Es war ein mühsam errungener Kompromiss zum Ukraine-Krieg, mit dem die Gruppe führender Industrie- und Schwellenländer ein Scheitern des G20-Gipfels in Indien verhindert hat. Die Staats- und Regierungschefs demonstrierten am Wochenende in Neu-Delhi den Willen, weiter gemeinsam Lösungen für Menschheitsprobleme wie Klimawandel und Armut zu suchen – doch die Ergebnisse blieben dürftig.
Ein Erfolg des G20-Gipfels war die Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) gleich zu Gipfelbeginn als vollwertiges Mitglied der G20. Die AU vertritt die Interessen von rund 1,3 Milliarden Menschen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lobte den Geist des Treffens: "Ein neues Miteinander von Nord und Süd, das ist hier beim G20-Gipfel in Neu-Delhi gelungen."
Westen und Russland verbuchen Abschlusserklärung jeweils als Erfolg für sich
Anders als beim Gipfel im Vorjahr auf Bali in Indonesien konnte der russische Angriffskrieg nun nicht mehr explizit von einer Mehrheit der Länder verurteilt werden. Russland und sein Partner China waren diesmal nicht bereit, eine solche Formulierung zu akzeptieren. Stattdessen verweist die Abschlusserklärung auf entsprechende Resolutionen der Vereinten Nationen – und allgemein auf die territoriale Integrität, also die Unverletzlichkeit von Grenzen.
Dennoch würdigte Scholz die Passage: Es seien Entscheidungen getroffen worden, bei denen "Russland akzeptieren musste, dass die Weltgemeinschaft die gewalttätigen Prinzipien russischer Politik nicht richtig findet".
Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Neu-Delhi vertrat, war sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Der Westen verliere heute seine "Vormachtstellung" in der Welt und eine multipolare Weltordnung gewinne an Gewicht, sagte er. Es sei dank der Geschlossenheit des globalen Südens gelungen, eine "Ukrainisierung" des Gipfels zu verhindern.
In der Ukraine war der Ärger über die Gipfelerklärung groß. Mychajlo Podoljak, Berater im Präsidentenbüro, warf Lawrow vor, beim Gipfel Kriegspropaganda verbreitet zu haben. Es brauche mehr internationale Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen wie gegen Putin, um Auftritte von "Subjekten wie Lawrow" zu verhindern.
Klimaschützer bewerten die Ergebnisse des Gipfels als unzureichend
Beim Kampf gegen die Klimakatastrophe beklagen Klimaschützer eine "absurd große" Lücke zwischen den Versprechen der großen G20-Wirtschaftsnationen und ihrem tatsächlichen Engagement im Kampf gegen die Erderhitzung. Insbesondere Russland und Saudi-Arabien hätten bei dem Gipfel in Neu-Delhi verhindert, dass in der finalen Erklärung ein Ausstieg auch aus Öl und Gas angekündigt wurde, bilanzierte am Sonntag der Politische Geschäftsführer von Germanwatch, Christoph Bals. Dabei gehe es ihnen um Machterhalt. "Beide Länder wollen durch weitere Verkäufe von Öl und Gas ihre Stellung in der Welt absichern."
Als einen echten Hoffnungsschimmer, auch für die Weltklimakonferenz im Dezember in Dubai, wertete Bals, dass die G20 ihre Kapazität für Erneuerbare Energien bis 2030 verdreifachen wollen. Erstmals hätten die Staaten zudem anerkannt, dass Finanzströme "in einer ganz neuen Größenordnung" organisiert werden müssen, um den Klimaschutz, die Anpassung an die Erderwärmung sowie die Schadensbewältigung zu bezahlen. Um dafür Geld aufzutreiben, schlug Bals vor, den internationalen Schiffs- und Flugverkehr mit zusätzlichen Abgaben zu belegen.
G20-Staaten für 80 Prozent der Treibhausgase verantwortlich
Der Präsident des World Resources Institute, Ani Dasgupta, stufte die G20-Beschlüsse auch als unzureichend ein – gerade angesichts des heißesten Sommers aller Zeiten, den der Planet gerade durchlebt habe. Die G20 müssten armen Ländern, die am meisten unter der Klimakrise leiden, mit Geld helfen und ihnen Schulden erlassen.
Die G20-Staaten sind für etwa 80 Prozent des weltweiten Ausstoßes klimaschädlicher Treibhausgase verantwortlich – also vor allem Kohlendioxid und Methan. Trotz aller Versprechen der Staatengemeinschaft haben die weltweiten Emissionen nach Zahlen der Internationalen Energie-Agentur im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand von 36,8 Gigatonnen erreicht.
Im Video: Kanzler zieht positive Bilanz nach G20-Gipfel
Mit Informationen von dpa
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