Die Zahl antisemitischer Vorfälle ist seit dem 7. Oktober nach Angaben des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) deutlich gestiegen. Im ersten Monat nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel haben Meldestellen in Deutschland bundesweit 994 antisemitische Vorfälle dokumentiert.
Rechnerisch seien das 29 Fälle pro Tag, 320 Prozent mehr als der tägliche Durchschnitt 2022, berichtete Rias in Berlin. Die Auswertung umfasst den Zeitraum 7. Oktober bis 9. November 2023. Rias dokumentiert nach eigenen Angaben Versammlungen als Fälle antisemitischen verletzenden Verhaltens, wenn es auf ihnen zu antisemitischen Äußerungen kommt oder wenn antisemitische Inhalte auf Schildern, Flyern oder in Reden verbreitet werden.
Viele Jüdinnen und Juden erleben Antisemitismus im Alltag
Viele Jüdinnen und Juden erlebten antisemitische Vorfälle im Alltag und fühlten sich unsicher, so Rias. Allein 59 Vorfälle im Wohnumfeld seien gemeldet geworden. Zum Beispiel seien in Gießen zwei Männer gewaltsam in die Wohnung eines Israeli eingedrungen, um eine aus dem Fenster hängende Israelflagge zu entfernen.
Auch an den Universitäten nähmen Antisemitismus und antiisraelische Propaganda zu. Insgesamt seien 37 antisemitische Vorfälle an Hochschulen dokumentiert worden. Jüdische Studierende hätten berichtet, dass sie von Kommilitonen für das Verhalten Israels verantwortlich gemacht worden seien. Einige seien nicht mehr zur Uni gegangen. In Franken sei an einer Hochschule das Bild einer Person, die sich gegen Antisemitismus engagiere, mit Hassparolen markiert worden.
Außerdem komme es an Hochschulen zu antisemitischen Schmierereien und Versammlungen sowie dem Verteilen antisemitischer Flyer. Zentralratspräsident Josef Schuster sagte in einem Interview der "Welt" (Dienstag online, Externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt): "Dass gerade Orte wie Universitäten, die sich für besonders zivilisiert halten, teilweise zu No-Go-Areas für Jüdinnen und Juden werden, gibt ein trauriges Bild ab."
Die Zahlen seien erschreckend, aber nicht verwunderlich, erklärte Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland. "Junge Jüdinnen und Juden berichten seit dem 7. Oktober ununterbrochen, wie stark der Antisemitismus, den sie in ihrem alltäglichen Leben wahrnehmen, vor allem im universitären Kontext, zugenommen hat."
Bundesweit 177 antisemitische Versammlungen
Die Rias-Meldestellen erfassten bundesweit 177 antisemitische Versammlungen. Als regionale Schwerpunkte der Versammlungen haben sich Nordrhein-Westfalen (34), Niedersachsen (24), Bayern (24), Berlin (23), Hessen (19) und Baden-Württemberg (18) herauskristallisiert.
Die Gleichzeitigkeit von Forderungen nach Frieden einerseits und Parolen, die Gewalt propagieren oder die Israel das Existenzrecht absprechen andererseits, sei auch weiterhin auf einer Vielzahl von Versammlungen sichtbar, hieß es. Die Darstellung israelischer Militäroperationen als "Genozid" wurde demnach oftmals weiter zugespitzt und ging mit geschichtsrevisionistischen Analogien zwischen der aktuellen Situation in Israel und dem Nationalsozialismus einher. So sei es häufiger zu Verschränkungen von israelbezogenem mit Post-Schoa-Antisemitismus gekommen.
Rias: Desinformation trägt zur Mobilisierung bei
Desinformation trage zur Mobilisierung bei, so etwa ungeprüfte Meldungen über einen angeblichen Angriff der israelischen Armee auf das Al-Ahli Krankenhaus am 17. Oktober, hieß es. Danach habe sich die Zahl antisemitischer Versammlungen im Vergleich zur Woche davor verdoppelt.
"Die Propagandaerfolge der Hamas haben auf den Zu- und Verlauf von Demonstrationen in Deutschland einen größeren Einfluss als das Agieren des israelischen Militärs selbst", sagte Rias-Geschäftsführer Benjamin Steinitz. Medien hätten die Verantwortung, Bilder und Opferzahlen genau zu prüfen.
Mit Informationen von dpa, epd und KNA
Im Audio: Wie sich Fakenews über den Krieg bei X verbreiten
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