Kommentar von BR-Chefredakteur Christian Nitsche
Bildrechte: BR/Lisa Hinder

BR-Chefredakteur Christian Nitsche

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Kommentar: Landwirtschaft ist kritische Infrastruktur

Die Bundesregierung sollte den Landwirten entgegenkommen, statt sie zu schröpfen. Unser Staat braucht eine gut funktionierende Landwirtschaft und mehr Resilienz gegenüber äußeren Krisen, kommentiert BR-Chefredakteur Christian Nitsche.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Natürlich ist es völlig inakzeptabel, wenn ein Politiker bedroht wird, aufgebrachte Demonstranten eine Fähre stürmen wollen, die Polizei zum Schutz eines Ministers Pfefferspray einsetzen muss. Gewalt darf nie ein Mittel sein, um seine Ziele durchzusetzen. Die Empörung darüber ist berechtigt, sollte aber nicht den Blick verstellen. Worum geht es bei den kommenden Protesten der Bauern? Eine Berufsgruppe macht ihrem Unmut über die Ampelkoalition Luft, die weiterhin an ihren Geldbeutel will. Und es geht nicht um irgendeine Berufsgruppe. Sie muss zur kritischen Infrastruktur gezählt werden. Und sie wird immer kleiner.

Permanentes Höfesterben

Die nackten Zahlen sprechen für sich: Gab es in den 70er Jahren in Deutschland noch über 900.000 Landwirtschaftsbetriebe, waren es 2022 nur noch rund 256.000. In den vergangenen Jahren hat sich der stetige Abwärtstrend fortgesetzt. Auch die Zahl der Erwerbstätigen im primären Wirtschaftssektor, zu dem neben der Landwirtschaft auch die Forstwirtschaft und die Fischerei zählen, hat sich seit Anfang der 90er Jahre halbiert. Der Niedergang der Landwirtschaft ist ein ungebrochener Trend. Deutschland könnte sich nicht in allen Bereichen selbst versorgen. Wir produzieren weniger Futtermittel als wir benötigen. Viel zu gering sind die Erntemengen bei Obst und Gemüse. Insgesamt ist die Selbstversorgung zwar noch kein größeres Sorgenthema. Aber wollen wir, dass es eines wird?

Abhängiges Deutschland

Betrachten wir mal die Gesamtlage und fragen uns dann: Ist unser Staat zu leichtfertig? Blicken wir zu gerne weg? Sollte uns zum Beispiel die Knappheit wichtiger Medikamente etwas mehr zu denken geben? War die Brüchigkeit von Lieferketten während der Pandemie für uns ein echtes Warnsignal? Ist es ein gutes Gefühl, von Chinaimporten in vielen Bereichen abhängig zu sein? Was haben wir aus der Gaskrise gelernt? Macht es uns auch nachdenklich, dass die Munition der Bundeswehr nur ausreicht, um uns ein paar Tage selbst zu verteidigen, und Verteidigungsminister Boris Pistorius im Dezember aufgrund der russischen Aufrüstung und Putins Drohungen sagt: "Wir haben jetzt ungefähr fünf bis acht Jahre, in denen wir aufholen müssen - sowohl bei den Streitkräften als auch in der Industrie und in der Gesellschaft."

Keine Flanke aufmachen

Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. Sicherheit ist kein Luxusthema. Und wenn wir uns darüber unterhalten, wie resistent Deutschland gegenüber äußeren Krisen ist, dann sollten wir den Bereich der Ernährung nicht ausklammern, so nebensächlich das manchen im Moment erscheinen mag. Es ist jedenfalls nicht vorausschauend, Deutschland an einer weiteren Stelle zu schwächen. Wir brauchen unsere Bauern, mehr als in den vergangenen Jahrzehnten.

Das Handeln der Bundesregierung ist nicht durchdacht, den Bauern den Treibstoff für ihre Traktoren und Maschinen zu verteuern und damit noch mehr Betriebspleiten zu riskieren. Den Agrardiesel zu verteuern, mag zur Linie in der Klimapolitik passen. Wenn aber noch mehr Bauern frustriert hinschmeißen müssen, wird auch das Ziel, die regionale Landwirtschaft aus Klimagründen weiter zu fördern, kaum erreichbar sein.

Höfesterben statt Staus diskutieren

Diskutieren wir also nicht nur über Verkehrsbehinderungen, wenn in den kommenden Tagen Bauern mit Traktoren zu Demonstrationsorten fahren. Sprechen wir darüber, ob es uns wichtig ist, die verbliebenen Höfe zu retten. Sprechen wir darüber, warum viele Landwirte seit Jahren Wertschätzung vermissen.

Und machen wir uns dabei bewusst, wie beanspruchend es ist, einen Landwirtschaftsbetrieb zu führen. Ein Nebenerwerbs-Bauer, der sich täglich um 5 Uhr in den Stall aufmacht, um danach ins Werk zu fahren, um seine Familie abzusichern, der kann nicht mal so einfach einen Kurzurlaub auf einer der schönen Halligen machen. Auch am Wochenende will das Vieh gefüttert werden, auch wenn der Bauer mal krank ist. Es ist schwer, jemanden zu finden, der dann einspringt.

Landwirte wollen, dass man ihre Leistung sieht und anerkennt. Es ist ein harter Job. Überlassen wir das Thema Landwirtschaft auch nicht den Extremisten. Die Bundesregierung täte gut daran, die Einschnitte zu überdenken. Wir brauchen eine gut funktionierende Landwirtschaft

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!