Kardinal Reinhard Marx, der Erzbischof von München, befürchtet einen "Kampf in der Gesellschaft über den Schutz des menschlichen Lebens", sollten Abtreibungen in einem frühen Stadium der Schwangerschaft legalisiert werden. In seiner Maiandacht am ersten Mai im Münchner Liebfrauendom bezog sich Marx damit auf den Vorschlag einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission, die Mitte April eine entsprechende Reform des geltenden Abtreibungsrechts vorgeschlagen hatte.
Marx mit geltendem Recht "nicht überaus glücklich"
Hinter der derzeit geltenden Gesetzeslage nach Paragraf 218 im Strafgesetzbuch, wonach Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei bleiben, stehe ein "mühsam errungener Kompromiss", so Marx. Die katholische Kirche sei damit zwar "nicht überaus glücklich", gleichwohl behalte der Kompromiss aus den 1990er-Jahren "die Not der Frau" als auch "das Recht des Kindes auf Leben" im Blick und habe "zur Befriedung beigetragen". Entsprechend forderte er, die derzeit geltende Regelung aufrechtzuerhalten.
"Ein abgestuftes Lebensrecht für Ungeborene, wie könnte das akzeptabel sein? Auf keinen Fall", so Marx. Im Falle einer Lockerung, die "den Schutz des ungeborenen Lebens noch einmal kleiner werden" lasse, kündigte Marx Widerstand der katholischen Kirche an. Seine Hoffnung sei aber, dass die Bundesregierung "klug genug" ist, zu verhindern, dass der Kompromiss "nicht wieder aufgelöst" werde.
Nach dem Vorschlag der Kommission ließ die Bundesregierung bislang offen, ob sie noch in der laufenden Legislaturperiode eine Gesetzesänderung vornehmen wolle. In einem Schreiben zur Würde des Menschen, "Dignitas Infinita", erklärte der Vatikan unlängst: "Auf der Grundlage dieses unantastbaren Wertes des menschlichen Lebens hat sich das kirchliche Lehramt stets gegen die Abtreibung ausgesprochen." Zugleich kritisiert das Schreiben einen "zweideutigen Sprachgebrauch" mit Formulierungen wie "Unterbrechung der Schwangerschaft", die darauf abzielten, "deren wirkliche Natur zu verbergen und ihre Schwere in der öffentlichen Meinung abzuschwächen".
Kreuz der Kirche mit der Lebensschutz-Szene
Aufgrund dieser offiziellen Lehrmeinung sieht die Lebensschutz-Szene in der katholischen Kirche einen Verbündeten ihres Anliegens, das Abtreibungsrecht in Deutschland noch weiter zu verschärfen statt zu liberalisieren. Bei einer Fachtagung des Bundesverbands Lebensrecht sprach etwa der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki unlängst über den vorgeburtlichen Schutz menschlichen Lebens.
Der Bundesverband veranstaltet auch den jährlich in Berlin stattfindenden "Marsch für das Leben", der unter den Bischöfen jedoch umstritten ist. "Womöglich lässt sich der Marsch zu leicht beschädigen, zu leicht inhaltlich kapern und dann das Interesse auf Nebenthemen lenken, die nicht die unseren sind", schrieb zuletzt etwa der Passauer Bischof Stefan Oster über die größte Veranstaltung der deutschen Lebensschutz-Szene.
Sie gilt als Plattform für AfD-Mitglieder und rechtsextreme Teilnehmer im Publikum. So entstand im vergangenen Jahr etwa unfreiwillig ein Foto, auf dem ein Teilnehmer neben dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer den sogenannten White-Power-Gruß in Richtung Kamera machte. Der Gruß dient extremen Rechten als Symbol für weiße Vorherrschaft.
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