Ein Quäntchen Wehmut ist zu spüren, als Janine Wissler und Martin Schirdewan diese Woche in der Berliner Parteizentrale vor die Presse treten. Zum letzten Mal stellt sich die bisherige Doppelspitze der Linken hier den Fragen der Journalisten. "Es war nicht immer einfach", sagt Wissler. "Aber es war uns immer eine Ehre."
Zu groß war zuletzt der Druck auf das Führungsduo. Die Abspaltung des Wagenknecht-Lagers konnten die beiden nicht verhindern. Sowohl die Europawahl als auch die Landtagswahlen im Osten gerieten für die Linken zum Fiasko. In Brandenburg fiel das Ergebnis so schlecht aus, dass die Linke erstmals aus einem ostdeutschen Landtag geflogen ist. Und in bundesweiten Umfragen liegt die Partei seit Langem unter fünf Prozent.
Linke strebt Wiedereinzug in Bundestag an
Wissler gibt sich beim Auftritt im Karl-Liebknecht-Haus von alldem unbeeindruckt: "Natürlich ist das Ziel, das über allem steht, dass die Linke im nächsten Jahr als Fraktion in den Deutschen Bundestag einzieht." Im Augenblick ist die Partei lediglich als Gruppe im Parlament vertreten – eine Folge des Weggangs von Sahra Wagenknecht und deren Mitstreitern. Auch wenn Wissler und Schirdewan die Linke nicht in den Bundestagswahlkampf führen werden, nehmen sie für sich in Anspruch, die richtigen Weichen gestellt zu haben.
"Wir sind eine Partei, die sich in diesen schwierigen gesellschaftlichen Zeiten entschieden hat, gegen den Strom zu schwimmen", sagt Schirdewan. Eine Metapher, die sich auch durch den Leitantrag des bisherigen Parteivorstands zieht. Die Autoren beklagen einen umfassenden Rechtsruck – ob in der Asylpolitik oder in Fragen von Krieg und Frieden. Und sie üben Selbstkritik: Der Linken sei es nicht gelungen, mit der Forderung nach einer gerechten Verteilung von Wohlstand durchzudringen.
Wissler setzt auf "Politik aus Klassenperspektive"
Künftig soll klar erkennbar sein, wofür die Linke steht: "Wir wollen Politik aus der Klassenperspektive machen", stellt Wissler fest. Also aus der Perspektive derer, die von ihrer Arbeit leben – und nicht von Kapitalerträgen oder Mieteinkünften. Bezahlbare Wohnungen, ein höherer Mindestlohn, eine sozial ausgewogene Klimaschutzpolitik: mit solchen Forderungen will die Linke beim Parteitag in Halle versuchen, Vertrauen zurückzugewinnen.
Auch personell stehen an diesem Wochenende wichtige Entscheidungen an. Die Basis soll eine neue Doppelspitze wählen. Die größten Chancen haben Jan van Aken und Ines Schwerdtner. Van Aken saß schon ein paar Jahre für die Linke im Bundestag und war vorher als UN-Biowaffeninspekteur tätig. Der 63-Jährige soll der Linken in der Diskussion über den Krieg in der Ukraine mehr Gewicht verschaffen.
Schwerdtner hat bisher als Journalistin für "linke Zeitungen" gearbeitet, wie sie auf ihrer Internetseite schreibt. 1989 in Sachsen geboren, hat sie die Wende zwar nicht bewusst erlebt. Doch die Umwälzungen nach dem Mauerfall seien auch in ihrer Familie zu spüren gewesen. Und so formuliert Schwerdtner als Motto für ihre Kandidatur: "Streiten für den Osten".
Rosenheimer Linke-Abgeordneter kandidiert als Parteivize
Auch Ates Gürpinar aus Bayern stellt sich in Halle zur Wahl: als stellvertretender Parteivorsitzender. Der Rosenheimer Abgeordnete beschreibt die gesellschaftliche Situation als "ungeheuer dramatisch". Der Alltag der Menschen werde immer mühsamer – und die Verantwortung dafür werde Bürgergeldempfängern und Flüchtlingen zugeschoben. "Diese Ablenkungsdebatte ist absurd", macht Gürpinar auf BR24-Anfrage deutlich. Er sei aber sicher, dass er nach dem Parteitag "mit einem guten Gefühl nach Hause fahren" werde.
Eine Portion Optimismus kann der Linken sicher nicht schaden – gerade dem bayerischen Landesverband. Bei der Europawahl im Juni kam die Linke im Freistaat nur noch auf 1,4 Prozent. Der Bundesparteitag in Halle soll nun die Wende bringen. Doch ob die Linke den Absturz in die Bedeutungslosigkeit noch abwenden kann, ist ungewiss.
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