Joe Biden (r), Präsident der USA, trifft Chinas Präsident Xi Jinping (l) am Rande der Konferenz für Asiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation im Filoli Estate
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China und die USA: auf Kollisionskurs?

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"Krieg zwischen China und USA ist eine Option"

China fährt eine aggressive Wirtschaftspolitik – die USA kontern mit drastischen Strafzöllen. Es droht ein Handelskrieg. Vor welche Herausforderungen stellt uns die Weltmacht China? Ein Expertengespräch.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Tiktok, Longi, BYD: Chinesische Unternehmen werden in westlichen Märkten immer dominanter, sei es bei Video-Apps, Solarzellen oder Elektroautos. Die USA fahren einen harten Kurs und haben eine deutliche Erhöhung der Zölle auf eine Vielzahl von Produkten aus China angekündigt - darunter sind Elektroautos, Halbleiter, Mineralien und Medizinprodukte. Der Zollsatz auf chinesische E-Autos steigt drastisch von 25 auf 100 Prozent. Damit versperrt die US-Regierung chinesischen E-Autos faktisch den Weg in die USA.

Ein Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China hätte massive Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Im BR24-Pfingstinterview erklärt Jacob Gunter, Lead Analyst Economy am "Mercator Institute for China Studies", was China wirklich will und welche Konsequenzen drohen, sollte Deutschland seine China-Politik nicht anpassen.

BR24: Will China den Westen beherrschen?

Jacob Gunter: China will eine wesentlich dominantere Position, als es aktuell hat. Die Kommunistische Partei Chinas hat die Ideologie: China war einmal der Mittelpunkt der Welt, was Macht, Geopolitik und Wirtschaft anging. Dann folgte eine Zäsur, beginnend mit dem Ersten Opiumkrieg 1839, in China nennen sie das, das Jahrhundert der Demütigung. China ist also vom Zentrum der globalen Macht zu einer rückständigen Nation geworden, die von ausländischen Mächten dominiert wurde. Mit dem Ende des Chinesischen Bürgerkriegs 1949 hat sich die Kommunistische Partei selbst das Ziel gesetzt, in 100 Jahren erneut die zentrale Stellung in der Welt zu haben. Es geht also nicht notwendigerweise darum, den Westen zu beherrschen, aber es geht darum, dass China wieder das Zentrum der Weltwirtschaft, der Technologie, der Geopolitik und des Einflusses wird.

China: Partner oder Bedrohung?

BR24: In Anbetracht dieser Ambitionen: Kann China ein verlässlicher Partner sein oder müssen wir China als Bedrohung begreifen?

Gunter: Vor allem wirtschaftlich ist es gleichzeitig eine Chance und eine Bedrohung. Das ist ein riesiges Land, etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt dort, das ist also keine Wirtschaft, die man ignorieren kann. Eine Wirtschaftsbeziehung mit China hat viele Vorteile, aber wir müssen auch ganz klar die Risiken sehen, die von diesem System ausgehen.

Gerade Deutschland war lange Zeit ein komplementärer Wirtschaftspartner Chinas. Deutschland hat eine starke Autoindustrie, aber Deutschland produziert auch industrielle Maschinen und Chemikalien und High-End-Industriekomponenten, die China dringend braucht. Und jetzt kommen da die Risiken rein, wenn China die globale Wertschöpfungskette hochklettert.

BR24: Inwiefern?

Gunter: In der Vergangenheit ist man in irgendeine Fabrik in Guangdong gegangen, eines der größten Produktionszentren Chinas, und da war alles voll mit deutschen Industriemaschinen. Das ist jetzt nicht mehr so. Jetzt sind da viel mehr chinesische Industriemaschinen, und dadurch verändert sich natürlich die Beziehung zwischen Deutschland und China von einer komplementären Beziehung hin zu einer konkurrierenden.

Ich glaube, es wird sehr schwierig für Europa und besonders für Deutschland, sich daran zu gewöhnen, dass man von einer goldenen Ära der Wirtschaftsbeziehungen zu China in einen knallharten Wettbewerb kommt. Ein Wettbewerb, bei dem die chinesische Regierung mit ihrem Finger stark auf die Waage drückt. Da gibt es viele nicht-marktwirtschaftliche Interventionen und Unterstützung in der chinesischen Wirtschaft, die in Deutschland so nicht passieren kann und das macht einen fairen Wettbewerb unmöglich.

Im Video: TikTok, Temu, Huawei - Will China mit Technologie die Welt erobern? Possoch klärt!

Wirtschaft ohne China: "Eine neue Große Depression"

BR24: Deutschland setzt jetzt auf "De-Risking", also die Verringerung wirtschaftlicher Abhängigkeiten. Der richtige Weg?

Gunter: Es ist gut, dass Europa generell, aber auch die deutsche Regierung speziell über "De-Risking" sprechen. Und das bedeutet auch nicht sofort "Decoupeling". Eine vollständige wirtschaftliche Entkoppelung von China würde eine Weltwirtschaftskrise verursachen und uns wahrscheinlich in eine neue Große Depression führen.

Aber wir müssen einfach schauen, was Technologien sind, die europäische Unternehmen nicht mehr an China verkaufen sollten, weil sie deren Wirtschaft zu stark ermächtigen und die Konkurrenz mit ihnen noch weiter verschärft. Denn es ist klar: In einer Welt, in der wir abhängiger von China sind und China weniger abhängig von uns, verringert sich unsere Möglichkeit, die Art der Beziehung zu beeinflussen.

Es ist recht einfach und Xi Jinping ist da sehr offen: Er sieht Geopolitik und Geoökonomie durch die Brille der Technologie, das ist quasi seine Obsession. Er spricht häufig davon, wie China die erste, zweite und dritte industrielle Revolution verpasst hat und aufholen muss und es ist zentral aus seiner Sicht, dass China die vierte industrielle Revolution nicht nur aufholt, sondern der Anführer ist. Das nehmen sie sehr ernst. Das ist für sie nicht nur der Weg zu wirtschaftlicher Stärke und Entwicklung, sondern auch zu geopolitischer Macht.

Leider dauert es hier in Europa für viele Politiker und Staats- und Regierungschefs, sich dieser neuen Geopolitik bewusst zu werden. Wir haben das schon gesehen, mit Russlands Invasion der Ukraine und bei einer Reihe anderer Konflikte, aber es dauert, bis wir diese Geopolitik wieder lernen. Beijing hat sie nie vergessen.

"China wird in Konflikt mit den USA geraten"

BR24: China ist also in allem, was es tut, von dieser Geopolitik getrieben?

Gunter: Ja. Deshalb sieht man diese massiven Veränderungen in der Wirtschaft. Chinesische Unternehmen verhalten sich nicht mehr wie normale Unternehmen, selbst im privaten Sektor. Normalerweise würde man da ja schauen: Was wollen die Verbraucher und wie kann ich das möglichst effizient und profitabel herstellen, damit ich meinen Gewinn maximieren kann? So verhalten sich chinesische Unternehmen nicht mehr. Sie schauen nach Beijing und wollen Führung, damit sie wissen, in welche Sektoren können sie ihre Forschung und Entwicklung stecken, weil sie da vom Staat unterstützt werden.

Das ist furchtbar für die Wirtschaft, die Mittelschicht wird in den nächsten Jahren nicht wachsen können, das ist furchtbar für alle Haushalte. Es geht in der chinesischen Wirtschaft nicht mehr um "Return on Invest", also die Rentabilität einer Investition, oder um Profit. Es geht darum, wie wir in die Technologien und Industrien investieren, in denen wir weniger vom Westen abhängig sein wollen und tatsächlich wollen, dass der Westen abhängiger von uns wird. Es geht nur um den geopolitischen Konflikt mit den USA, Europa und Japan.

BR24: China will um jeden Preis Weltmacht Nummer eins werden…

Gunter: Alles im Sinn der 100-Jahr-Philosophie. China spricht von drei Phasen: Unter Mao Zedong ist China aufgestanden und hat seine Souveränität wieder gewonnen. Unter Deng Xiaoping war Chinas Ziel, reich zu werden und jetzt unter Xi Jinping geht es China darum, stark zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden sie in Konflikt mit den USA und ihren Verbündeten geraten. Das muss nicht Krieg bedeuten, aber das ist eine Option.

Im Audio: Jacob Gunter, Lead Analyst Economy am Mercator Institute for China Studies

Jacob Gunter, Lead Analyst Economy am Mercator Institute for China Studies
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Jacob Gunter, Lead Analyst Economy am Mercator Institute for China Studies

Ist Deutschland zu naiv gegenüber China?

BR24: Die USA fahren einen sehr harten Kurs gegenüber China, etwa mit dem TikTok-Ban, also dass die App verboten wird, wenn sie nicht den Besitzer wechselt. Und jetzt die hohen Strafzölle. Deutschland kritisiert das. Sind die USA zu aggressiv oder sind wir zu naiv?

Gunter: Dieses TikTok-Gesetz ist nicht der erste Schuss vor den Bug. Die USA versuchen, sehr strategisch, ihre Beziehung zu China zu "de-risken". Europa nimmt da einen völlig anderen Weg. Am Ende haben sie gleiche Ziele, aber der Ansatz ist sehr unterschiedlich. Ehrlicherweise ist das US-amerikanische politische System viel flexibler als das in Europa, gerade mit Blick auf die EU und die Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission, der EU-Rat, das Europäische Parlament und so weiter. In den USA gibt es große, umfassende Regeln, in Europa enge Einschränkungen und enge Einsatzmöglichkeiten und da, glaube ich, ist Europa ein wenig naiv.

Das chinesische System ist so fundamental anders als das in Europa. Dort gibt es keine Rechtsstaatlichkeit, sie haben keine unabhängigen Gerichte. Ich denke, das ist für viele Europäer schwer zu begreifen. Das heißt also, politische Entscheidungsträger in Europa schauen oft auf individuelle Probleme und versuchen, diese individuell zu lösen. Und gerade bei China braucht es einen ganzheitlichen Ansatz.

Die USA und andere große Länder mit großen Märkten werden sich schneller anpassen können als Europa. Und das bedeutet, wenn die USA jetzt hohe Strafzölle auf chinesische Autos erheben, verringert das ja nicht die Anzahl an E-Autos, die China produziert. Es erhöht aber den Druck, sie woanders zu verkaufen, wie zum Beispiel in Europa, dessen Markt immer noch offen ist.

Wenn Europa weitermacht mit diesen kleinteiligen Lösungsansätzen und damit versucht, dieses sehr komplexe Problem zu lösen, dann, glaube ich, steckt da eine gewisse Naivität gegenüber China drin. Gleichzeitig könnten es die USA in gewissen Bereichen übertreiben. Es ist im politischen System der USA sehr einfach, dass Dinge außer Kontrolle geraten, gerade im Wettstreit der Demokraten und Republikaner: Wer ist härter gegenüber China? Aber ich glaube, aktuell bewegt sich Europa zu wenig, um mit den Veränderungen, die wir von China sehen, klarzukommen.

"Bürger Europas werden die Rechnung bezahlen müssen"

BR24: Läuft uns da die Zeit weg?

Gunter: Es ist wirklich von entscheidender Bedeutung, dass die europäische Öffentlichkeit mehr versteht, was in China passiert und was das für Europa bedeutet. Denn egal wie wir über "De-Risking" oder die Zukunft der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Europa denken, das wird mit ein paar harten Kompromissen einhergehen.

Je mehr wir unsere Beziehung zu China "de-risken", umso teurer wird alles und umso unverlässlicher werden Lieferketten und irgendjemand wird die Rechnung dafür zahlen müssen und das werden letzten Endes die Bürger Europas sein. Entweder durch Steuern, um das "De-Risking" zu finanzieren oder durch gestiegene Waren- und Lebenshaltungskosten. Und am Ende werden wir ein Europa haben, das deindustrialisiert ist und eine ausgehöhlte Mittelschicht hat. Die ist der Kern deutscher Wettbewerbsfähigkeit und der deutschen Wirtschaft.

BR24: Danke für das Gespräch.

Hinweis: Das Gespräch wurde auf Englisch geführt und für die bessere Lesbarkeit ins Deutsche übertragen.

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