Die Gegenoffensive der Ukraine hat keinen Durchbruch erzielt, die Frontlinien sind verhärtet. Alles deutet darauf hin: Der Ukraine-Krieg wird deutlich länger dauern als vom Westen gehofft. Liana Fix vom Council on Foreign Relations in Washington, D.C., beobachtet den Krieg seit Beginn. Für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) hat BR24 mit der Politikwissenschaftlerin über Versäumnisse des Westens, die Sicherheitslage in Europa und die Bedrohung, die von Donald Trump für Europa ausgeht, gesprochen.
BR24: Hatten die Beobachter recht, die gesagt haben: Russland kann nicht besiegt werden?
Liana Fix: Wir haben gesehen, wie erfolgreich die Ukraine auch im letzten Jahr in den Gegenoffensiven gegen Russland war. Das russische Militär ist weiterhin in einem schlechten Zustand. Es hat natürlich gewisse andere Vorteile, nämlich dass Russland seine Wirtschaft zum großen Teil auf eine Kriegswirtschaft umgestellt hat, dass Russland sein Budget für Militärausgaben massiv erhöht hat auf fast 30 Prozent. Das heißt, wir sehen von russischer Seite, dass sie sich auf einen langen Krieg vorbereiten.
Die Frage nach den Ressourcen kann die Ukraine nicht allein lösen, da braucht sie die Unterstützung vom Westen. Russland kann militärisch besiegt werden, aber der Optimismus, den es gab, dass dafür eine Gegenoffensive und ein paar schnelle Monate ausreichend sind, der kippt jetzt in einen sehr starken Pessimismus darüber, ob sich das alles überhaupt noch lohnt. Dieser Pessimismus ist ebenfalls nicht gerechtfertigt.
Verhandlungsbereitschaft Russland "eher gesunken"
BR24: Die offizielle Position des Westens: Die Ukraine legt ihre Kriegsziele selbst fest. Allerdings kann der Westen durch seine Waffenlieferungen direkten Einfluss nehmen. Wie realistisch sind die Kriegsziele der Ukraine dann zu erreichen?
Fix: Mit der Aussage, dass die Ukraine selbst die Entscheidung fällt, geht es vor allem darum, die Akteursfähigkeit der Ukraine zu stärken, weil das etwas ist, was Russland immer verneint und immer sagt, die Ukraine ist nur gesteuert vom Westen, sie hat keinen eigenen Willen, sie hat keine eigenen politischen Ziele. Und darum geht es, zu zeigen, dass das hier kein Proxy-Krieg ist, indem die Ukraine ein Instrument des Westens ist, sondern dass es hier wirklich um die Ukraine selbst geht. Aber natürlich hat der Westen massiven Einfluss.
Der Westen hat auch sehr klar formuliert, was er sich erhofft hat an diesem Punkt des Krieges, nämlich: nach einer erfolgreichen Gegenoffensive, mit militärischem Druck die russische Verhandlungsbereitschaft zu erhöhen. Das hat nicht geklappt. Und wir haben leider den Effekt, dass Russland sich noch mehr bestärkt darin fühlt, dass sie einen langen Krieg besser aushalten können als die Ukraine und der Westen ihn aushalten kann, und damit ist die Verhandlungsbereitschaft auf russischer Seite eher noch gesunken.
Im Video: Ukraine-Krieg – Gibt der Westen auf? Possoch klärt!
Keine Hoffnung mehr auf ein schnelles Ende des Ukraine-Kriegs?
BR24: Ukraine-Kriegs-Experten fordern seit einem Jahr, dass Europa seine Produktionskapazität für militärisches Gerät, Waffen, Munition erhöhen muss, um Russland weiterhin Paroli bieten zu können. Liegt hier ein großes Versäumnis vor, das uns jetzt einholt?
Fix: Der Westen hat sich bisher noch nicht darauf eingestellt, dass dieser Krieg länger dauern wird. Die eigenen Produktionsfähigkeiten sind noch nicht auf einen langfristigen Krieg eingestellt. Das muss sich tatsächlich ändern, nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Europa selbst, denn die Wahlen in den USA im November werden für Europas Sicherheit eine wichtige Frage sein.
Aber diese Einstellung der Waffenproduktion auf einen langen Krieg ist etwas, was passieren muss und das bisher noch nicht passiert ist, weil eben die Hoffnung da war, dass eine schnelle Gegenoffensive diesen Krieg durch Verhandlungen, durch russische Kompromissbereitschaft schneller beenden kann.
Unterstützung der USA für die Ukraine "hängt an seidenem Faden"
BR24: Steht die Unterstützung der USA für die Ukraine, für die Sicherheit in Europa tatsächlich auf so tönernen Füßen?
Fix: Es ist eine sehr ernste Situation. Das darf und sollte Europa nicht auf die leichte Schulter nehmen, wie sehr die Unterstützung für die Ukraine hier in Washington einem seidenen Faden hängt. Der Hintergrund ist, dass das Weiße Haus und die Administration darauf angewiesen sind, dass der Kongress weitere Hilfen für die Ukraine erlaubt. Es ist es eine kleine, radikale Minderheit von Republikanern, von Trump-orientierten Republikanern, die es schaffen, ihre moderaten Kolleginnen und Kollegen in Geiselhaft zu nehmen, indem sie immer wieder Forderungen in der Ukraine-Hilfe verknüpfen mit zum Beispiel Forderungen nach Grenzkontrollen zu Mexiko.
Diese radikalen Republikaner sind der Kern des Problems, sodass man nur hoffen kann, dass Ende des Jahres oder vielleicht Anfang des nächsten Jahres ein Kompromiss getroffen wird, der für Demokraten schwer zu schlucken sein wird, und weitere Hilfen bewilligt werden. Ansonsten laufen die US-Hilfen aus. Da ist nicht mehr viel in den Töpfen übrig, was die Ukraine bis zu Beginn nächsten Jahres bekommen könnte, und das wird sich auch auf dem Schlachtfeld niederschlagen.
Im Audio: Nach fast zwei Jahren Krieg macht sich in der Ukraine Ernüchterung breit
Szenario Trump: "düster für die Ukraine und Europa"
BR24: Es ist noch ein Jahr bis zur Präsidentschaftswahl in den USA. Sollte Trump der Kandidat der Republikaner werden und dann auch erneut US-Präsident, wäre das wirklich so schlimm?
Fix: Dass am Ende alles gar nicht so schlimm kommen wird, selbst wenn Trump wiedergewählt wird, dieser Hoffnung sollte man nicht anhängen. Wenn Trump wiedergewählt wird, dann wird er zurückkommen mit der festen Absicht, alles durchzusetzen, von dem er sich in der ersten Amtszeit hat abbringen lassen, inklusive ein möglicher Nato-Austritt der USA, inklusive ein Auslaufen der Hilfen für die Ukraine.
Er wird auch an denen, die ihn kritisiert haben, Rache nehmen, so dunkel muss man das Bild tatsächlich zeichnen. Wenn es ein anderer republikanischer Kandidat, eine andere republikanische Kandidatin wird, dann hängt es stark von deren Ausrichtung ab. Es gibt einige Kandidatinnen und Kandidaten, die fast noch schlimmer als Donald Trump die Ukraine aufgeben wollen, aber es gibt auch andere, die eher traditionell republikanisch orientiert sind und die Unterstützung fortsetzen würden.
Im Szenario Trump sieht es nicht nur für die Ukraine sehr düster aus, sondern auch für Europa, weil dann auch Europas Sicherheit auf dem Spiel steht.
Wird Russland die europäische Sicherheit weiter gefährden?
BR24: Viele Expertinnen und Experten sind sich sicher: Sollte Russland durch diesen Krieg einen Gewinn haben, macht das Schule. Russland bliebe ein konstantes Risiko für Europas Sicherheit, eine konstante Herausforderung für die Nato.
Fix: Russland hat diesen Krieg auch immer als Krieg gegen den Westen formuliert. Also, man muss davon ausgehen, dass Russland seine Ambitionen nicht aufgeben wird. Wenn die Ukraine Territorien abtritt, wird Russland früher oder später wieder den Versuch unternehmen, die komplette Ukraine unter seine Kontrolle zu bekommen und es wird sich auch darin bestärkt fühlen, die Nato und die Nato-Mitglieder im Westen zu provozieren.
Vor allem, wenn Donald Trump – dazu muss er gar nicht offiziell aus der Nato austreten, weil das ja durch den US-Kongress müsste – einfach die Glaubwürdigkeit der Nato infrage stellt und die Glaubwürdigkeit der US-Garantien für Europa und zum Beispiel suggeriert, dass er nicht zur Verteidigung des Baltikums kommen wird. Allein so eine Aussage kann schon ausreichen, um die Verteidigung der Nato komplett zu unterminieren und um Russland zu ermutigen, zu zündeln an den Grenzen zum Baltikum zum Beispiel, selbst wenn es militärisch in einer schwachen Situation sein sollte. Die Gefahr ist tatsächlich real.
BR24: So wird das auch in den USA bewertet?
Fix: In den USA, in Washington sieht man das genauso natürlich. Aber wenn man es durch die Trump-Perspektive sieht, dann hat er seit Jahren, in seiner ersten Amtszeit, ein sehr transaktionales Verständnis von Sicherheit. Für ihn ist es keine geteilte Sicherheit zwischen den USA und Europa, sondern sein Argument ist: Wie viel bezahlen mir die Europäer dafür, dass ich sie verteidige?
Das ist natürlich nicht die Idee, auf die die Nato basiert. Aber am Ende wird es auch ein wichtiger Faktor sein, wie weit die Nato und die europäischen Nato-Mitgliedstaaten bei ihren Verteidigungsausgaben gekommen sind. Zum Beispiel beim Nato-Gipfel in Washington im Juni nächsten Jahres. Wenn dort keine Mehrheit der Nato-Mitglieder endlich die zwei Prozent Verteidigungsausgaben vorweisen kann, dann wird es für jeden republikanischen Kandidaten oder Kandidatin schwierig sein, zu argumentieren, dass man zur Europas Sicherheit kommen muss, wenn in einem Krieg in Europas Nachbarschaft, die Europäer immer noch nicht bereit sind, wenigstens das Minimum auszugeben für ihre eigene Sicherheit.
BR24: Danke für das Gespräch.
Dieser Artikel ist erstmals am 3.12.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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