Chicago: Die demokratische Präsidentschaftskandidatin und Vizepräsidentin Kamala Harris betritt die Bühne.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Morry Gash
Audiobeitrag

Chicago: Die demokratische Präsidentschaftskandidatin und Vizepräsidentin Kamala Harris betritt die Bühne.

Audiobeitrag
>

Parteitag der Demokraten: Mit neuer Strategie zum Wahlsieg?

Parteitag der Demokraten: Mit neuer Strategie zum Wahlsieg?

Die US-Demokraten surfen auf einer Welle der Euphorie, das ist auf dem Parteitag in Chicago deutlich geworden. Die Umfragewerte von Harris gehen nach oben und Trump scheint nervös zu werden. Reicht das für einen Sieg im November? Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Vor ziemlich genau sechs Wochen war die Welt in den USA eine andere. Donald Trump hatte gerade ein Attentat überlebt; das Bild, wie er blutend die Faust in die Luft streckt, ging um die Welt. Nicht wenige politische Beobachter waren sich sicher: Die Wahl ist damit entschieden, Trump kehrt ins Weiße Haus zurück.

Doch seitdem ist viel passiert – der vermeintlich sichere Sieger Trump ist inzwischen in der Defensive. Die Demokraten platzen dagegen vor Selbstbewusstsein. Das ist auf dem Parteitag deutlich geworden, der diese Nacht mit der Rede von Kamala Harris endete.

Harris: Werde "Präsidentin für alle Amerikaner" sein

Als sie die Bühne betrat, dauerte es, bis sie mit ihrer Rede anfing – minutenlanger Jubel brandete los, Standing Ovations und "Kamala"- und "USA"-Rufe. Irgendwann unterbrach Harris das Publikum mit einem "Let’s get to business" und präsentierte ihre Agenda.

Es war eine persönliche und kraftvolle Rede, in der sie versprach, Präsidentin aller Amerikaner sein zu wollen. Es gebe die Chance, den Zynismus und die Spaltung im Land zu überwinden. "Ihr könnt mir vertrauen, dass ich das Land immer über Partei und meine Person stellen werde", rief sie.

Dass Harris Trump im November schlagen wird – daran schien in Chicago niemand einen Zweifel zu haben. Wie die Demokraten es hierhin geschafft haben? Mit anderem Personal, neuer Strategie und dem Obama-Geist von 2008.

Im Video: Kamala Harris beim Parteitag der Demokraten

Die US-Demokraten surfen auf einer Welle der Euphorie, das ist auf dem Parteitag in Chicago deutlich geworden.
Bildrechte: BR
Videobeitrag

Die US-Demokraten surfen auf einer Welle der Euphorie, das ist auf dem Parteitag in Chicago deutlich geworden.

Harris statt Biden – Aufbruch statt Resignation

Es ist nicht überliefert, wann Joe Biden sich genau entschloss, nicht mehr anzutreten. Sicher ist dagegen: Der Zeitpunkt, es öffentlich zu machen, war aus demokratischer Perspektive ideal. Am 21. Juli zog er seine Kandidatur zurück und erklärte seine Unterstützung für Harris. Über den Parteitag der Republikaner, der kurz zuvor endete, sprach nun niemand mehr. Und die Zeit bis zum Parteitag der Demokraten war so kurz, dass es nicht zu einem Machtkampf in der Partei kommen konnte und sie sich schnell hinter Harris versammelte.

Es war ein notwendiger Aufbruch: Die Partei schien von der Debatte um das Alter von Biden gelähmt. Harris, auch wenn ihr Zustimmungswerte im Land vorher gering waren, brachte neuen Wind. Mit einer geschickten Social-Media-Strategie konnten schnell mehr junge Menschen erreicht werden. Harris und ihr Vize-Kandidat Tim Walz treten in restlos ausverkauften Hallen auf. Eine notorisch streitlustige Partei spürt auf einmal wieder Euphorie.

Das war auf dem Parteitag zu spüren: Die Demokraten präsentierten sich als patriotisch-gutgelaunte Truppe. Der obligatorische Roll Call, das Ritual, bei dem die einzelnen Staaten ihre Stimmen dem Kandidaten geben, wurde kurzzeitig zu einem Rap-Konzert. Ein DJ spielte für jeden einzelnen Staat Musik von Künstlern, die von dort stammen. Mehr Party war auf den sonst schon durchorchestrierten US-Parteitagen selten.

Neue Strategie: Demokraten wählen scharfe Worte

Aber es ist nicht die Person Harris. Es hat sich etwas verändert in der Kommunikation der Partei. Michelle Obama sagte 2016 den berühmten Satz: "If they go low, we go high". Frei übersetzt: Wenn sie unter der Gürtellinie attackieren, werden wir noch mehr drüber stehen. Doch die Demokraten haben ihre Strategie seither geändert: Statt oftmals wortlos Attacken über sich ergehen zu lassen, kontern sie mit deutlichen Worten. Schauspieler und Komiker D. L. Hughley erklärte beispielsweise auf der Bühne: "Es gibt jetzt sogar Republikaner, die für Harris sind. Donald Trump weiß jetzt endlich, wie es sich anfühlt, für eine jüngere Frau verlassen zu werden."

Biden war es, der Trump über Jahre als Gefahr für die Demokratie darstellte. Häufig mit den immer gleichen Worthülsen. Eine schwere Message, die kaum noch zog. Den Startschuss für eine neue Rhetorik lieferte Tim Walz, der vielleicht auch deswegen Harris‘ Vize-Kandidat wurde. Walz sprach nicht von der Sorge um die Demokratie, sondern er nannte Trump und seinen Vize-Kandidaten JD Vance "weird" ("seltsam"). Die beiden seien seltsame Leute, solche, die man an Thanksgiving nicht am Tisch haben wolle.

Neue Angriffslust: Obama attackiert Trump

Diese Wortwahl war effektiv, inzwischen hat sie beinahe die ganze Partei übernommen. Es dreht auch einen Vorwurf um, denn sich die Demokraten lange anhören mussten: Dass sie elitär seien und nichts mehr vom normalen Amerikaner verstehen würden. Walz, ehemaliger Lehrer und Football-Coach, aus einer Kleinstadt kommend, sagt nun: Die Republikaner sind diejenigen, die nicht verstehen, wie das wahre Amerika tickt.

Diese neue Angriffslust war auf dem Parteitag allgegenwärtig. Trump beteuerte in den vergangenen Wochen immer und immer wieder, dass zu seinen Wahlkampfveranstaltungen viel mehr Menschen kämen als zu Harris. Barack Obama griff das auf seiner Rede auf und machte sich über Trumps "seltsame Besessenheit mit Publikumsgrößen" lustig – dazu machte er eine Handbewegung, die man auch so interpretieren kann, dass Trump an anderer Stelle ebenfalls Probleme mit der Größe habe. Trump sei nervig, ergänzte Obama, "wie ein Nachbar, der seinen Laubbläser 24 Stunden am Tag laufen lässt".

Demokrat: Trump reich an "Dummheit"

JB Pritzker, Gouverneur von Illinois und schwerreich dank des Hotelimperiums seiner Familie, sagte in Chicago: "Lasst es euch von einem echten Milliardär gesagt haben: Donald Trump ist nur reich in einer Sache: nämlich Dummheit." Ex-Präsident Bill Clinton machte sich genüsslich über Trumps Alter lustig. Auch den Internetwitz, dass JD Vance Sex mit einer Couch gehabt haben soll, griffen die Demokraten dankend auf.

Walz lobte die Stimmung in Chicago – nur einer werde "so sad" sein, "so traurig", Trumps oft gewählte Formulierung, wenn er sich über den Umgang mit seiner Person beschwert. Dazu machte Walz die bekannte Handgeste von Trump nach. Es sind zahlreiche Spitzen, die sich durch den Parteitag ziehen und die es mit einem Kandidaten Biden so wahrscheinlich nicht gegeben hätte.

Es zog sich durch die vier Tage des Parteitags: Die Demokraten attackierten Trump konstant und machten sich über ihn lustig. So sehr, dass es von Kandidatin Harris in dieser Richtung nichts mehr gebraucht hat. In ihrer Rede fokussierte sie sich auf die Inhalte – warnte vor Trump und nannte ihn einen "unseriösen Mann", dessen Wiederwahl aber extreme Folgen haben könnte.

Auch Trumps Außenpolitik nahm Harris in den Fokus. "Ich werde mich nicht bei Tyrannen und Diktatoren wie Kim Jong Un einschleimen, die Trump die Daumen drücken." Aber sich über Trump lustig zu machen – das vermied Harris im Gegensatz zu ihren zahlreichen Vorrednern.

Obama-Vibe von 2008 reaktiviert

Aber es sind nicht nur neues Personal und neue Rhetorik, sondern auch bekannte Schlachtrufe, die an Euphorie und Aufbruch vergangener Tage erinnert. Sowohl Michelle als auch Barack Obama hielten Reden, die den Parteitag begeisterten. Und dabei kamen jene Motive auf, die ihren ersten Präsidentschaftswahlkampf 2008 so geprägt hatte. Von "Hoffnung" war viel die Rede. "Yes, she can" schallte es aus dem Publikum und Barack Obama nahm den veränderten Spruch sogleich auf.

Die Reden der Obamas machten deutlich: Ihr politisches Erbe wird Harris antreten. Joe Biden mag der Präsident gewesen sein, der dem Land Stabilität zurückgebracht hat. Aber wenn es um darum geht, das Land in die Zukunft so führen – so gewann man den Eindruck – ist für die Obamas nur Harris die legitime Person, um die ihre Politik weiterzuführen. Michelle Obama erwähnte Biden während ihrer Rede kein einziges Mal. Barack Obama lobte Bidens Charakter, aber sprach kaum über seine Politik.

Ähnlich wie 2008 versuchte Barack Obama das Thema Versöhnung in den Blick zu nehmen: Dass man auf die Menschen, die eine andere politische Meinung haben, zugehen müsse. Auch das war das Ziel des Demokraten-Parteitags: Mehr potenzielle Wähler anzusprechen. Während Trump auf dem Parteitag der Republikaner seine üblichen Tiraden anstimmte und in JD Vance einen Vize-Kandidaten nominierte, der teils noch radikalere Ansichten hat als er, sprachen bei den Demokraten gleich mehrere Republikaner und ehemalige Trump-Mitarbeiter, um für Harris zu werben - und vor Trump zu warnen.

Trump wird nervös

Die Euphorie der Demokraten und die vielen Attacken gegen ihn scheinen am Republikaner Trump zu kratzen. Lange lieferte Bidens Alter und Auftritte Futter für seinen Wahlkampf. Trump hatte sich als Kandidat der stabilen Verhältnisse präsentiert, unter ihm habe es schließlich weder eine hohe Inflation noch Kriege in der Ukraine und in Gaza gegeben, erklärte er.

Aber diese vermeintlichen Argumente treten in den Hintergrund, da seine verbalen Attacken die Schlagzeilen in den vergangenen Wochen dominierten: Dass er ausgerechnet bei einem Treffen von afroamerikanischen Journalisten auf der Bühne Kamala Harris absprach, schwarz zu sein. Dass er wilde Verschwörungstheorien über die Wahlkampf-Events von Harris verbreitet. Dass er der Meinung ist, besser auszusehen als sie. Dass er sie als "Genossin" und "linksradikale Marxistin" beschimpft.

Trump wird mit dieser Rhetorik die Wahl verlieren, fürchten viele prominente Republikaner. Lindsey Graham, Senator aus South Carolina und ein langjähriger Unterstützer, appellierte zuletzt in einem Fernseh-Interview an Trump, er möge sich auf Politik fokussieren und die persönlichen Attacken sein lassen.

Trump wiederum beschwerte sich jüngst, Obama sei "fies" zu ihm gewesen bei seiner Parteitagsrede (dabei nannte er ihn abermals beim vollen Namen, "Barack Hussein Obama"). Er dagegen wolle nett zu Menschen sein. Auf persönliche Attacken will Trump aber nicht verzichten, machte er nur wenige Momente später deutlich.

Ist den Demokraten der Sieg noch zu nehmen?

Die Demokraten fühlen sich dagegen stark wie lange nicht und diese Entwicklung schlägt sich in den Umfragen nieder. Das Statistik-Portal "FiveThirtyEight" (externer Link) errechnet den Durchschnitt der nationalen Umfragen. Darin kommt Harris landesweit momentan auf 47,2 Prozent, Trump auf 43,6. Auch in vielen Swing States – also jenen Staaten, die mal demokratisch, mal republikanisch wählen und häufig wahlentscheidend sind – liegt Harris inzwischen vorne. Hinzu kommt, dass die Umfragewerte nach Parteitagen meistens steigen, der Effekt wird "Convention Bounce" genannt.

Es sieht also gut aus für Harris. Aber entschieden dürfte die Wahl noch lange nicht sein. Zwar surfen Harris und die Demokraten auf einer Welle der Euphorie, doch die kann auch wieder abebben.

Welche Rolle spielt Kennedy?

Zum einen könnte Robert F. Kennedy noch eine wichtige Rolle spielen. Kennedy ist Drittkandidat und unter anderem für Verschwörungserzählungen bekannt. In Umfragen liegt er bei rund 5 Prozent, zuletzt gab es Gerüchte, dass er sich dem Trump-Wahlkampf anschließen könne. In einem engen Rennen zwischen Trump und Harris könnten wenige Prozent den Ausschlag geben, falls Kennedy-Anhänger mehrheitlich für Trump stimmen würden.

Es steht zudem noch mindestens ein TV-Duell zwischen Harris und Trump an. Als Harris sich 2020 um die demokratische Präsidentschaftskandidatur bewarb, legte sie in der ersten Debatte einen starken Auftritt hin, konnte diesen aber nicht bestätigen und musste schon bald aus dem Rennen aussteigen. Wie sie sich gegen Trump schlagen wird, bleibt abzuwarten. Das erste TV-Duell findet am 10. September statt.

Harris hat zudem weder Pressekonferenzen noch Interviews gegeben, seit Biden sie als Nachfolgerin vorgeschlagen hat. Ihr Wahlkampf ist bisher perfekt inszeniert und choreografiert. Aber das dürfte sich nicht bis November durchziehen lassen.

Republikaner hoffen auf Ende der "Flitterwochen"

Und dann ist noch die Frage, ob die Partei die Stimmung bis zum November aufrecht halten kann. Viele Republikaner reden in Bezug auf die Harris-Kandidatur davon, dass die "Flitterwochen" bald vorbei seien. Gemeint ist: Die Euphorie werde schon bald wieder verfliegen und dann blickten die Wähler wieder mehr auf das, was viele an der demokratischen Regierung gestört hat. Das war nicht nur Bidens Alter, sondern vor allem die Themen Inflation und Lebenshaltungskosten sowie Migration. Besonders für die Situation an der Grenze zu Mexiko steht Harris in der Kritik, hatte sie von Biden doch den Auftrag, sich um die schwierige Lage dort zu kümmern.

Vor sechs Wochen war die Welt in den USA eine andere und in zehn Wochen, wenn die Wahl stattfindet, kann das erneut der Fall sein. Auch wenn es für Harris und die Demokraten gegenwärtig nach einem Erfolg aussieht.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!