhungen aus der Krise zu kommen, sieht Fratzscher kritisch. Es sei nicht klug, in schwierigen Zeiten wie diesen die Steuern anzuheben, auch nicht für Unternehmen und Topverdiener. Aber: "In guten Zeiten, also wenn wir hoffentlich in drei, vier, fünf Jahren die Kurve auch wirtschaftlich in Deutschland bekommen haben, dann halte ich eine Steuererhöhung für große Vermögen für absolut gerechtfertigt", sagt Fratzscher. Schließlich sei Deutschland weltweit das einzige Land, das Arbeit stärker und Vermögen geringer besteuere.
Wirtschaftswachstum dank noch höherer Verschuldung?
Kurzfristig gesehen sei es laut Fratzscher besser, über höhere Schulden auf das Milliardenloch zu reagieren. Wirtschaftshistoriker Klemens Skibicki sieht diese Lösung jedoch kritisch. Das Wirtschaftswachstum mit hoher Verschuldung anzukurbeln, um zu einem späteren Zeitpunkt alles zurückzuzahlen, habe bisher nicht funktioniert. "Das Geld ausgeben hat immer prima funktioniert, das später zurückfahren, die Fleischtöpfe wieder wegnehmen, war unglaublich schwierig."
"Ich betrachte es als meine Aufgabe, reinen Tisch zu machen", sagt Finanzminister Lindner bei seinem knappen Statement am Donnerstagnachmittag. Kommende Woche werde er den Entwurf für einen Nachtragshaushalt vorlegen – in Absprache mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Zweck dieses Nachtragshaushalts wird es sein, eine Notlage für das laufende Jahr zu erklären – um die Schuldenbremse doch noch auszusetzen.
Für eine generelle Änderung der Schuldenbremse im Grundgesetz braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – da müsste also auch die Opposition mit an Bord kommen.
Dieser Artikel ist erstmals am 24.11.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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