Die Bundesregierung hat am Mittwoch einen Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes beschlossen. Trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht binären Menschen soll es damit erleichtert werden, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen.
Gesetzesvorhaben: Argumente der Regierung – Kritik aus Bayern
Die Verabschiedung des Entwurfs sei "ein großer Moment" für trans- und intergeschlechtliche Menschen in Deutschland, teilte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) mit. "Das Grundgesetz garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Achtung der geschlechtlichen Identität." Trotzdem seien die Betroffenen mehr als 40 Jahre lang durch das Transsexuellengesetz diskriminiert worden.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht das geplante Gesetz als Ausdruck einer Politik, für die die Grundrechte an erster Stelle stehen. "Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet. Und um dieses Menschenrecht geht es uns."
Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) sieht zwar auch "die Reformbedürftigkeit des verfassungswidrigen aktuellen Transsexuellengesetzes". Dennoch kritisiert sie, dass der Schutz betroffener Kinder und Eltern zu kurz komme. "Mit der Aufhebung der Beratungspflicht entfällt die Möglichkeit, Familien in einer hochemotionalen Lage gezielt, nicht belehrend, zu unterstützen. Das ist für mich nicht der richtige Ansatz."
Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Was heißt "Geschlechtseintrag"?
Schon in der Geburtsurkunde eines Kindes wird meistens dessen Geschlecht genannt. Es ist das Geschlecht, das Arzt oder Hebamme bei der Geburt feststellen. In Deutschland gibt es drei amtliche Geschlechtsbezeichnungen - männlich, weiblich, divers.
Die Geschlechtsangabe ist in vielen Dokumenten, wie zum Beispiel dem Reisepass, angegeben und wird im sogenannten Personenstandsregister geführt. In der Geburtsurkunde kann es seit 2013 auch freigelassen werden.
Was gilt bisher? Warum ein Selbstbestimmungsgesetz?
Bislang gibt es das Transsexuellengesetz. Nach diesem Gesetz von 1980 müssen Menschen, die ihr Geschlecht oder ihren Vornamen in den amtlichen Papieren ändern wollen, zwei psychologische Gutachten einreichen. Am Ende entscheidet dann das zuständige Amtsgericht.
Betroffene kritisieren, dass das Verfahren langwierig, teuer und entwürdigend ist. Sie sprechen von einer "psychiatrischen Zwangsbegutachtung". Teile der Vorschriften hat das Bundesverfassungsgericht bereits verworfen.
Was soll das künftige Gesetz verbessern?
Künftig soll eine einfache Erklärung beim Standesamt ausreichen, um den Geschlechtseintrag oder Vornamen zu ändern. Betroffene sollen außerdem vor einem ungewollten Outing geschützt werden.
Die "Erklärung mit Eigenversicherung" muss nicht von Gutachten begleitet werden und wird nicht gerichtlich überprüft. Sie ist unabhängig davon, inwieweit sich der oder die Betroffene zu geschlechtsangleichenden medizinischen Eingriffen entscheidet. Betroffene müssen lediglich erklären, dass die beantragte Änderung ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte: "Das geltende Recht schikaniert transgeschlechtliche Menschen. Wir wollen diesen unwürdigen Zustand beenden und zeitgemäße Regeln für die Änderung des Geschlechtseintrags schaffen." Nach den Worten von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) verwirklicht die Regelung "das Recht jedes Menschen, in seiner Geschlechtsidentität geachtet und respektvoll behandelt zu werden". Es diene dem Schutz lang diskriminierter Minderheiten.
Im Video: Die Bundesregierung hat den Weg für das Selbstbestimmungsgesetz freigemacht
Wann kommt das Selbstbestimmungsgesetz?
Das Selbstbestimmungsgesetz soll nach Angaben von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in dieser Woche verabschiedet werden. Am Mittwoch wurde die Vorlage im Bundeskabinett beschlossen. Danach muss das Gesetz noch in den Bundestag und Bundesrat.
Wen betrifft das geplante Gesetz?
Das Gesetz richtet sich laut Familien- und Justizministerium an transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen.
"Trans" sind laut Gesetzentwurf Personen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. "Inter" bedeutet angeborene körperliche Merkmale zu haben, "die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen". "Nicht-Binär" wird als Selbstbezeichnung für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, definiert.
Bei Kindern unter 14 sollen die Eltern die nötige Erklärung beim Standesamt einreichen können. Jugendliche ab 14 können dies selbst tun, allerdings nur mit Einverständnis der Eltern. Gibt es hier innerfamiliäre Konflikte, kann das Familiengericht die Entscheidung treffen. Maßstab soll das Kindeswohl sein.
Wie oft kann der Geschlechtseintrag geändert werden?
Eine zahlenmäßige Begrenzung ist nicht vorgesehen. Allerdings soll es eine Sperrfrist von einem Jahr geben - erst danach ist eine erneute Änderung möglich. Das soll vor übereiltem Handeln schützen und die Ernsthaftigkeit des Änderungswunsches sicherstellen. Nach dem Gesetzentwurf muss die Änderung drei Monate vor der Erklärung beim Standesamt angemeldet werden.
Laut dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) liegt der Anteil der Personen, die bislang eine Änderung des Namens oder Geschlechtseintrags wieder rückgängig machen, konstant bei etwa einem Prozent.
Grundsätzlich verboten ist es laut dem Gesetzentwurf, gegen den Willen eines Menschen dessen frühere Geschlechtszuordnung oder den früheren Vornamen offenzulegen. Wer dies dennoch tut, muss mit einem Bußgeld rechnen. Es geht darum, ein "Zwangs-Outing" zu verhindern. Es gibt aber Ausnahmen, etwa wenn die Nennung aus rechtlichen Gründen erfolgt.
Was wurde an dem Gesetzesvorhaben besonders kritisiert?
Intensive Debatten gab es in der Frage von Hausrecht und Zugang zu geschützten Räumlichkeiten - also etwa Saunen, Umkleidekabinen, Frauenhäusern und anderen Schutzräumen, insbesondere für Frauen. Manche Frauenrechtlerinnen hatten Bedenken geäußert, solche Schutzorte generell auch für Trans-Personen öffnen zu müssen.
Das Selbstbestimmungsgesetz lässt das private Hausrecht nun aber unberührt. Dabei gilt aber immer das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Diskriminierungen verhindern soll.
Kritik, dass sich Personen Vorteile erschleichen könnten, kam vor allem immer wieder von der Union und der AfD. "So überlässt das Gesetz dem Bademeister oder dem Fitnesstrainer, ob eine Transperson in die Frauenumkleide darf", sagte die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Silvia Breher. Auch Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hatte vor Gefahren für Frauen etwa in Frauensaunen gewarnt.
Für die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman ist dies eine irrationale Debatte. "Wir haben in Deutschland überwiegend gemischtgeschlechtliche Saunen. Kein Mann muss seinen Geschlechtseintrag ändern lassen, um in Deutschland eine nackte Frau zu sehen", sagte sie. Aus der FDP-Organisation "Liberale Schwule, Lesben, Bi, Trans und Queer" heißt es, das geplante Gesetz berücksichtige alle Eventualitäten, um Missbrauch zu verhindern.
Kritisiert hat Ataman hingegen, dass der Gesetzesentwurf auch Verschlechterungen vorsehe, wie die Anmeldefrist oder Datenübermittlungspflichten an Sicherheitsbehörden.
Kritik am Selbstbestimmungsgesetz kommt auch von AfD und Union. So warf etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der Bundesregierung vor, Warnungen vor Missbrauch zu ignorieren.
- Zum Audio-Podcast: "Selbstbestimmungsgesetz statt TSG - darum wird es Zeit"
Mit Informationen von dpa, AFP und KNA
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