Unter großem Zeitdruck dauert die Rettung von Verschütteten in den Erdbeben-Gebieten im Süden der Türkei und im Norden Syriens an. Für viele Menschen kam indes jede Hilfe zu spät.
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Bisher mehr als 11.000 Tote in beiden Ländern
Die Zahl der Todesopfer in der Türkei und Syrien ist auf mehr als 11.700 gestiegen. Die Behörden haben abermals neue Zahlen genannt. Allein in der Türkei seien 9.057 Menschen gestorben, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan im Erdbebengebiet Hatay. Knapp 53.000 Menschen seien verletzt worden. Mehr als 6.400 Häuser seien eingestürzt. Aus Syrien wurden zuletzt 2.662 Tote gemeldet. Dort ist die Lage besonders unübersichtlich.
Noch viele Vermisste im Erdbebengebiet
Die Opferzahl schnellte nicht zuletzt deshalb in die Höhe, weil sich deutlich mehr Rettungsteams an der Bergung beteiligen. Es wird befürchtet, dass angesichts vieler Vermisster noch mehr Leichen gefunden werden. Vor allem im Norden Syriens gestalten sich Arbeiten schwierig.
Insgesamt betroffen von der Katastrophe sind nach Angaben türkischer Behörden etwa 13,5 Millionen Menschen. Syrischen Staatsmedien zufolge sind mehr als 298.000 Menschen gezwungen gewesen, ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen. Es ist das folgenschwerste Erdbeben seit 2011, als in Japan und Gebieten im Indischen Ozean fast 20.000 Menschen umkamen.
Mehrere Kleinkinder aus Trümmern gerettet
Rettungskräfte haben im südtürkischen Hatay nach 58 Stunden unter Trümmern ein vier Monate altes Mädchen gerettet. Die Helfer könnten das Baby durch eine eine Lücke zwischen eingestürzten Hauswänden herausheben. Die Suche nach den Eltern geht nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA weiter.
In Kahramanmaras wurde ein einjähriges Mädchen mit seiner schwangeren Mutter nach 56 Stunden lebend unter den Trümmern hervorgeholt, wie die DHA berichtete. Der Vater war schon zuvor lebend gerettet worden.
Mittwochmittag hatten italienische Feuerwehrleute in der Stadt Antakya in den Trümmern eines eingestürzten Hauses einen Jungen lebend entdeckt. Experten sagen, noch bis zu 100 Stunden nach dem Erdbeben gebe es Chancen, Menschen aus eingestürzten Häusern zu retten – das wäre bis Freitagmorgen.
Erdogan räumt Probleme bei Krisenmanagement ein - Soforthilfe für Betroffene
Der türkische Präsident Erdogan räumte Probleme bei den Hilfsmaßnahmen ein. Es habe einige Schwierigkeiten bei der ersten Krisenreaktion gegeben, sagte Erdogan bei einem Besuch im Katastrophengebiet in der Provinz Kahramanmaras im Süden des Landes. Nun seien die Abläufe wieder normal, betonte Erdogan.
Es hatte Beschwerden aus der Bevölkerung über mangelnde Hilfsressourcen und eine zu langsame Reaktion der Behörden gegeben. Den Opfern des Erdbebens sagte Erdogan finanzielle Hilfe zu. Betroffene Familien sollen jeweils 10.000 Türkische Lira (rund 500 Euro) Soforthilfe erhalten. Am Dienstag hatte Erdogan einen dreimonatigen Ausnahmezustand für die zehn vom Erdbeben betroffenen Provinzen ausgerufen.
Bundeswehr fliegt 50 Tonnen Hilfsgüter in Türkei - THW-Helfer vor Ort
Die deutsche Luftwaffe wird 50 Tonnen Hilfsgüter in die Erdbeben-Region fliegen. Donnerstagvormittag sollen drei Transportmaschinen des Typs A400M vom Stützpunkt Wunstorf in Niedersachsen aus mit Hilfsmaterial in Richtung Türkei starten. Am Mittwoch ist bereits ein 50-köpfiges Team des Technischen Hilfswerks in Gaziantep im Südosten der Türkei eingetroffen. Die Kräfte des THW stammen vor allem aus Hessen, Rheinland und dem Saarland.
Auch Helfer und Hilfsgüter aus Bayern
Auch Helfer aus Bayern unterstützen die Rettungskräfte im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Von den Flughäfen München und Nürnberg haben sich am Mittwoch mehrere Helfer auf den Weg in die Türkei aufgemacht. Auch Hilfsgüter aus dem Freistaat sind unterwegs in das Erdbebengebiet.
- Zum Artikel: "Erdbeben-Katastrophe: Wie Bayern hilft"
Internationale Helfer unterstützen örtliche Rettungskräfte
Wie der für den Katastrophenschutz zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic sagte, sind derzeit 36 Ärzteteams und Rettungsmannschaften aus 23 Ländern mit insgesamt 1.500 Helferinnen und Helfern sowie hundert Suchhunden auf dem Weg in die Region oder bereits im Einsatz, weitere werden folgen. Die Such- und Rettungsteams unterstützen Zehntausende Helfer örtlicher Rettungskräfte. Aus aller Welt wird Hilfe zugesagt.
Das UN-Nothilfebüro OCHA kündigte einen Notfallfonds in Höhe von 25 Millionen Dollar (23 Millionen Euro) für die Erdbebenopfer in der Region an. Die EU-Kommission hat der Türkei und Syrien weitere Unterstützung zugesagt. Syrien erhalte zunächst 3,5 Millionen Euro Soforthilfe, die Türkei bekomme drei Millionen Euro, teilte die Brüsseler Behörde am Mittwoch mit. Den Angaben zufolge handelt es sich um eine der größten Hilfsaktionen jemals im Rahmen des Katastrophenschutzmechanismus.
Botschafter dankt für Hilfe - Deutschland sichert Unterstützung zu
Auch deutsche Hilfsteams nahmen ihren Einsatz auf. Helfer der Organisation I.S.A.R. seien an der Rettung einer verschütteten Frau beteiligt gewesen, teilte die Organisation mit, die in der heftig getroffenen Stadt Kırıkhan nahe der türkisch-syrischen Grenze hilft.
Der türkische Botschafter in Deutschland, Ahmet Başar Şen, zeigte sich beeindruckt von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Das türkische Volk sei sehr dankbar und "überwältigt von der raschen Unterstützung unserer Nachbarn und Freunde in der jetzigen Notsituation", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, Deutschland liefere Hilfsgüter in die Türkei und stehe in engem Kontakt mit den Vereinten Nationen, um humanitäre Hilfe auch in das syrische Erdbebengebiet zu bringen. Neben mehreren arabischen Ländern sicherten auch der Iran, Russland und China der syrischen Führung Unterstützung zu. Auch aus Indien kam bereits ein Flugzeug mit Hilfsgütern an.
Oppositionsführer kritisiert Erdogan scharf
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu warf Erdogan derweil Versagen vor. "Wenn jemand hauptverantwortlich für diesen Verlauf ist, dann ist es Erdogan", sagte der Chef der größten Oppositionspartei CHP, in einem Video. Erdogan habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten, kritisierte Kılıçdaroğlu.
Er warf Erdogan zudem vor, die Erdbebensteuer, die für die Vorsorge gedacht ist, verschwendet zu haben. Kılıçdaroğlu war in die Erdbebenregion gereist, Erdogan wird Medienberichten zufolge am Mittwoch dort erwartet, voraussichtlich reist er nach Adıyaman.
Verzweifelte Fragen der Menschen
Trotz aller Anstrengungen in dem großen Gebiet, das betroffen ist, sind in den sozialen Medien immer wieder Videos und Hilferufe von verzweifelten Menschen zu sehen, die noch verschüttet sind oder von Angehörigen, die Stimmen unter den Trümmern hören können, aber kein schweres Gerät haben, um ihre Verwandten zu retten.
Immer wieder gibt es auch Kritik an der Regierung: "Wo ist Hilfe?", "Wo ist unser Präsident?" Zugleich werden Fragen immer lauter: Warum sind so viele Häuser zusammengefallen wie Kartenhäuser? Warum wurde nicht mehr Vorsorge getroffen? Die Augen richten sich nun auf Präsident Erdogan, der im Mai vor schwierigen Wahlen steht.
Beben der Stärke 7,7 bis 7,8
Mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte das Beben am frühen Montagmorgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Am Montagmittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Tausende Gebäude stürzten ein.
Wie können Hilfslieferungen ins Bürgerkriegsland gebracht werden?
Sorge bereitet zusätzlich die Frage, wie internationale Hilfe ins Bürgerkriegsland Syrien gebracht werden kann, derzeit ist nur ein Grenzübergang, der Übergang Bab al-Hawa, offen, der am Dienstag wegen zerstörter Straßen aber blockiert war.
- Zum Artikel: "Wie kommt die Hilfe zu den Erdbebenopfern in Syrien?"
Provider erlassen Kosten für Anrufe in Erdbebengebiete
Als Reaktion auf das verheerende Erdbeben erlassen die Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica (O2) vorerst die Kosten für Telefonate in die Türkei und nach Syrien.
Vielerorts sei allerdings die Kommunikationsinfrastruktur in den Krisengebieten zerstört, erklärte ein Vodafone-Sprecher. Um dringend benötigte Mobilfunk-Netze schnellstmöglich aufzubauen, bringe Vodafone sogenannte Instant-Networks und freiwillige Technik-Experten auch aus Deutschland zu den Menschen. Diese lieferten Basis-Mobilfunk für Betroffene genauso wie für Retter und Helfer vor Ort.
Mit Informationen von ARD-Korrespondenten Stephan Ueberbach und Karin Senz, dpa, KNA, AFP, AP
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