Die Anspielung ist deutlich: "Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein". So steht es über dem Antragsentwurf vom 21. Dezember 2023. Rund 160 AfD-Mitglieder haben unterzeichnet, viele von der Parteibasis in Unterfranken. Sie fürchten um die Glaubwürdigkeit der AfD. Aus ihrer Sicht soll der Antrag den AfD-Parteitag nächstes Wochenende beschäftigen.
Im fertigen Antrag findet sich die anspielungsreiche Überschrift zwar nicht mehr. Auch so bleibt aber kein Zweifel, worum es den Unterzeichnern geht: "Es stellen sich Fragen von der Rechtsstaatlichkeit und Gesetzestreue", heißt es in dem Papier, "über Loyalität zu unserem programmatischen Grundsatzrahmen bis hin zu unseren Idealen." Die Verantwortung für diese Glaubwürdigkeitskrise sieht der Antrag vor allem an zwei Stellen: dem "neu gewählten Landtagsabgeordneten Daniel H." und dem "Landesvorstand des zweitgrößten Landesverbands der AfD".
Halemba: Projektionsfläche eines Lagerkampfes
Der Antrag zeigt, wie es in der bayerischen AfD rumort – und wie der Landtagsabgeordnete Halemba zur Projektionsfläche des alten Lagerstreits wird. Am nächsten Wochenende (13./14. Januar) soll beim Landesparteitag ein neuer Vorstand gewählt werden. Die beiden Lager der AfD versuchen, ihren Einfluss auszubauen. Auf der einen Seite sind Halembas Kritiker. Sie tragen den Antrag und gehören zum vergleichsweise gemäßigten Lager der Partei.
Auf der anderen Seite stehen radikalere AfD-Mitglieder. Sie prägen den Landesvorstand und seit der Landtagswahl die Fraktion im Landtag. Teils werden sie dem formal aufgelösten, rechtsextremen "Flügel" zugeordnet. Angehörige dieses Lagers sollen Daniel Halemba beim Aufstieg geholfen haben.
Mit dem Antrag will das vergleichsweise gemäßigte Lager nun Druck ausüben – auf Halemba selbst und vor allem seine Unterstützer.
Worum es geht: Erste Vorwürfe gegen Halemba bereits 2022
Der Reihe nach. Der Fall Daniel Halemba nimmt seinen Anfang am 26. November 2022. Im unterfränkischen Bad Kissingen stellt sich Halemba zur Wahl. Er will im Oktober 2023 im Stimmkreis 604 (Haßberge/Rhön-Grabfeld) für die AfD als Direktkandidat antreten. Bis heute halten sich rund um die Aufstellungsversammlung unter AfD-Mitgliedern Vorwürfe. Auch der Antrag zum Landesparteitag bezieht sich auf diese Versammlung.
Der Streitpunkt: Zwei Teilnehmer der Aufstellungsversammlung sollen unrechtmäßig in die AfD aufgenommen worden sein. Eigentlich müssen Mitglieder in dem Kreisverband aufgenommen werden, in dem sie auch ihren Wohnsitz haben. Die zwei Mitglieder wurden allerdings im Kreisverband Würzburg aufgenommen – obwohl sie damals im unterfränkischen Haßfurt gelebt haben sollen.
Zwei AfD-Neumitglieder stimmten für Halemba
BR24 liegen Protokollkopien der Aufnahmegespräche vor. Demnach führte Halemba als stellvertretender Vorsitzender im Kreisverband Würzburg die Aufnahmegespräche – wenige Wochen vor der Aufstellungsversammlung. Die beiden Neu-Mitglieder stimmten kurz darauf für Halemba. Ausschlaggebend waren diese beiden Stimmen aber wohl nicht: Auch ohne sie hätte Halemba vermutlich seine Mehrheit bekommen.
Schon damals sollen AfDler kritisiert haben, dass die beiden Neu-Mitglieder gar nicht in den Kreisverband Würzburg hätten aufgenommen werden dürfen. Kurz darauf gab es zwei rückwirkende Ummeldungen von Haßfurt nach Würzburg – und zwar in das Haus jener Würzburger Studentenverbindung, der auch Halemba angehörte. Wegen melderechtlicher Verstöße erließ die Stadt Würzburg daraufhin Bußgeldbescheide.
Halembas Unterstützer in der Burschenschaft
In die Vorgänge waren mehrere Personen eingeweiht oder involviert. Aktive und ehemalige AfD-Mitglieder erzählen BR24 von einer Art "Netzwerk", das Halembas Aufstieg gefördert habe.
Dazu soll auch Harald D. gehören, der ebenfalls im Antrag der Halemba-Kritiker erwähnt wird. Einige AfD-Mitglieder beschreiben ihn als engen Vertrauten Halembas. Auf den Protokollkopien der strittigen Aufnahmegespräche taucht seine Unterschrift unter denen Halembas auf. Wie Halemba wird auch er in einem Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft Würzburg beschuldigt – nach einer Razzia im Anwesen der rechtsextremen Würzburger Burschenschaft "Teutonia Prag".
In ihrem Antrag gehen Halembas Gegner nun auch auf einen Vorwurf ein, der BR24 mehrfach geschildert wurde. Die Halemba-Kritiker stellen in ihrem Antrag die Frage, ob Halemba und D. versucht haben könnten, auf den Vorsitzenden des Landesschiedsgerichts Bayern Druck auszuüben. Bei diesem lagen mehrere parteiinterne Schreiben, in denen auch Halembas und D.‘s Namen erwähnt wurden.
Halemba und der Anwalt von Harald D. antworten ausführlich auf Fragenkataloge, die ihnen BR24 geschickt hat. Allerdings bitten beide darum, dass aus den Antworten nicht zitiert wird, auch nicht indirekt. Das zeigt jedenfalls, dass sie die Vorwürfe derzeit öffentlich nicht zurückweisen wollen.
Burschenschaftler als Landesschiedsrichter?
Wenn am nächsten Wochenende AfD-Mitglieder zum Landesparteitag zusammenkommen, wollen sie neben dem Landesvorstand auch das Landesschiedsgericht neu wählen. Mehrere Mitglieder befürchten im Gespräch mit BR24, dass dann der Jurist Harald D. für eine Position im Landesschiedsgericht kandidieren könnte.
Posten im Landesschiedsgericht gelten nicht als besonders beliebt. Sie sind ehrenamtlich und helfen nur marginal, an höhere Funktionen zu kommen. Bei unliebsamen Entscheidungen können sich Landesschiedsrichter sogar Gegner schaffen. Aber der Posten als Landesschiedsrichter ist auch einflussreich. Er entscheidet im Streitfall gemäß den Regeln der Partei, ob andere Mitglieder sanktioniert werden. Ob jemand gar ausgeschlossen wird.
Im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Tricksereien rund um Halembas Kandidatur sind zahlreiche Beschwerden beim Landesschiedsgericht gelandet. Zudem haben bereits Monate vor der Landtagswahl einzelne Mitglieder der AfD den Parteiausschluss von Halemba und Harald D. gefordert. Kopien derartiger Schreiben liegen BR24 vor.
Halembas Unterstützer im Landesvorstand
D. ist aber nicht der Einzige, der in dem Antrag erwähnt wird, sondern auch der Landesvorstand. So heißt es etwa: "Intransparenz, Wegschauen und Schönreden können nicht unsere Reaktionen darauf sein!" Halembas Kritiker fragen, wann der Landesvorstand erstmals über die Vorwürfe beraten habe.
BR24-Recherchen zeigen: Der Landesvorstand rund um den Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka war früh informiert. BR24 liegen E-Mails vor, in denen sich Halembas Kritiker schon ab Februar vergangenen Jahres an den Landesvorstand gewandt und auf Unregelmäßigkeiten im Kreisverband Würzburg hingewiesen haben. Sie schickten Belege in Form von Kopien, eine eidesstattliche Versicherung und Protokolle.
Auf BR24-Anfrage teilt der Landesvorsitzende Protschka mit, dass es sich bei der Angelegenheit um ein laufendes Verfahren handele und sich der Landesvorstand dazu nicht äußern werde.
Mehrheiten im Landesvorstand beeinflussen Halembas Zukunft
Für Halembas Zukunft dürfte eine Rolle spielen, wie sich die Mehrheitsverhältnisse nach der Neuwahl des Landesvorstands darstellen. Denn der AfD-Bundesvorstand hat den bayerischen Landesvorstand aufgefordert, Halemba aus der Partei auszuschließen und ihm die Mitgliedsrechte zu entziehen.
Der Landesvorstand hat daraufhin einen Rechtsanwalt beauftragt, einen Parteiausschluss zu prüfen. Das Ergebnis der Prüfung steht aus. Einige AfD-Mitglieder fürchten, dass die Sache nach der Neuwahl des Landesvorstandes im Sande verlaufen könnte. Denn für einen Ausschluss wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig. Halembas Gegner müssen fürchten, diese Mehrheit nicht zu erreichen. Dann bliebe allerdings noch der Bezirks- oder Kreisvorstand, um Halemba auszuschließen.
Die Rolle der Landtagsfraktion
So wird versucht, auch an einer dritten Stelle Druck zu machen: in der Landtagsfraktion. Halemba hat bereits auf Vorwürfe reagiert und seine Parteiämter niedergelegt – also den Vorsitz im Kreisverband Würzburg und die Mitgliedschaft im Bezirksvorstand Unterfranken. Sein Landtagsmandat aber hat er behalten.
Im Antrag fordern seine Kritiker ihn nun dazu auf, auch sein Mandat niederzulegen: "Millionen Menschen setzen deshalb ihr Vertrauen in die AfD, weil sie von uns Ehrlichkeit und Prinzipientreue erwarten. Dieses Vertrauen dürfen wir nicht erschüttern."
Für die AfD-Fraktion geht es in der Angelegenheit auch um ihren Status als größte Oppositionskraft. Dieser wäre verloren, würde Halemba aus der Partei und damit der Fraktion fliegen. Er bliebe dann als fraktionsloser Abgeordneter im Landtag. Würde Halemba hingegen sein Landtagsmandat niederlegen, würde ein neuer AfD-Abgeordneter nachrücken.
Halembas Unterstützer im Landtag
Doch auch aus der Fraktion gab es den Versuch, die umstrittene Wahl Halembas zu verteidigen, etwa von Richard Graupner, dem Vorsitzenden des AfD-Bezirksverbandes.
Graupner soll nach der strittigen Versammlung versucht haben, ein inzwischen ehemaliges AfD-Mitglied zu bewegen, eine eidesstattliche Versicherung zu unterschreiben. Demnach sollte das damalige Mitglied bekunden, dass die Wahl im November 2022 korrekt abgelaufen sei. Doch das Mitglied wollte diese Versicherung nicht abgeben. BR24 liegt eine Kopie des Schriftverkehrs vor.
Demnach reagierte Graupner im Januar 2023 mit einem Schreiben eines Rechtsanwalts. Darin wurde das Mitglied aufgefordert, binnen vier Werktagen zu unterzeichnen. Dem Schreiben zufolge forderte der Rechtsanwalt Kosten in Höhe von 540,50 Euro. Sollte das Mitglied unterschreiben, könnten diese Kosten allerdings erlassen werden.
Spannend daran: Bei Graupners Rechtsanwalt handelte es sich um Rene Dierkes. Der 32-Jährige sitzt seit Oktober 2023 ebenfalls für die AfD im Landtag. Dierkes teilt auf BR24-Anfrage mit, niemanden entgegen seiner Zweifel aufgefordert zu haben, an Eides statt zu versichern, dass eine Aufstellungsversammlung ordnungsgemäß abgelaufen ist. Das genannte Mitglied habe sich zuvor dazu bereit erklärt, eine Versicherung zu unterschreiben.
Graupner zufolge sind Vorwürfe gegen den Bezirksvorstand Unterfranken im Zusammenhang mit Halembas Kandidatur "unzutreffend". Zudem sieht Graupner die Verantwortung für Sanktionen beim Landesvorstand.
Zukunft des Antrags: ungewiss
Der Antrag von Halembas Gegnern ist bereits beim Landesvorstand eingereicht. Ob er beim Parteitag debattiert wird, ist offen. Dafür müsste eine Mehrheit der anwesenden Mitglieder zustimmen, die Tagesordnung abzuändern. Wer sich durchsetzt, bleibt abzuwarten.
Anm. d. Red. (06.01.24): Rene Dierkes antwortete auf unsere Fragen erst nach wiederholter Aufforderung. Wir haben seine Aussagen umgehend im Artikel ergänzt.
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