Menschen in Paris haben sich am Wahlabend auf einem Platz versammelt
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Linken-Sieg bei Frankreichwahl: Was kommt auf die Republik zu?

Linken-Sieg bei Frankreichwahl: Was kommt auf die Republik zu?

Nicht der extrem rechte Rassemblement National liegt bei der Parlamentswahl vorne, sondern das Linksbündnis Nouveau Front Populaire. Dennoch bleibt Frankreichs politische Zukunft ungewiss – wie eh und je.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

"In der ersten Runde wählen die Franzosen aus, in der zweiten schließen sie aus." So lautet eine alte, viel zitierte Weisheit aus der Politikwissenschaft. Alt, aber noch immer zutreffend. Vor einer Woche war der Rassemblement National noch in 297 von 577 Wahlkreisen vorne und mit etwas mehr als 33 Prozent die unangefochten stärkste Kraft.

Die Besonderheiten des französischen Wahlsystems führen aber dazu, dass er nur die drittstärkste Fraktion im Parlament stellen wird. Für viele völlig überraschend gewinnt das Linksbündnis Nouveau Front Populaire die Wahl. Auf Platz zwei landet der Zentrumsblock Ensemble, der bisher regierte und den Präsidenten Emmanuel Macron unterstützt.

In Frankreich wird in jedem der 577 Wahlkreise nach dem Mehrheitswahlrecht entschieden. In knapp 500 Wahlkreisen, in denen keiner der Kandidierenden eine absolute Mehrheit erhalten hatte, waren die Wähler nochmal zum Urnengang aufgerufen. 43 Millionen Französinnen und Franzosen waren für die zweite Runde stimmberechtigt. Die Wahlbeteiligung war mit rund 67 Prozent wieder sehr hoch.

Wie ist die Schlappe für den RN zustande gekommen?

Besonders wichtig ist, dass für die Stichwahlen im Prinzip alle zugelassen sind, die 12,5 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten im ersten Durchgang auf sich vereinen konnten. In rund 300 Wahlkreisen hätte es deshalb potenziell zu sogenannten "triangulaires" kommen können. Also nicht zu Duellen, sondern Triellen zwischen – meistens – Kandidaten des RN, des Nouveau Front Populaire und Ensemble.

Doch bei knapp zwei Dritteln dieser Trielle zog sich einer der Kandidaten zurück und rief seine Wähler dazu auf, ihre Stimme dem besser platzierten Kandidaten gegen den Rassemblement National zu geben. Diese überparteiliche Einheit wird in Frankreich auch "front républicain" oder "arc républicain" genannt.

Vor dem zweiten Durchgang war noch unklar, wie gut dieser front républicain funktionieren würde. Denn viele linke Wählerinnen und Wähler verachten die Politik der Regierung und des Präsidenten. Etwa deren Renten- und Einwanderungsreform. Auf der anderen Seite sahen viele Macron-Sympathisanten vor allem in Vertretern von La France insoumise (LFI), einem Teil des Bündnisses Nouveau Front Populaire, eine Gefahr für die Demokratie.

LFI-Abgeordnete hatten zwei Jahre lang im Parlament für Eklats gesorgt und wurden wegen ihrer Positionen im Gaza-Krieg mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert. Doch in der Stichwahl wählten laut dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos rund drei Viertel aller linken Wähler die Ensemble-Kandidaten, wenn sie gegen einen RN-Kandidaten antraten. Umgekehrt gaben rund 40 Prozent der Ensemble-Wähler ihre Stimme einem LFI-Kandidaten. Wenn Sozialisten oder Grüne zur Wahl standen zu rund 55 Prozent.

RN litt auch unter eigenen Kandidaten

Nicht nur der arc républicain war entscheidend für das schlechte Abschneiden des Rassemblement National. Sondern auch das teilweise stümperhafte Auftreten von Vertretern der extrem rechten Partei in Interviews und TV-Debatten. In der vergangenen Woche wurden Netzwerke wie "X" oder Instagram teils mit Clips von bis dahin unbekannten Vertretern des RN geflutet.

Ins Rollen brachte diese Lawine an unvorteilhaften Videos die Kandidatin in der Mayenne, Paule Veyre de Soras. Sie antwortete einem Journalisten, ihre Partei könne nicht rassistisch sein, denn ihr Augenarzt sei Jude, ihr Zahnarzt Muslim. Ein weiterer Kandidat ist Laurent Gnaedig im Elsass, der in einer Fernsehdebatte sagte, dass Jean-Marie Le Pens Äußerungen, die Gaskammern seien ein "Detail der Geschichte", nicht antisemitisch seien, sondern ein "schwerer Kommunikationsfehler".

Jahrelang hatten Marine Le Pen und der Parteivorsitzende Jordan Bardella am Image des RN gearbeitet. Eine Metamorphose, die als "Dediabolisierung" und "Normalisierung" umschrieben wurde. Sie arbeiteten am Bild einer Partei, die morgen die Macht übernehmen könnte. Die Spitze veröffentlichte sogar einen "Plan Matignon", wie die Partei quasi auf Knopfdruck die Regierung stellen könnte. Doch die unvorteilhaften Auftritte zeigten das genaue Gegenteil. Bardella versuchte zu beschwichtigen. Er habe 577 Kandidaten eingesetzt und da gäbe es eine Handvoll "Castingfehler". Scheinbar ohne Erfolg.

Der 28 Jahre alte Bardella beschrieb in seiner Rede nach Bekanntgabe des Ergebnisses, dass der RN gegen eine "Allianz der Unehre" angetreten sei. Das Ergebnis stürze Frankreich in die Arme der extremen Linken und des LFI-Parteigründers Jean-Luc Mélenchon. Der Parteivorsitzende kündigte an, dass der RN in Zukunft noch härter arbeiten werde.

Frankreich vor politischem k.o.?

Die Zukunft Frankreichs könnte nicht ungewisser sein. Das politische System ist eigentlich darauf ausgerichtet, klare Mehrheiten zu schaffen. Frankreich fehle eine Kompromisskultur, beschreiben Politikwissenschaftler immer wieder. Koalitionen wie in Deutschland sind im Rahmen der Fünften Republik seit 1958 nahezu undenkbar.

Der LFI-Parteigründer und mehrfache Präsidentschaftskandidat Mélenchon jubelte über den Sieg des Nouveau Front Populaire und kündigte an, dass der NFP sein gesamtes Programm umsetzen werde. Darunter die Anhebung des Mindestlohns, höhere Steuern für Reiche auf Einkommen und Vermögen sowie die Einführung der Rente mit 60. Mélenchon dürfte aber bewusst sein, dass sein Bündnis weit von der absoluten Mehrheit von 289 Sitzen entfernt liegt. Der NFP hat nicht einmal deren 200.

Das Ensemble-Bündnis, das in den vergangenen sieben Jahren regierte, wird zwischen 160 und 169 Abgeordnete in die neue Nationalversammlung entsenden. Bisher waren es 250. Marine Le Pens Rassemblement National (RN), dürfte laut den Projektionen 135 bis 143 Mandate erhalten. Die konservativen Republikaner werden zu rund 60 vertreten sein. Viele fürchten, das Land könnte nun unregierbar werden. Nicht zu leugnen ist, dass nun für Frankreich kreative Lösungen gefragt sind.

Trotz großer Skepsis gegenüber Koalitionen wäre eine Möglichkeit, eine Allianz zwischen republikanischen Kräften zu schmieden. Dafür müssten Sozialisten, Grüne und Kommunisten das Linksbündnis Nouveau Front Populaire verlassen und mit dem Zentrumsblock Ensemble und den Republikanern zusammenarbeiten. Die nächste Option wäre eine Regierung, die je nach Projekt nach Mehrheiten sucht. Auf Dauer, fürchten Kritiker dieser Variante, sei dies unpraktikabel. Zu guter Letzt könnte Präsident Macron eine Technokraten-Regierung einsetzen, wie sie in Italien unter Mario Draghi praktiziert wurde.

Macron muss einen Premierminister aussuchen

Denn laut Verfassung ist jetzt wieder Macron am Zug. An ihm ist es, einen oder eine Premierministerin zu ernennen. Der bisherige Premier Gabriel Attal kündigte an, dass er am Montagmorgen seinen Rücktritt einreichen werde, da sein Ensemble-Bündnis nicht auf dem ersten Platz gelandet sei. Macron ist zwar nicht dazu verpflichtet, einen Regierungschef aus den Reihen der stärksten Partei auszuwählen. Jedoch bürgerte sich diese Praxis in den vergangenen Jahrzehnten ein.

Macron wurde für sein Verhalten in den vergangenen Wochen parteiübergreifend kritisiert. Er hatte am 9. Juni, nach einer herben Schlappe bei der Europawahl, das Parlament aufgelöst und dessen Neuwahl ausgerufen. Ohne Not habe er die Zukunft Frankreichs aufs Spiel gesetzt, warnten Kritiker sowohl der Linken als auch seiner eigenen Regierung. Dazu warnte Macron noch vor dem Ausbruch eines Bürgerkriegs. Eine gefährliche Aussage, wenn sie vom Präsidenten selbst ausgesprochen wird, fürchten seine Kritiker.

Macron selbst stand nicht zur Wahl. Seine Amtszeit endet 2027. Allerdings weisen Verfassungsexperten wie Yoan Vilain von der HU Berlin darauf hin, dass Macron bei einem politischen k.o. Frankreichs fast zum Rücktritt gezwungen sei. Denn das Parlament darf er ein Jahr lang nicht mehr auflösen. Und ohne das Parlament, ein weiteres französisches Sprichwort zum Schluss, ist der Präsident nackt.

Im Video: Der Politikwissenschaftler Klaus Götz zur Wahl in Frankreich

Der Politikwissenschaftler Klaus Götz zur Wahl in Frankreich
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