Brigitte Knopf, Direktorin ·Zukunft KlimaSozial· und Hans-Martin Henning, Vorsitzender vom Expertenrat für Klimafragen (ERK)
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Brigitte Knopf, Direktorin ·Zukunft KlimaSozial· und Hans-Martin Henning, Vorsitzender vom Expertenrat für Klimafragen (ERK)

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Expertenrat: Wie die Ampel vermutlich die Klimaziele reißt

Bis 2030 soll Deutschland deutlich weniger schädliche Treibhausgase ausstoßen als bisher. Das Ziel der Regierung wird wahrscheinlich verfehlt, sagt der Klima-Expertenrat. Er widerspricht Klimaschutzminister Habeck. Was fordern die Experten?

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Die Hochwasserkatastrophe in Bayern und Baden-Württemberg führt vielen mit voller Wucht vor Augen, wie wichtig Klima- und Umweltschutzmaßnahmen hierzulande und weltweit sind.

Vor wenigen Wochen atmete Klimaschutzminister Robert Habeck auf und sagte: "Zum ersten Mal überhaupt zeigen die Zahlen: Deutschland ist auf Kurs – erstmals." Das Land könne seine Klimaziele erreichen. "Wenn wir Kurs halten, sind wir bis 2030 durch", sagte der Grünen-Politiker bei einer Pressekonferenz im März.

Grundlage für diese Einschätzung waren Prognosen zu den CO2-Emissionen des Umweltbundesamtes. Das Ziel: Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Bis 2050 soll Deutschland klimaneutral sein - also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als auch wieder gebunden werden können.

Wissenschaftler: Prognosen der Regierung seien unrealistisch

Kaum aufgeatmet, kommt das wichtigste Klima-Expertengremium der Bundesregierung in einem Sondergutachten zu einem ganz anderen Ergebnis: Deutschland sei keineswegs auf Kurs beim Klimaschutz. Die Prognosen der Regierung seien unrealistisch. Der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans Martin Henning vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, sagt: Deutschland wird seine Klimaziele 2030 voraussichtlich verfehlen. Die Fachleute arbeiten mit Projektionsdaten aus diesem Jahr und Berechnungen für die Jahre 2021 bis 2030. Die Bundesregierung hatte das Gremium damit beauftragt.

Wie kommt es zu solch widersprüchlichen Aussagen? Der Expertenrat glaubt, dass die vom Umweltbundesamt vorausberechneten Emissionen in den Bereichen Energie, Gebäude und Verkehr und zum Teil auch in der Industrie unterschätzt werden. Darüber hinaus verweist der Expertenrat auf wichtige Entwicklungen, die in die Berechnungen des Umweltbundesamtes nicht eingeflossen seien – insbesondere die wegen des Karlsruher Haushaltsurteils vorgenommenen Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds (KTF). In der Folge steht künftig weniger Geld für Klimaschutz zur Verfügung.

Mögliche Maßnahmen: Steuervorteil für Diesel streichen, Tempolimit, E-Autos fördern

Die Wissenschaftler mahnen die Bundesregierung zum Handeln. Eine konkrete To-Do-Liste will der Expertenrat der Bundesregierung aber nicht schreiben. Allerdings: Die Fachleute zählen Maßnahmen auf, die denkbar und wirksam wären. Zum Beispiel: klimaschädliche Subventionen abzubauen, unter anderem den Steuervorteil für Diesel zu streichen und das Dienstwagenprivileg abzuschaffen.

Der Expertenrat nennt auch ein Tempolimit als eine mögliche Maßnahme. Und eine neue finanzielle Förderung von E-Autos bei zugleich stärkerer Belastung von Pkw mit üblichen Verbrennungsmotoren hätte positive Effekte, erklären die Wissenschaftler.

Ein weiterer Hebel wäre, die CO2-Bepreisung stärker zu erhöhen als bisher geplant – dafür müsste aber ein sozialer Ausgleich geschaffen werden, sagt Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen.

Regierung verweist auf beschlossene Klimaschutzmaßnahmen

Die Bundesregierung reagiert verhalten auf den neusten Befund der Wissenschaftler. Aus dem Wirtschaft- und Klimaschutzministerium sowie aus dem Verkehrsministerium heißt es, man werde die Ergebnisse intensiv prüfen. Beide Häuser weisen darauf hin, was schon auf den Weg gebracht wurde: zum Beispiel der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität, das neue sogenannte Heizungsgesetz, Investitionen in die Bahn. Viele Maßnahmen wirkten langfristig und müssten ihre Wirkung erst entfalten, betonen die Ministeriumssprecher.

Aus Habecks Ministerium heißt es weiter: Die gesetzten Klimaschutzziele seien unter bestimmten Bedingungen immer noch erreichbar. Man sei sich jedoch verschiedener Unsicherheiten bewusst. Es sei Aufgabe des Expertenrats, auf Schwachstellen hinzuweisen.

Was passiert jetzt?

Die Bundesregierung kann, muss aber derzeit noch keine zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen ergreifen – so ist zumindest die Rechtslage. Auf Grundlage des neuen, von der Koalition reformierten Klimaschutzgesetzes müssen zusätzliche Maßnahmen erst ergriffen werden, wenn zweimal in Folge eine zu erwartende Zielverfehlung durch den Expertenrat festgestellt wird. Sollte das Gremium also im nächsten Jahr zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, müsste die Bundesregierung Sofortmaßnahmen ergreifen.

Klimaschutzverbände üben scharfe Kritik an Klimaschutzpolitik

So lange sollte aber auf keinen Fall gewartet werden, sind sich Klima- und Umweltschutzverbände einig. Sie werfen der Bundesregierung Versagen vor. Olaf Brandt vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) sagt, die Ampel müsse "unverzüglich klimapolitisch nachlegen". "Es rächt sich, dass die Bundesregierung bei ihrer Klimapolitik bislang so stark auf finanzielle Maßnahmen setzt. Jetzt fehlt das Geld, weil FDP und Kanzler auf Kaputtsparen statt auf Zukunft setzen." Dieser "drakonische Sparkurs" mache das Klimaziel 2030 unerreichbar, so BUND-Vorsitzender Brandt.

Für Viviane Raddatz, Klimachefin beim WWF Deutschland, sind die Ergebnisse des Expertenrats ein Weckruf: "Der Bericht offenbart methodische Mängel und fehlerhafte Annahmen in der Berechnung der Klimaschutzwirkung. Die Klimaziele werden mit den derzeitigen Maßnahmen verfehlt." Es brauche jetzt einen Haushalt, der langfristig an den Klima- und Naturschutzzielen ausgerichtet ist. "Ein guter Haushalt heute ist unsere Versicherung für morgen", sagt Raddatz.

Klimakrise: Warnung vor hohen Kosten durch Katastrophen

Die Klimaschützer warnen die Bundesregierung davor, am Klimaschutz und an Anpassungsmaßnahmen zu sparen. Wie hoch die Kosten später im Katastrophenfall ausfallen, zeigt sich in diesen Tagen beispielsweise in den Hochwassergebieten in Bayern und Baden-Württemberg.

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