Erstmals ist mit der Schweiz ein Land wegen unzureichenden Klimaschutzes vom Europäischen Menschenrechtsgericht verurteilt worden: Klimaschützer hatten mit einer Klage für schärfere Maßnahmen gegen den Klimawandel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Erfolg. Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Zur Urteilsverkündung reisten mehrere Hundert Menschen an, auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Klimaschutz als Menschenrecht: Urteil bezieht sich vorerst auf die Schweiz
Der mangelnde Klimaschutz der Schweiz habe die klagenden Seniorinnen in ihren Menschenrechten verletzt, entschieden die Richter am Dienstag in Straßburg. Die Frauen seien in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben und in ihrem Recht auf ein faires Verfahren berührt worden. Das Urteil könnte ein Präzedenzfall für weitere Klimaklagen sein.
Der Fall der Klimaseniorinnen war die erste Klimaklage überhaupt, die vor der Großen Kammer des EGMR angehört wurde. Der Zusammenschluss der Schweizer Rentnerinnen wurde initiiert und unterstützt von Greenpeace. Die Seniorinnen argumentierten, dass sie durch ihr Alter besonders durch den Klimawandel gefährdet sind, beispielsweise wegen extremer Hitzewellen. Der Verein hat nach Angaben von Greenpeace über 2.500 Mitglieder in der ganzen Schweiz mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren.
💬 BR24-User "lesefisch" hat in den Kommentaren gefragt, welche Konsequenzen das Urteil für die Schweiz hat. Das Team von "Dein Argument" hat ergänzt:
Laut dem Schweizer Justizministerium, das die Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof vertritt, ist das Urteil endgültig und muss umgesetzt werden. Das bedeutet, die Schweiz muss ihre Klimapolitik grundsätzlich überprüfen und Änderungen vornehmen. "Zusammen mit den betroffenen Behörden werden wir nun das umfangreiche Urteil analysieren und prüfen, welche Maßnahmen die Schweiz für die Zukunft ergreifen muss", erklärte die Behörde.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Schweiz weckt Erinnerungen an das des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland aus dem Jahr 2021 zur Klage von mehreren Jugendlichen. Sie hatten argumentiert, ihr Recht auf eine angemessene Zukunft werde durch unzureichende Anstrengungen Deutschlands beim Klimaschutz gefährdet. Das Gericht gab ihnen im Wesentlichen recht. Daraufhin änderte und verschärfte Deutschland sein Klimaschutzgesetz. 💬
Weitere Klimaklagen scheitern – dennoch ein "Sieg für alle"
Am selben Tag wurden auch zwei weitere Urteile im Zusammenhang mit Klimaschutz gesprochen – die allerdings vor dem Gericht erfolglos bleiben. Zu der Klimaklage von sechs jungen Portugiesen gegen 32 Staaten, die viel Aufsehen erregt hatte, lehnte das Gericht eine Entscheidung ab. Die Kläger hätten den Gerichtsweg in ihrem Heimatland nicht ausgeschöpft, hieß es zur Begründung. Sofia Oliveira, eine der jugendlichen Klägerinnen, sagte nach dem Urteil, dass sie natürlich enttäuscht sei, aber der Sieg der Klimaseniorinnen ein Sieg für sie alle bedeute.
Die Klimaklage eines ehemaligen Bürgermeisters eines französischen Küstenortes wurde hingegen abgewiesen. Dem französischen Politiker fehle die sogenannte Opfereigenschaft, also dass er besonders betroffen sei, so die Richter.
Klagen richteten sich nach Pariser Klimaabkommen
Die Anwälte aller drei Kläger hatten ein Urteil des EGMR angestrebt, wonach die nationalen Regierungen rechtlich verpflichtet sind, wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart dafür zu sorgen, dass die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau begrenzt wird. Sie führten an, dass der durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierte politische und zivile Schutz bedeutungslos sei, wenn der Planet unbewohnbar werde.
Erstes Urteil zum Klimawandel mit Signalwirkung
Es war das erste Mal, dass das Gericht Urteile zum Klimawandel fällte und sich mit der Frage befasste, inwiefern Klimaschutz ein Menschenrecht ist. Das Urteil an sich bindet zwar erst einmal nur die Schweiz, hat aber große Signalwirkung. Denn der EGMR mit Sitz im französischen Straßburg gehört zum Europarat und ist für die Einhaltung der Menschenrechtskonvention zuständig. Zum Europarat zählen die EU-Staaten, aber auch andere große Länder wie die Türkei oder Großbritannien.
Bayerische Umwelt- und Tierschutzverbände begrüßen das Urteil
Auch in Bayern wurde der Richterspruch deshalb heute mit großer Genugtuung aufgenommen. Der Vorsitzende des BUND Naturschutz in Bayern, Richard Mergner, freute sich, dass das Gericht mit seinem Urteil klarstelle, dass "eine intakte Welt ein grundlegendes Menschenrecht" sei. Der Stellenwert, den die Klimakrise einnehmen sollte, sei nicht hoch genug einzuschätzen. Gleichzeitig bedauert Mergner, dass der Naturschutz auf politischer Ebene an Bedeutung verliere, gar bekämpft werde. "Beispielsweise auf EU-Ebene vom EVP-Vorsitzenden und CSU-Politiker Manfred Weber", so Mergner weiter.
Der Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) sprach sogar von einer "wegweisenden" Entscheidung der Straßburger Richter. Für den Vorsitzenden Norbert Schäffer zeigt es "den dringenden Handlungsbedarf und die unumstößliche Verantwortung, die Regierungen weltweit tragen". Es sei unerlässlich, die Maßnahmen zum Klimaschutz nun konsequent und im Sinne der Generationengerechtigkeit umzusetzen, bilanziert der LBV-Vorsitzende.
Mit Informationen von dpa und AFP
Im Video: Erste Klimaklage vor Menschenrechtsgericht erfolgreich
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