Es ist das übliche Verfahren: Zu Beginn einer Legislaturperiode wählt der Bayerische Landtag 15 "nichtberufsrichterliche Mitglieder" des Verfassungsgerichtshofs des Freistaats. Jede Fraktion darf - abhängig von ihrer Stärke - Kandidaten vorschlagen. Abgestimmt wird dann über die gesamte Liste auf einmal.
Der Gedanke dahinter, "dass unser Verfassungsgericht nicht nur, aber auch ein Abbild des Parlaments und damit des politischen Diskurses in der Gesellschaft sein soll", sei in der Verfassung hinterlegt, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion, Michael Hofmann, im Plenum im Namen der beiden Regierungsfraktionen. "Freilich dachten die Mütter und Väter der bayerischen Verfassung nicht in den schlimmsten Vorstellungen daran, dass Radikale und Extremisten im Laufe unserer Geschichte wieder Teil des Parlaments werden können. Aber sie sind es, und sie verhehlen ihre Feindschaft auch nicht."
Dennoch müssten die Demokraten "die Regeln, die wir uns selbst gegeben haben und die sich von heute auf morgen auch nicht ändern lassen, einhalten". Die Menschen dürften nicht an der Rechtschaffenheit der Abgeordneten zweifeln. "Wir haben als Parlament die Grundrechte zu wahren - auch das Grundrecht aller Menschen in Bayern auf ihre gesetzmäßigen Richter, wie es uns von der Verfassung vorgegeben ist." Hofmann sprach von einer "schweren Abwägung". Mut mache dabei die Tatsache, dass der Verfassungsgerichtshof diese schwierige Konstellation auch in den vergangenen fünf Jahren gemeistert habe. CSU und Freie Wähler stimmten daher wie auch die AfD der Kandidatenliste zu.
SPD will "neue Nazis" nicht wählen
Mit Nein votierten dagegen die Fraktionen von SPD und Grünen. "Die SPD steht in einer Tradition des Antifaschismus", betonte SPD-Fraktionschef Florian von Brunn. "Wir waren die Fraktion im Reichstag 1933, die als einzige damals noch verbliebenen Fraktionen Hitlers Ermächtigungsgesetz abgelehnt hat und damit gegen die Zerstörung der Weimarer Verfassung und Demokratie gestimmt hat."
Es sei ein großes Problem, dass sich im Parlament eine Partei befinde, die antidemokratisch und menschenfeindlich sei. "Wir haben es sehr gründlich abgewogen", sagte von Brunn. Er verstehe alle, die sagen, "es ist wichtig, die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtshofs zu beachten". Die SPD habe sich aber entschieden, die "neuen Nazis" nicht zu wählen.
Grüne: Keine Verfassungsfeinde in den Verfassungsgerichtshof
Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Jürgen Mistol, betonte, die AfD sei eine Gefahr für die Verfassung und die Demokratie. "Wir werden keine Kandidaten der AfD für die nichtberufsrichterlichen Mitglieder am Bayerischen Verfassungsgerichtshof wählen. Feinde unserer Verfassung haben in einem Verfassungsgericht nichts zu suchen."
Weil es nicht auszuschließen sei, dass eine unvollständige Besetzung des Verfassungsgerichtshofs die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen könnte, werde die Grünen-Fraktion einen neuen Gesetzentwurf vorlegen, um Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Mistol rief dazu auf, solche Änderungen gemeinsam auf den Weg zu bringen. "Wir müssen die Organe unserer Verfassung widerstandsfähig machen gegenüber den Feinden unserer Verfassung." Dies werde gemeinsame Aufgabe der Demokratinnen und Demokraten im Landtag sein.
Wer sind die beiden AfD-Verfassungsrichter?
Das Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof legt fest, dass dieser "aus dem Präsidenten, 22 berufsrichterlichen Mitgliedern, 15 weiteren Mitgliedern und deren Vertretern" besteht. Gewählt wurden nun im Landtag die 15 ehrenamtlichen Richter. Die CSU schlug sieben Kandidaten vor, die Freien Wähler drei, AfD und Grüne jeweils zwei, die SPD einen.
Für die AfD wurden wie schon 2018 erneut die AfD-Kommunalpolitiker Wolfram Schubert und Rüdiger Imgart in den Verfassungsgerichtshof gewählt. Der frühere Oberstaatsanwalt Schubert sitzt für die AfD im Landshuter Stadtrat. In der Partei war er eine Zeitlang Kreisvorsitzender in Landshut und als Schriftführer Mitglied des AfD-Landesvorstands. Der Rechtsanwalt Imgart ist Weilheimer AfD-Stadt- und Kreisrat.
Für Wirbel sorgten 2020 Fotos, die den ehrenamtlichen bayerische Verfassungsrichter Imgart auf einer Corona-Demonstration vor dem Berliner Reichstag zeigten - im Hintergrund sind Reichsflaggen zu sehen. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er damals, er habe die genehmigte "Querdenken"-Demonstration in Berlin besucht, um sich ein eigenes Bild von der Veranstaltung und der Teilnehmerzahl zu machen. Er habe die Veranstaltung bald wieder verlassen. Die spätere Besetzung des Reichstagsgeländes "durch politische Abenteurer" sei zu verurteilen.
Demonstration unweit des Landtags
Zeitgleich mit dem Beginn der Plenarsitzung im Landtag startete ein paar Meter weiter am Maxmonument eine Demonstration mit etwa 50 Menschen. Sie protestierten gegen die Wahl der AfD-Kandidaten in den Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Die Zustimmung von CSU und Freien Wähler zur Liste werteten die Demonstranten als Zeichen dafür, dass die Grenzen nach rechts immer weiter verschoben werden.
Eigentlich hätte man schon in der vergangenen Legislatur verhindern sollen, dass AfD-Kandidaten ins Verfassungsgericht gewählt werden, sagt Florian Mulero, der die Demo angemeldet hat. Spätestens jetzt sei es deshalb Zeit, sich der Wahl entgegenzustellen, da sich die AfD in dieser Zeit weiter radikalisiert habe.
CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD gemeinsam gegen AfD
Wenig später setzten dann die Fraktionen CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD zusammen ein Zeichen gegen die AfD - mit ihrem ersten gemeinsamen Dringlichkeitsantrag dieser Legislaturperiode. Darin verurteilen die vier Fraktionen "jedwede Bestrebung, die Demokratie in Bayern und die Organe der bayerischen Demokratie gezielt zu schwächen, zu schädigen und zu delegitimieren", heißt es im Antrag. Der Landtag werde auch in Zukunft, verfassungsfeindlichen Bestrebungen entschieden entgegentreten.
Konkret verurteilten damit die vier Fraktionen den Versuch von AfD-Fraktionsvize Martin Böhm, Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) durch gezielte Inszenierungen zu diskreditieren und zu delegitimieren. Solche Tabubrüche erinnerten an die schlimmsten Zeiten deutscher Geschichte und dürften nicht geduldet werden.
Böhm hatte kürzlich auf einem AfD-Landesparteitag eingeräumt, seinem jungen Kollegen Daniel Halemba geraten zu haben, sich öffentlichkeitswirksam im Landtag festnehmen zu lassen. Es sei darum gegangen, Landtagspräsidentin Ilse Aigner zu delegitimieren. "Dann wäre sie die Präsidentin gewesen, zu deren Zeit Oppositionelle im Bayerischen Landtag verhaftet werden." Gegen Halemba ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen Volksverhetzung.
AfD kritisiert "Beutegemeinschaft der Altparteien"
Für die AfD holte Fraktionsvize Richard Graupner zum Gegenangriff aus. Die AfD wolle als Rechtsstaatspartei dafür Sorge tragen, dass die demokratischen Institutionen "nicht von der Beutegemeinschaft der Altparteien zu deren Herrschaftsabsicherung instrumentalisiert und missbraucht werden".
Leider gebe es in Bayern eine Landtagspräsidentin, die ihr Amt bei jeder Möglichkeit missbrauche, um ihrer Abneigung gegen die AfD Ausdruck zu verleihen. "Sie entblöden sich nicht, ein paar lose Überlegungen eines unserer Fraktionsmitglieder, die letztlich keinerlei praktische Konsequenz nach sich zogen, zu einer Bedrohung der Grundfesten von Demokratie und Rechtsstaat zu stilisieren." Den anderen vier Fraktionen warf Graupner Skrupellosigkeit und Niederträchtigkeit vor.
CSU fordert Entschuldigung
CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek forderte von Böhm eine Entschuldigung bei der Landtagspräsidentin. "Wollen Sie sich entschuldigen?", fragte er den AfD-Fraktionsvize - der per Zwischenruf verneinte. Holetschek daraufhin: "Ein flottes Nö, war die Antwort auf diese Frage und zeigt, dass wir zusammenrücken müssen in diesem Haus."
Ein Angriff auf die Würde der Verfassungsorgane sei "ein Angriff auf uns alle - und den dürfen wir nicht dulden". Seit 1946 habe es keinen vergleichbaren Vorgang im Landtag gegeben. Die AfD wende den Instrumentenkasten der NSDAP am Ende der Weimarer Republik an: "Pöbeleien, ehrverletzende Angriffe, Personen des öffentlichen Lebens verächtlich machen, den Parlamentarismus in die Ecke stellen."
Im Video: BR-Reporter Achim Wendler zur Landtagsdebatte
"In den Farben getrennt, in der Sache geeint"
Grünen-Fraktionsvize Johannes Becher betonte, spätestens jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, aufzustehen und die Stimme zu erheben. Der gemeinsame Dringlichkeitsantrag sei ein klares Zeichen des Schulterschlusses: "In den Farben getrennt, in der Sache geeint." Die Lage sei ernst, die AfD sei brandgefährlich. "Es ist fünf vor zwölf." Jede der sogenannten Altparteien sei besser als eine Nazipartei, das müsse jeder Wähler wissen.
Auch für den Chef der Freie-Wähler-Fraktion, Florian Streibl, ist die Zeit gekommen, "wo wir aufrechte Demokraten zusammenstehen müssen". Er sei froh und glücklich, dass er am Sonntag mit 100.000 Menschen in München zum Demonstrieren gegangen sei. Die AfD gaukle den Menschen vor, eine Alternative zu sein. Unter der Maske des Biedermeiers komme die Fratze eines Gesichts längst vergangener Zeiten zum Vorschein. Ein neues 1933 dürfe und werde es nicht geben.
SPD-Fraktionschef Florian von Brunn betonte, seine Fraktion stelle sich aus voller Überzeugung hinter die Landtagspräsidentin. Er sei froh, dass die vier Fraktionen der AfD gemeinsam die Stirn bieten. Er kündigte an: "Wir werden jetzt alle Instrumente der wehrhaften Demokratie auspacken."
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