Die Türkei wird immer wieder von Erdbeben erschüttert: 1999 starben in der Region um Gölcük im Westen des Landes mindestens 17.000 Menschen, bei einem Beben ein paar Monate später in Düzce mehrere Hundert. Danach ereigneten sich schwere Erdbeben unter anderem in Elâzığ (2010), Van (2011) und Izmir (2020).
Am Montagabend (20. Februar) erreichten wieder Meldungen von Erdbeben in der Region die Welt. Zwei neue starke Beben hatten die Katastrophenregion Hatay in der Türkei und den Norden Syriens erschüttert, eines der Beben mit der Stärke 6,4. Wieder gab es Tote und Verletzte - nur zwei Wochen nach den ersten beiden Beben mit mehr als 40.000 Toten allein in der Türkei nach offiziellen Angaben. Das Zentrum des Erdbebens lag dieses Mal in der Stadt Defne in der türkischen Provinz Hatay an der Grenze zu Syrien. Es gab Dutzende Nachbeben.
Mehrere Erdplatten treffen aufeinander
Der Grund für die Häufigkeit der Erschütterungen: Mehrere Erdplatten treffen in der Region aufeinander. Das schwere Beben in der Nacht auf den 6. Februar in der türkisch-syrischen Grenzregion mit einer Stärke von 7,8 sei aus wissenschaftlicher Sicht "überfällig" gewesen, sagte die Erdbeben-Expertin Charlotte Krawczyk vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) kurz nach der Naturkatastrophe auf Bayern 2.
Das Beben betraf die sogenannte Ostanatolische Verwerfungszone zwischen der Anatolischen und der Arabischen Erdplatte. Das Epizentrum lag nahe der südtürkischen Stadt Gaziantep. Die Region galt laut Experten schon lange als stark erdbebengefährdet, weil es dort über viele Jahrhunderte seismisch ruhig war, während sich an der Plattengrenze immer mehr Spannung aufgebaut hat.
Platten verschieben sich zwei Zentimeter pro Jahr
"Platten verschieben sich etwa mit zwei Zentimetern pro Jahr gegeneinander", erklärt die Erdbeben-Expertin. "Das tun sie ganz kontinuierlich, manchmal verhaken sie sich aber und dann staut sich Energie und Spannung auf." Wenn sich diese Spannung sprunghaft entlädt, bebt die Erde.
Krawczyk erklärt weiter: "Zu wissen, wie verhält sich dieser Untergrund, wie baut sich genau die Spannung auf und wann ist es soweit, dass es sich entlädt, das ist sehr schwer vorherzusagen."
Erdbeben setzen viel Energie frei - Tiefe spielt eine Rolle
Mit 7,8 sei das erste Beben dann letztlich sehr stark ausgefallen. "7,8 ist fast das stärkste, was an so einer kontinentalen Plattenrandstörung auftreten kann", erklärt Marco Bohnhoff, ebenfalls vom GFZ. "7,8 bedeutet, dass sich auf einer Länge von 200 oder mehr Kilometern von der Oberfläche bis in etwa 20 Kilometer Tiefe die Erdplatten quasi innerhalb von Sekunden - oder hier bis zu zwei Minuten lang - gegeneinander verschieben. Und zwar um einige Meter." Entsprechend viel Energie werde freigesetzt.
Die Ausmaße der Zerstörung hängen unter anderem mit der Tiefe des Erdbebens zusammen. Das damalige Beben ereignete sich laut Experten in einer Tiefe von 10 bis 15 Kilometern. "Wenn wir dasselbe Beben in 100 Kilometern Tiefe gehabt hätten, hätten wir es wesentlich weniger an der Erdoberfläche gespürt", so Krawczyk. Aber auch der Untergrund, auf dem Häuser gebaut werden, spielt eine Rolle, also ob Gebäude auf festem, lockerem Gestein oder etwa Sand gebaut sind. "Je nachdem was ich habe, kann sich die Bodenbewegung verstärken oder besser abgefangen werden", so die Erdbeben-Expertin.
Erdbebensichere Bauten notwendig
Und natürlich spielt auch die Art der Bebauung eine große Rolle: Nach dem Erdbeben von 1999 sind in der Türkei Bauvorschriften verschärft worden. Damals hatte sich herausgestellt, dass beim Bau teilweise gepfuscht wurde, zum Beispiel an stabilisierenden Materialien gespart oder tragende Wände entnommen wurden, um mehr Platz zu schaffen.
Viele Häuser sind aber älter und entsprechen damit nicht den neuesten Vorschriften. Zudem wird befürchtet, dass sich Bauunternehmen nicht immer an die neuesten Vorgaben gehalten haben. Dies könnte möglicherweise eine Erklärung dafür sein, dass teilweise auch neue Bauten wie beispielsweise in Malatya eingestürzt sind.
Viele Nachbeben erschüttern die Region
Viele Gebäude hatten zwar dem ersten Beben Anfang Februar standgehalten, sind dann aber bei einem der zahlreichen Nachbeben zusammengebrochen. Nach türkischen Angaben hatte es mehr als 6.000 Nachbeben gegeben. Diese versetzten die sowieso schon traumatisierten Menschen nicht nur immer wieder in Panik, sondern erschwerten auch die schwierigen Rettungsarbeiten.
Großes Beben in Istanbul befürchtet
Auch für die größte Stadt der Türkei, Istanbul, das auf zwei Kontinenten - Asien und Europa - liegt, wird seit Jahrzehnten ein großes Beben erwartet. Wann genau sich die Spannungen tief in der Erde allerdings entladen, ist trotz intensiver Forschung nicht vorhersehbar. Die schätzungsweise 17 Millionen Menschen in der Metropole am Bosporus müssen, wie viele andere Menschen in der Türkei auch, mit der Gefahr leben.
Es werden immer wieder Ersthelfer ausgebildet, Kinder lernen in Schulen, wie man sich bei Erdbeben verhält. "Die Gefahr ist für die Region leider nicht gebannt", sagt Bohnhoff vom GFZ.
- Zum Artikel: "Nach Erdbeben – Spenden für die Menschen in der Türkei und in Syrien"
Mit Informationen von dpa, AP und AFP
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