Schon die Terminsetzung war ungewöhnlich. Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Haushaltspolitik, mitten in der Schlussphase der Beratungen für den Etat des kommenden Jahres. Und doch dürften in Berlin nur die wenigsten mit einer solchen Klatsche gerechnet haben. Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch den Nachtragshaushalt gekippt, den die Ampel Anfang vergangenen Jahres beschlossen hatte. Das Urteil stellt die Koalition vor große Probleme. Zudem liest es sich, wenn auch in schnödem Juristendeutsch formuliert, wie eine Abrechnung mit Haushaltstricks zur Umgehung der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse. Aber der Reihe nach.
Die Karlsruher Entscheidung bezieht sich auf den zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021. Es geht um Schuldenoptionen, mit denen der Bund die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abgefedert hat. Davon wurden 60 Milliarden Euro nicht abgerufen – und die wollte die Ampel in den Klimafonds des Bundes stecken. Schnell kamen Zweifel auf, ob solche Coronakredite auf diese Weise umgewidmet werden können – an der Schuldenbremse vorbei. Denn es war ja die coronabedingte Notlage, mit der die vielen Schulden anfänglich begründet wurden. Und nicht die Erderhitzung. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag klagte gegen das Manöver. Mit Erfolg.
Im Klimafonds klafft jetzt ein 60-Milliarden-Euro-Loch
Das Verfassungsgericht hat daran erinnert, dass es einen Zusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den mit dem Geld bezahlten Maßnahmen geben muss. Das habe der Gesetzgeber aber nicht ausreichend deutlich gemacht. Mit anderen Worten: Kredite, die – als Ausnahme von der Schuldenbremse – wegen der einen Krise aufgenommen werden dürfen, stehen nicht automatisch zur Bekämpfung anderer Krisen zur Verfügung. Damit fehlt im Klimafonds, der inzwischen Klima- und Transformationsfonds genannt wird, eine riesige Summe. Die Ampel muss sie nun anderweitig aufbringen.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wirft der Koalition eine durch und durch unseriöse Haushaltspolitik vor. Nach der Entscheidung aus Karlsruhe klaffe "ein gigantisches 60 Milliarden-Euro-Haushaltsloch". Damit verantworte die Ampel einen "grob verfassungswidrigen Haushalt". Auch aus München kommt Kritik an der Koalition im Bund. CSU-Generalsekretär Martin Huber führt das Urteil auf "Taschenspielertricks" der Bundesregierung zurück. Die gesamte Haushaltsplanung der Koalition sei damit hinfällig.
Scholz: Haushaltsberatungen nicht gefährdet
Das bewertet die Ampel erwartungsgemäß anders. Der Bundestag werde seine Beratungen für den Haushalt 2024 wie geplant fortsetzen, verspricht Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem kurzen Auftritt mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Es bleibe bei der für Donnerstag geplanten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. Ein wichtiger Termin im Bundestagskalender, bei dem der Haushalt für das jeweilige Folgejahr festgezurrt wird.
Der Zufall will es so, dass der Parlamentskalender schon für diesen Mittwoch eine Befragung des Kanzlers im Plenum vorsieht. Scholz stellt bei dieser Gelegenheit in der ihm eigenen Nüchternheit fest, dass die Bundesregierung die Karlsruher Entscheidung beachten werde. Dafür erntet er Gelächter aus den Reihen der Opposition. Und der CDU-Abgeordnete Mathias Middelberg piesackt den Kanzler mit der Frage, wer denn die Idee für den beanstandeten Mechanismus im Nachtragshaushalt hatte. Scholz wittert die Falle, denn die Vorbereitungen dafür gehen auf seine Zeit als Finanzminister in der großen Koalition zurück. Er betont, dass bis jetzt alle in der Koalition von der Rechtmäßigkeit des Vorgehens überzeugt gewesen seien.
Ampel verhängt vorläufige Sperre für Klimafonds
Ganz ähnlich klingt das beim jetzigen Finanzminister. Nach den Worten von Lindner hat die Ampel den damaligen Nachtragshaushalt so gestaltet, wie sie es "nach bestem fachlichem Rat" für verfassungsrechtlich verantwortbar gehalten habe. Dabei ist es kein Geheimnis, dass der FDP-Chef ursprünglich nichts von der Idee hielt, mithilfe von Coronakrediten einen Vorrat an Schulden für kommende Jahre anzulegen. Doch am Ende trug er das Vorhaben mit, weil auf diese Weise die Schuldenbremse zumindest auf dem Papier eingehalten werden sollte.
Nicht nur die Opposition sieht noch schwerere Zeiten für die ohnehin zerstrittene Ampel anbrechen. Aus Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers Jens Südekum beispielsweise stellt die Karlsruher Entscheidung die Bundesregierung vor "das größte wirtschaftspolitische Problem dieser Legislaturperiode". Kurzfristig könne die Ampel auf andere Rücklagen zurückgreifen, die noch im Klimafonds liegen. "Aber das ist nur eine Notoperation und wird nicht lange reichen." Dessen ist sich auch die Ampel bewusst. Der Wirtschaftsplan des Klimafonds soll jetzt gründlich überarbeitet werden.
Noch schwerer könnte eine andere Konsequenz wiegen, die sich aus der Entscheidung des Verfassungsgerichts ergibt. Denn das Urteil lässt sich als klare Warnung an die Politik verstehen, sogenannte Sondervermögen nicht als Instrument für eine zügellose Umgehung der Schuldenbremse zu nutzen. Das aber betrifft nicht nur den Bund, sondern auch manche Länder. Der CDU-geführte Berliner Senat etwa will für den Klimaschutz zusätzliche Schulden aufnehmen, die nicht im regulären Haushalt auftauchen. Das zeigt: Auch wenn die unmittelbaren Folgen des Karlsruher Urteils die Ampel erschüttern – Antworten auf den Richterspruch werden auch andere finden müssen.
Im Video: Interview mit Karsten Klein, FDP Haushaltspolitiker
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