"Wir sehen, dass die Kontaktmaßnahmen wirken", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu Beginn der Pressekonferenz zur Corona-Lage. In Deutschland gebe es zurzeit nur ungefähr halb so viele Kontakte wie in der Zeit vor der Corona-Pandemie. Auch die Verdopplung der Corona-Infektionen finde nicht so schnell statt wie in anderen Ländern.
Aus der "steilen Wand" einen "Hügel" machen
Das Ziel der Bundesregierung sei es, aus der "steilen Wand der Infektionszahlen", die mit Omikron auf Deutschland zukommt "einen Hügel" zu machen. Wenn das gelinge, werde Deutschland weniger Sterbefälle, weniger schwere Verläufe, weniger Komplikationen, weniger Long-Covid-Fälle zu beklagen haben. Soweit man das bisher sehe, zeigten die Maßnahmen in etwa die erwartete Wirkung. Die unvermeidliche Omikronwelle solle verlangsamt und die gewonnene Zeit für Impfungen genutzt werden. Impfungen mit dem Präparat des US-Herstellers Novavax sollen voraussichtlich ab Ende Februar möglich sein.
Anlass für zusätzliche Verschärfungen von Alltagsbeschränkungen sieht der Gesundheitsminister vorerst nicht. Aus seiner Sicht sei zur jetzigen Zeit "das richtige Maßnahmenpaket am Platz", sagte der SPD-Politiker. Noch könne man der Welle mit der neuen Omikron-Variante auch mit beschleunigten Auffrischimpfungen Herr werden. Nötig seien aber Kontrollen und flächendeckende Umsetzung bestehender Beschränkungen.
Viele ungeimpfte Ältere in Deutschland
Trotzdem gebe es keinen Grund zur Entwarnung. Deutschland habe die Sondersituation, dass es eine besonders hohe Quote von Ungeimpften bei älteren Menschen habe. Deshalb seien auch Studien aus anderen Ländern, die auf weniger schwere Erkrankungen durch Omikron hindeuten und auf weniger Krankenhauseinweisungen, nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar.
"Ich glaube, dass wir jetzt in ein schwieriges Fahrwasser kommen", ergänzte der Bundesgesundheitsminister. Denn Krankenhäuser und Labore würden an ihre Grenzen kommen. Auch nach Aussage von RKI-Chef Lothar Wieler müsse man sich durch die Masse an Infektionen darauf einstellen, dass die Zahlen der Klinik-Einweisungen und der Todesfälle wieder steigen würden. Bisher hätten die Todesfälle noch nicht wieder zugenommen: "Das wird sich aber ändern."
Geänderte Teststrategie
Lauterbach sagte, mit Blick auf Freitestungen aus der Quarantäne würde er einen Vorrang bei der PCR-Test-Auswertung für Gesundheitspersonal veranlassen. Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, machte deutlich, dass es im Fall einer hundertprozentigen Omikron-Welle nicht mehr so wichtig sei, die genaue Virusvariante zu überprüfen. Der Testeinsatz ändere sich generell kontinuierlich. Wenn eine Kapazitätsgrenze erreicht sei, dann fokussiere man den Einsatz.
Drosten warnt davor, jetzt auf Durchseuchung zu setzen
Der Virologe Christian Drosten warnt angesichts der sich rasch verbreitenden Omikron-Variante des Coronavirus vor einer zu frühen Durchseuchung in Deutschland. Die Virusvariante sei zwar nach derzeitigem Kenntnisstand milder im Verlauf, weil es aber zu viele Fälle seien, werde dieser Gewinn "wieder ausgelöscht", sagte der Wissenschaftler von der Berliner Charité. Noch gebe es deutlich zu viele ungeimpfte Menschen in Deutschland, besonders auch in der Gruppe der Über-60-Jährigen. Viele Menschen hätten zudem noch keine Auffrischimpfung erhalten, die aber das wirkungsvollste Mittel im Kampf gegen Omikron sei, so Drosten.
Der Virologe sprach von mehreren "schwierigen Doppelbotschaften" in der derzeitigen Diskussion. Irgendwann müsse man das Virus "laufen lassen", weil man die Bevölkerung nicht immer wieder nachimpfen könne. "Wir wissen aber im Moment nicht, ob wir uns das in Deutschland leisten können angesichts der Impflücken", warnte Drosten. "Da sind wir ein bisschen im Blindflug."
Weitgehend endemische Lage bis Ende des Jahres möglich
Drosten ging davon aus, dass die endemische Lage bis Jahresende weitgehend erreicht sei. Er stellte in Aussicht, dass gegen die Omikron-Variante wahrscheinlich noch einmal bei der Impfung nachgesteuert werden müsse. Es werde eine angepasste Impfung geben müssen, so der Virologe. Vielleicht müssten ab dem zweiten Quartal große Teile der Bevölkerung oder vielleicht sogar möglichst alle eine Update-Impfung gegen Omikron erhalten. Der Virologe bekräftigte seinen Appell an Ungeimpfte, sich dringend immunisieren zu lassen.
Wieler: Omikron wird in nächsten Tagen Delta verdrängt haben
"Die Omikron-Welle, sie türmt sich weiter auf und das mit einer Dynamik, wie wir das in dieser Pandemie bislang noch nicht gesehen haben", begann RKI-Chef Lothar Wieler sein Statement in der Pressekonferenz. Omikron dominiere das Infektionsgeschehen und mache momenten bundesweit 70 Prozent aller Neuinfektionen aus. Das RKI gehe davon aus, dass Omikron Delta in den nächsten Tagen verdrängen werde. Geschätzt gebe es momentan mindestens 800.000 aktive Fälle.
Lauterbach persönlich "ohne Wenn und Aber" für Impfpflicht
Lauterbach blieb dabei, dass sein Ministerium keinen eigenen Vorschlag für eine generelle Impfpflicht vorlegen will. Sein Haus müsse allen Mitgliedern des Bundestages zuarbeiten, die Anträge ausarbeiteten. "Das kann ich nicht, wenn ich als Minister gleichzeitig eine Amtsmeinung habe", sagt der SPD-Politiker.
Als Abgeordneter des Bundestages sage er aber: "Ich bin ohne Wenn und Aber für eine Impfpflicht. Ich bin für eine Impfpflicht ab 18." Dies diene vor allem der Vorsorge für den Herbst. Er wolle allen ersparen, "dass wir dann erneut vor der Frage stehen, brauchen wir einen Lockdown".
- Zum Artikel: Corona: Aktuelle Zahlen zur Impfung in Bayern und Deutschland
Virusvariante könnte neue Berechnungswerte erfordern
"Die Covid-19 Epidemie in Deutschland wird zunehmend von der Omikron-Variante dominiert", heißt es auch im RKI-Lagebericht von Freitag. Die Variante weiche in ihren Eigenschaften von bisher dominierenden Varianten ab: Omikron habe eine vermutlich kürzere Inkubationszeit – das heißt nach der Infektion treten schneller Symptome auf – und Omikron-Viren breiten sich im menschlichen Körper schneller aus, haben also eine eine kürzere Generationszeit.
Wenn sich die diese kürzere Generationszeit bestätige, müsste auch die Schätzung des R-Wertes angepasst werden. Der R-Wert gibt an wie viele weitere Personen eine infizierte Person durchschnittlich ansteckt.
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