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Kommentar: Evangelische Missbrauchsstudie kommt viel zu spät

Kommentar: Evangelische Missbrauchsstudie kommt viel zu spät

Weil die Evangelische Kirche sich für die "bessere" hält, kommt die erste umfassende Missbrauchsstudie so spät. Zu spät. Nun gilt es, Aufklärungswillen vor das eigene Image zu stellen, kommentiert Tilmann Kleinjung.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Lange, zu lange mussten Betroffene auf diesen Tag warten. Vierzehn Jahre, nachdem der Missbrauchsskandal die Katholische Kirche erschüttert hat, gibt es zum ersten Mal eine Untersuchung für die Evangelische Kirche und Diakonie. Warum so spät? Weil man sich lange für die "bessere Kirche" hielt, weil fortschrittlicher.

Den Zölibat, eine steile Hierarchie, eine veraltete Sexualmoral – all diese "katholischen" Risikofaktoren gibt es ja im Protestantismus nicht. Und dennoch – das wissen wir nun – erlitten und erleiden auch hier viel zu viele Menschen Gewalt und Übergriffe. In evangelischen Kindergärten, Jugendgruppen oder Erziehungsheimen wurde Macht missbraucht, wurde eine Seelsorgebeziehung ausgenutzt, wurden Taten unter den Teppich gekehrt.

"Mangelhafte" Aufarbeitung und Übernahme der Verantwortung

Beim Umgang mit Missbrauch stellen die Forscher der Evangelischen Kirche ein Armutszeugnis aus: "Mangelhaft" seien die Aufarbeitung und die Übernahme von Verantwortung. Note 5. Wo es angezeigt ist, Täter zur Rechenschaft zu ziehen, entwickelt die Evangelische Kirche einen "übermäßigen Wunsch nach Harmonie". Disziplinarverfahren gegen Beschuldigte hatten allzu oft den Zweck, einen Fall geräuschlos abzuschließen. Versetzung in den Ruhestand. Auf Hilfe und Verständnis dürfen Betroffene nur dann hoffen, solange nicht eine Beschädigung der Institution droht. Vergebung wird eingefordert. "Wir sind doch alle Sünder ..."

Evangelische Kirche muss sich drängende Fragen stellen

Wer da nicht mitspielt, wird ausgeschlossen. Diese Untersuchung ist auch eine theologische Anfrage an die Evangelische Kirche. Was ist das für eine Gemeinschaft, in der Versöhnung vor der Gerechtigkeit kommt, wo es Vergebung ohne Reue gibt und wo die Täter mehr zählen als die Opfer?

Diese Fragen muss sich die Evangelische Kirche nun stellen. Den deutlich vernehmbaren Worten der Erschütterung müssen Taten folgen. Da haben die Forscher klare Hinweise gegeben: Eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene. Die Evangelische Kirche hat komplizierte Strukturen: Landeskirchen, Trägereinrichtungen, Vereine, Gemeinden. Da verlieren Betroffene schnell den Überblick, da wird Verantwortung gerne von einer zur nächsten Stelle weitergereicht.

Dann eine vollständige Erhebung der Daten. Den Forschern konnte die Evangelische Kirche nur die Disziplinarakten der Pfarrer zur Verfügung stellen. Deshalb sprechen sie bei den gesicherten Fallzahlen nur von der "Spitze der Spitze des Eisbergs". Um ein vollständiges Bild zu erhalten, müssen alle Akten durchforstet werden. Die Personalakten, die Bestände in den Gemeinden.

Aufarbeitung muss wichtiger sein als Image

Es ist eine Frage der Einstellung: Wenn Kirche endlich ihre Missbrauchsgeschichte proaktiv recherchiert und nicht nur reagiert, wenn sie Verantwortliche benennt und wenn schonungslose Aufarbeitung wichtiger ist als das eigene Image, dann, nur dann wird sie wieder glaubwürdig.

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