Der Staat zahlt den Gas-Abschlag für Dezember - und ab dem Frühjahr werden 80 Prozent des Verbrauchs zu einem festgelegten Preis verkauft: Das ist das zweistufige Modell, das die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission gegen die aktuell hohen Gaspreise in Deutschland empfiehlt. Das Gremium, zu dem die Wirtschaftsweise und Volkswirtschaftlerin Veronika Grimm von der Uni Erlangen gehört, hat die Vorschläge am Vormittag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) übergeben.
Demnach sollen private Verbraucher sowie Unternehmen im Dezember entlastet werden, indem der Staat für diesen Monat die Gas-Abschlagszahlung übernimmt. "Diese Einmalzahlung dient als finanzielle Brücke bis zur regulären Einführung der Gaspreisbremse", heißt es in dem Papier. Die Abschläge für Industrie und Kraftwerke zur Stromerzeugung übernimmt der Staat nicht.
Gaspreisbremse soll ab März 2023 gelten
Die zuletzt vielfach diskutierte Gaspreisbremse soll dann ab März 2023 bis Ende April 2024 greifen. Dabei soll jeder Kunde ein staatlich gefördertes Kontingent erhalten: 80 Prozent des Verbrauchs, der für die diesjährige September-Abschlagszahlung zugrunde lag. Für dieses Kontingent soll der Gaspreis auf zwölf Cent Bruttopreis pro Kilowattstunde abgesenkt werden. Die verbleibenden 20 Prozent müssten dann orientiert am - vermutlich immer noch hohen - Marktpreis bezahlt werden.
Geht es nach der Kommission, sollen Großindustriekunden ab Januar 2023 sieben Cent Beschaffungspreis pro Kilowattstunde zahlen - und zwar für ein Kontingent von 70 Prozent, orientiert am Verbrauch im Jahr 2021. Für alles darüber wird ebenfalls der vereinbarte Marktpreis fällig. Für Fernwärmekunden soll ebenfalls eine Preisbremse kommen: Hier soll es einen garantierten Bruttopreis von 9,5 Cent pro Kilowattstunde Fernwärme geben - für ein Grundkontingent von 80 Prozent des Verbrauchs.
"Nur Empfehlungen" - Regierung will zügig prüfen
Die Entscheidung über die von der Gas-Kommission vorgeschlagene Entlastung liege jetzt bei der Bundesregierung, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Man habe gerungen und ein Ergebnis erreicht, "das wir für belastbar halten". Deutschland drifte in eine Rezession. Daher sei das Anliegen richtig, die Belastung der Industrie durch hohe Gaspreise zu dämpfen. Russwurm betonte: "Entscheiden muss die Politik. Wir konnten nur Empfehlungen geben."
Veronika Grimm erläuterte: Der Vorschlag solle zwei Ziele kombinieren - einerseits die Verbraucherinnen und Verbraucher entlasten, andererseits einen Anreiz zum Einsparen von Gas erhalten. Kanzleramt, Finanzministerium und Wirtschaftsministerium wollen die Vorschläge zügig prüfen. Das sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zufolge werden die Vorschläge "sehr rasch und weitgehend" umgesetzt.
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Bartsch: "Prinzip sozial ungerechte Gießkanne"
Die Linke hält die Vorschläge der Expertenkommission zur Entlastung der Bürger bei den Gaspreisen für unzureichend. "Mit den vorliegenden Vorschlägen ist klar: Zigtausende Bürger und Betriebe werden im Winter von den Preisen erdrückt", kritisierte Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch. Er sprach vom "Prinzip sozial ungerechte Gießkanne par excellence". Für viele Mieter sei die Übernahme einer Monatsrechnung zu wenig. Für Villenbesitzer sei sie unnötig.
Kritik kommt auch von anderer Seite. "Die volle Erstattung der Nebenkosten bietet gerade keine Einsparanreize und fördert reiche Haushalte mit hohen Energieverbräuchen besonders stark", sagte Ökonom Jens Südekum vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie. "Hätte die Kommission früher mit der Arbeit beginnen dürfen, wäre der sinnvolle Preisdeckel vielleicht schon vor Weihnachten einsatzbereit gewesen." Der Deutsche Städte- und Gemeindebund beklagte, dass die Kommunen nicht berücksichtigt worden seien.
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) äußerte sich ebenfalls unzufrieden. "Viele Betriebe gehen pleite, bevor im Dezember der Staat den Abschlag übernimmt", teilte Aiwanger mit. "Die angekündigten Hilfsprogramme für die hohen Energiekosten werden bis dahin kaum greifen."
Caritas: Abschlagszahlung bringt "schnelle Entlastung"
Aber es gibt auch Lob für die Vorschläge. "Die Abschlagszahlung für den Dezember bringt genau das, was akut gebraucht wird: schnelle Entlastung", sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zeigte sich zufrieden. "Es ist ein starkes Signal, dass sich die Kommission auf eine schnelle und einfache Preisbremse geeinigt hat, die für die Unternehmen eine klare Perspektive bringt", erklärte DIHK-Präsident Peter Adrian.
Von einer "Minimallösung" sprach die Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Ramona Pop. Die vorgeschlagene Einmalzahlung für Dezember sei sozial ungerecht. Das Geld solle besser gestaffelt nach dem Einkommen ausgezahlt werden. Weiter fehlt laut Pop zudem ein Sicherheitsnetz für Verbraucherinnen und Verbraucher, "die ihre Rechnungen nicht bezahlen können".
Gaspreise: Paket würde knapp 100 Milliarden Euro umfassen
Insgesamt geht es bei den Vorschlägen um ein Maßnahmenpaket in Höhe von knapp 100 Milliarden Euro. Das sagte Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbandes der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft (BDEW). Sie ist ebenfalls Mitglied der gut 20-köpfigen Expertenkommission, zu der Vertreter aus Verbänden, Gewerkschaften, Wissenschaft und dem Bundestag gehören. Die Kommission will ihren Abschlussbericht in drei Wochen vorlegen. Dann will man Details der jetzt vorgestellten Vorschläge sowie weitere Maßnahmen präsentieren.
Im Vorfeld hatten mehrere Mitglieder der Kommission die Erwartungen an eine Gaspreisbreme gedämpft. Laut BDI-Chef Russwurm dürften die Energiepreise in Deutschland weiter hoch bleiben. Er betonte schon vor der einstimmigen Einigung der Kommission: Keine Preisbremse könne den Weltmarkt aushebeln - und auch am Energiesparen führe kein Weg vorbei. Auch Grimm betonte bei der Vorstellung der Vorschläge: "Wir müssen in Deutschland ungefähr 20 Prozent sparen, um eine angespannte Versorgungslage und eine Gasmangellage im Winter zu vermeiden."
(mit Informationen von Reuters und dpa)
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