Die guten Zeiten seien vorbei – aus Twitter sei "eine Brutstätte von Rechtsextremismus, Wissenschaftsleugnung, Hass und Verschwörungserzählungen" geworden. So begründeten gestern in einem offenen Brief über 60 Prominente ihren Ausstieg aus der Plattform "X", wie Twitter mittlerweile heißt.
Zu den Unterzeichnern gehören Journalisten, Politiker und Institutionen; darunter Moderatorin Dunja Hayali, Bestsellerautorin Anne Rabe, SPD-Politikerin Sawsan Chebli und Gedenkstätten wie das NS-Dokumentationszentrum in München. Angestoßen hatten die Aktion die Schriftsteller Jan Skudlarek und Max Czollek. "Was wir da organisieren, ist ein gemeinsamer Umzug. Wir haben Twitter gemeinsam aufgebaut und jetzt bauen wir es auch gemeinsam wieder ab", sagte Czollek im Gespräch mit dem Zündfunk auf Bayern 2.
Auch Fußballvereine verlassen X
Wenige Tage zuvor hatte der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) seinen Ausstieg aus "X" angekündigt. "Zwischen Fake News und Desinformation haben wir Journalistinnen und Journalisten nichts verloren", sagte der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster dazu. Der DJV empfiehlt auch anderen Sendern und Verlagen, sich aus der Plattform zurückzuziehen.
Zuletzt verließen in Deutschland unter anderem auch mehrere Fußballvereine wie SV Werder Bremen und der SC Freiburg sowie die Leipziger Buchmesse die Plattform. Der SC Freiburg begründete die Entscheidung damit, dass auf dem Portal "Werte wie Vielfalt und Toleranz, für die der Verein mit seiner Satzung steht, dort mit Füßen getreten" werden. Der Sport-Club wolle sich deswegen kein "weiter so mehr leisten".
Elon Musk im Zentrum der Kritik
Im Zentrum der Kritik steht Multimilliardär und Trump-Unterstützer Elon Musk. Dieser verfolge laut DJV-Vorsitzendem Beuster "unübersehbar eine politische Agenda, die sich gegen journalistische Grundwerte richtet". Max Czollek kritisiert konkret "die Abschaffung von Moderationsmechanismen und die gezielte Verstärkung extremistischer Inhalte".
Dadurch sei Twitter "immer schneller und immer massiver zu einem Ort der Demokratie- und Menschenfeindlichkeit" geworden. Im Zuge der von Musk beeinflussten US-Wahlen und anstehenden Bundestagswahlen sei es wichtig zu sagen, dass X "kein Ort ist, an dem demokratische Willensbildung weiterhin stattfinden kann", betont Czollek.
Alternative: Bleiben und diskutieren?
Schon seit der Musk-Übernahme verlassen prominente Stimmen das Netzwerk, und weichen zum Teil auf alternative Netzwerke wie "Bluesky" aus. Die seit Februar regulär öffentliche Plattform hatte im Zuge der US-Wahl weltweit nochmal an Nutzern zugelegt, und Medienberichten zufolge Ende November die 20-Millionen-Marke geknackt – was weniger als einem Zehntel der weltweiten X-User entsprechen dürfte. Der Dienst, den Musk einst noch als Twitter kaufte, dürfte auf hunderte Millionen Nutzer kommen. Genaue Zahlen nennt der Tech-Milliardär nicht.
Manche der X-treuen Nutzer werfen Künstlern wie Czollek vor, sich auf Bluesky eine eigene Meinungsblase zu schaffen. Wäre es keine Option gewesen, auf der größeren Plattform zu bleiben, und rechten Narrativen und Fakes etwas entgegenzuhalten?
Laut Czollek seien solche Versuche zum Scheitern verurteilt: "Mein Eindruck und der Eindruck der Menschen, die jetzt unseren Brief mitunterschrieben haben, ist, dass Twitters Strukturen sich durch den neuen Besitzer Musk so sehr verändert haben, dass sich diese Art von Gegenwehr nicht mehr lohnt." Twitter habe die demokratische Diskursfunktion verloren und sei zu "einer Art Nazi-Eckkneipe" geworden.
Auch Bluesky ist nur ein soziales Netzwerk
Wird nun auf Bluesky alles besser? Bedingt, sagt Max Czollek. Die Moderation und der Algorithmus seien besser. "Ich will es aber gar nicht idealisieren, die Leute regen sich auch auf Bluesky über die größten Kleinigkeiten auf. Ich glaube, das wird auch so bleiben; das ist nun mal das, was Social Media ausmacht."
Generell dürfe nicht vergessen werden, dass in sozialen Netzwerken nur ein Teil der öffentlichen Meinung und Willensbildung stattfindet. "Ich würde dafür plädieren, mehr in die Welt hineinzugehen und Social Media stärker als einen Ort zu behandeln, an dem nur sehr bestimmte Dinge verhandelt werden und sehr bestimmte Partys stattfinden."
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