In der Debatte über den Abschuss von problematischen Wölfen haben Bund und Länder laut Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) einen "Durchbruch" erzielt. Sie sei sehr dankbar dafür, dass ein einstimmiger Beschluss mit allen 16 Ländern zum Umgang mit dem Wolf gefasst worden sei, "der in Zukunft Schnellabschüsse ermöglicht, wenn ein Wolf Herdenschutz überwunden hat und ein Tier gerissen hat", sagte Lemke zum Abschluss der Umweltministerkonferenz in Münster. Künftig solle es möglich sein, "wirklich unbürokratisch und schnell und ohne DNA-Test einen Abschuss zu erteilen".
Die EU-Kommission habe in einem Schreiben bestätigt, dass dieser Vorschlag mit EU-Recht vereinbar sei, erläuterte die Ministerin. "Das heißt, es gibt auch ein klares Zeichen der Rechtssicherheit mit dem heutigen Beschluss für diejenigen, die in den Ländern vor Ort die Entscheidung treffen." Lemke will die Einigung auch als "Zeichen der Versöhnung" verstanden wissen, "um diesen gesellschaftlichen Konflikt zu befrieden". Sie appelliere an alle, bei diesem Thema "nicht populistisch zu agieren".
Länder wollen einheitliche Regelung
Mecklenburg-Vorpommerns Umwelt- und Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) zeigte sich "dankbar" und "fast euphorisch", dass ein einstimmiger Beschluss gelungen sei. Er habe die sechs Bundesländer mit den meisten Wölfen eingeladen, eine "gemeinsame Wolfsverordnung" zu formulieren, die dann der Bundesregierung vorgelegt werde. Davon verspricht sich Backhaus Planungs- und Rechtssicherheit sowie Gerichtsfestigkeit. Dem SPD-Politiker zufolge wollen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein nächste Woche entsprechende Gespräche über eine länderübergreifende Verordnung aufnehmen. Sie soll schon zum Beginn der Weidesaison 2024 greifen.
Künftig sollen demnach die Bundesländer Gebiete mit "erhöhtem Rissaufkommen" identifizieren. Dort soll schon nach "erstmaligem Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes" und dem Riss eines Weidetiers eine Abschussgenehmigung möglich sein. Diese soll 21 Tage lang auf einem Gebiet mit einem Radius von bis zu 1.000 Metern um die betroffene Weide gelten.
Bayerns Minister Glauber: "Für uns ist das zu wenig"
Bayern wird bei den weiteren Beratungen der sechs Bundesländer nicht dabei sein - und will offenbar bei seiner eigenen Wolfsverordnung bleiben. Zwar stimmte der Freistaat wie alle anderen Bundesländer zu, sieht in der Einigung aber nur einen ersten Schritt. In einer Protokollerklärung zum Beschluss fordert Bayern vom Bund und von der EU weitergehende Entscheidungen.
Der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber sagte dem BR: "Für uns ist das natürlich in Bayern deutlich zu wenig." Dem Freie-Wähler-Politiker ist der hohe Schutzstatus des Wolfes insgesamt ein Dorn im Auge. Seiner Meinung nach gibt es längst wieder genügend Wölfe in Deutschland. Daher müsse der Bund dies offiziell feststellen und bei der EU erreichen, dass der Schutzstatus sinkt: Erst wenn der "gute Erhaltungszustand" des Wolfes definiert sei, lasse sich "ein Abschuss auch ordentlich vollziehen". Bayern werde den Druck aufrechterhalten. Der Beschluss der Umweltministerkonferenz sei "nicht praktikabel genug".
Kritik an Bayern
Lemke verweist darauf, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zum Jahresende Vorschläge für eine europäische Lösung angekündigt habe. Diese werde man selbstverständlich bewerten und schauen, "was davon lösungs- und praxisorientiert umsetzbar" sei. Ihr gehe es aktuell darum, schnell jenen Menschen zu helfen, "die wirklich auf der Weide stehen, die Tiere verloren haben" - statt politische Scharmützel zu führen.
Der Bundesministerin ist es zudem wichtig, "zu betonen, dass Bayern dem Beschluss zugestimmt hat". Deshalb gehe sie davon aus, dass auch der Freistaat diese Vorschläge umsetzen werde. Backhaus nutzte die Pressekonferenz für einen Seitenhieb gegen seinen bayerischen Amtskollegen Glauber, der nicht zu den Beratungen nach Münster gereist war: Er nehme zur Kenntnis, dass der Minister "bei diesem wichtigen Thema" nicht anwesend gewesen sei.
AfD fordert "unbürokratische Regeln"
Der bayerische AfD-Abgeordnete Ralf Stadler beklagte, dass der Wolf immer weiter in dicht besiedelte Regionen eindringe. "Dies stellt eine Gefahr für Tier und Mensch dar." Die AfD trete daher dafür ein, dass es endlich konsequente und vor allem unbürokratische Regeln sowie Rechtssicherheit beim Abschuss von Wölfen gibt. "Denn immer mehr Steuergeld für den Herdenschutz auszugeben, kann nicht die Lösung sein." Stadler fügte hinzu, es spreche aber nichts gegen "eine ökologisch verträgliche Wolfspopulation" in Deutschland.
Bauernverband enttäuscht
Gabi Thanbichler vom Bayerischen Bauernverband zeigte sich enttäuscht, dass bei der Umweltministerkonferenz "überhaupt nicht über ein aktives Bestandsmanagement" gesprochen worden sei. "Die Wolfzahlen explodieren in Deutschland insgesamt", sagte sie dem BR. Auch sie fordert vom Bund, den guten Erhaltungszustand des Wolfes bei der EU zu melden, damit der Schutzstatus gesenkt werde.
Laut Thanbichler braucht es künftig weiterhin die bayerische Wolfsverordnung, die die Entnahme von Wölfen in "nicht schützbaren Gebieten" betreffe. Zusätzlich kämen dann die Beschlüsse der Umweltminister für die durch Zäune schützbaren Gebiete hinzu.
Bund Naturschutz: Bayern muss "seine Hausaufgaben machen"
Der Vorsitzende des Bunds Naturschutz in Bayern, Richard Mergner, forderte die Staatsregierung auf, damit aufzuhören, die Verantwortung für den Schutz der Weidetiere nach Berlin oder Brüssel abzuschieben. Die Bundesregierung habe ihre Hausaufgaben gemacht und einen praxisnahen Vorschlag für den Abschuss von Wölfen vorgelegt, zu dem sie auch die Zustimmung der EU-Kommission eingeholt habe.
"Jetzt ist es an Bayern, seine Hausaufgaben zu machen", sagte Mergner. In Gebieten, in denen der Zaunbau nicht zumutbar sei, müsse dringend die Wiedereinführung einer "gelenkten Beweidung durch Hirten" gefördert werden. "Schafe ohne Herdenschutz sind eine leichte Beute für Wölfe." Mit der Bayerischen Wolfsverordnung habe der Freistaat die rote Linie des rechtlich Machbaren deutlich überschritten.
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