Viele Tote, aber kein Prozess: Vor fast drei Jahren starben bei der Flut im Ahrtal 135 Menschen, doch für ihren Tod wird sich niemand vor Gericht verantworten müssen. Die Ermittlungen gegen den damaligen Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen Mitarbeiter aus dem Krisenstab wurden eingestellt. Ein hinreichender Tatverdacht habe sich nicht ergeben, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, Mario Mannweiler. Für viele Angehörige ist das schwer zu ertragen.
Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung
Hintergrund der Ermittlungen waren Vorwürfe des mangelhaften Krisenmanagements und mangelhafter Vorbereitung auf einen solchen Katastrophenfall. So wurde unter anderem untersucht, ob der für den Katastrophenschutz in dem Gebiet zuständige Landkreis Ahrweiler mit Pföhler an der Spitze womöglich zu spät vor der Flutkatastrophe gewarnt hatte. Mehr als zweieinhalb Jahre ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in 135 Fällen und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.
Unter anderem wurden bei den Leitstellen der Feuerwehr und Polizei 15.500 Notrufe gesichert, sagte der Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz, Mario Germano. Es seien mehr als 300 Zeugen vernommen worden. Insgesamt sichteten die Ermittler über 20 Terabyte an digitalen Daten, wovon etwa 300 Gigabyte für das Verfahren relevant waren. Es gibt rund 20.000 Seiten Papierakten.
Staatsanwalt: Extremereignis ohne strafrechtlich Schuldigen
Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass es sich um eine außergewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt habe, deren extremes Ausmaß für die Verantwortlichen des Landkreises nicht konkret vorhersehbar gewesen sei.
Zwar sei der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler unzureichend organisiert gewesen, und das Führungssystem des Katastrophenschutzes habe eine ganze Reihe von Mängeln aufgewiesen. Dies begründeten aber keine Strafbarkeit: "Wir müssen uns, so schwierig das ist, von dem Gedanken lösen, dass solche extremen Ereignisse immer irgendwie einen strafrechtlich Schuldigen haben müssen. Manche Ereignisse geschehen einfach und sind von einem einzelnen Menschen nicht beherrschbar", so Staatsanwalt Mannweiler.
Verteidigung: Angelegenheit abgeschlossen
Der Ex-Landrat Pföhler hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Sein Anwalt nannte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft daher nicht überraschend. "Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass eine strafrechtliche Verantwortung von Herrn Dr. Pföhler unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt", sagte Rechtsanwalt Olaf Langhanki. "Für uns ist die Angelegenheit abgeschlossen." Auch der Mitarbeiter aus dem Krisenstab hatte über seinen Anwalt bestritten, sich strafbar gemacht zu haben.
Hinterbliebener spricht von "Justizskandal"
Einige Hinterbliebenen wollen sich mit der Einstellung der Ermittlungen nicht abfinden. Einer ihrer Anwälte, Christian Hecken, sagte, er erwäge eine Beschwerde dagegen. Dazu sei man ja "faktisch gezwungen, auch um ein klares Bild von der Aktenlage zu bekommen". Die Ermittlungen seien einseitig geführt worden.
Ralph Orth verlor bei der Flutkatastrophe seine Tochter. Er sprach von einem Justizskandal.
Staatsanwalt: Fällen kein moralisches Werturteil
Die Staatsanwaltschaft stellte klar, dass es bei den Ermittlungen um eine rein strafrechtliche Aufarbeitung gegangen sei. Sie habe "nicht darüber zu befinden, ob im vorliegenden Fall jemand charakterlich versagt hat", sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft, Mario Mannweiler. Es sei auch nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, politische Verantwortung zu bewerten oder ein moralisches Werturteil zu fällen.
Landrat seit zweieinhalb Jahren im Ruhestand
Starke Regenfälle hatten Mitte Juli 2021 katastrophale Überschwemmungen an Flüssen in Rheinland-Pfalz und auch in Nordrhein-Westfalen ausgelöst. Infolgedessen waren in Rheinland-Pfalz 136 Menschen gestorben, davon 135 in der Ahr-Region und einer im Raum Trier. Hunderte wurden verletzt. Tausende Häuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggespült.
Bereits im August 2021 war das Ermittlungsverfahren gegen Pföhler eingeleitet worden. Der damalige Landrat war seit August 2021 krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst und wurde im Oktober 2021 auf eigenen Antrag wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
Konsequenzen gab es auch in der Landespolitik. Zwei Minister traten im Zuge der Aufklärung zurück: die ehemalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne), die da schon Bundesfamilienministerin war, und der langjährige Innenminister und SPD-Landeschef Roger Lewentz (SPD). Im rheinland-pfälzischen Landtag beschäftigte sich ein Untersuchungsausschuss mit der Katastrophe.
Mit Informationen von DPA und AFP
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