Politischer Extremismus fordert die Demokratie heraus, will sie abschaffen. Der Staat ist keineswegs wehrlos und verfügt über verschiedene Instrumente, Extremismus zu bekämpfen. Ein Mittel: Organisationen zerschlagen durch Vereinsverbote. Zuletzt verbot Innenministerin Faeser (SPD) die rechtsextremen Hammerskins, die sogenannte Artgemeinschaft und den deutschen Ableger des terrornahen palästinensischen Netzwerks Samidoun. Untersagt wurde auch die Tätigkeit der islamistisch-terroristischen Hamas in Deutschland.
Die Maßnahmen haben eine Diskussion über die Effizienz solche Verbote entfacht. Kann man damit Extremismus tatsächlich wirksam bekämpfen? Unsere User und Userinnen fragten anlässlich eines "Reichsbürger"-Kongresses in Bayern zudem, ob Verbote ein geeignetes Mittel gegen die Reichsbürger-Bewegung wären.
Strukturen können verboten werden, Ideologien nicht
Die Dresdner Politikwissenschaftlerin Julia Gerlach, Expertin auf dem Gebiet der Vereinsverbote, hält Verbotsverfahren mit Blick auf die Reichsbürger für sinnvoll. Das könne dazu führen, "Netzwerke und Infrastrukturen aufzudecken und zu zerschlagen. Die Reichsbürger-Bewegung sei "aktuell eine der größten und herausforderndsten rechtsextremistischen Strömungen mit einem nicht zu unterschätzenden Gewaltpotential."
Hier müsse der demokratische Verfassungsstaat eine deutliche Grenzlinie ziehen, sagte Gerlach im Gespräch mit BR24. Im März 2020 hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erstmals eine Reichsbürger-Organisation ("Geeinte deutsche Völker und Stämme") verboten.
Gerlach benennt aber auch Grenzen. Ein Vereinsverbot könne "nur die Infrastruktur und die sichtbaren Aktivitäten einer Gruppierung erfassen. Es kann nicht die Ideologie von Gruppierungen bekämpfen." Im digitalen und globalen Zeitalter sei zudem "die Überwachung der Einhaltung des Verbots sehr schwierig". Gruppierungen könnten sich neu formieren "und ihre Aktivitäten klandestin mittels schwer einsehbarer Kommunikationskanäle fortsetzen", sagt Gerlach.
Betätigungsverbot für ausländische Organisationen
Bei ausländischen Organisationen können die Behörden ein Betätigungsverbot aussprechen, so wie es Nancy Faeser nun im Falle der Hamas getan hat. Bereits im Jahr 2014 hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auf diese Möglichkeit zurückgegriffen und die Tätigkeit des sogenannten Islamischen Staates in Deutschland untersagt.
Für Julia Gerlach kommt es im Falle der Hamas darauf an, die Verbreitung antisemitischer, israelfeindlicher und islamistischer Propaganda zu unterbinden und Finanzströme zur Unterstützung des Terrors trocken zu legen. Positive Erfahrungen gibt es laut der Wissenschaftlerin bereits: Im Jahr 2002 wurde Al-Aqsa verboten, eine Organisation, die Spenden für die Hamas, insbesondere für sogenannte Märtyrerfamilien, akquirierte. Verbote weiterer Spendensammlervereine folgten damals. Betätigungsverbote wirken also ähnlich wie Vereinsverbote.
Rigide Folgen, hohe Hürden
Die Folgen eines Vereinsverbots sind rigide, die Hürden auf dem Weg dorthin aber hoch. Der Verein oder die Gruppierung darf nach einem Verbot in Deutschland nicht mehr tätig werden. Es können Räume für Zusammenkünfte geschlossen, Technologie- und Propagandamaterial beschlagnahmt sowie Vermögen eingezogen werden. Versuchen Mitglieder, die Aktivitäten fortzusetzen, droht ein Strafverfahren wegen der Fortführung einer kriminellen Vereinigung. Gerlach hält fest: "Ein Vereinsverbot dient immer auch der politischen Kommunikation. Es stellt ein Symbol dar, markiert die Grenze der Toleranz des demokratischen Verfassungsstaates."
Andererseits ist die Vereinigungsfreiheit in Deutschland Grundrecht. Organisationen können laut dem Grundgesetz nur dann verboten werden, wenn "deren Zwecke oder deren Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten". Verfehlungen einzelner Mitglieder reichen nicht aus, die Tätigkeit einer Gruppierung zu untersagen.
Neonazi-Verbote in den 90ern und die Folgen
Vor- und Nachteile der Vereinsverbote wurden in den 1990er Jahren deutlich, als die Innenminister des Bundes und einzelner Länder nach ausländerfeindlichen Anschlägen zahlreiche Neonazi-Organisationen verboten. Nicht wenige der Aktivisten fanden in der NPD eine neue politische Heimat. Die Partei wurde in den 2000er Jahren zu einem regelrechten Auffangbecken von Mitgliedern verbotener Vereine.
"Das Extremismusproblem wurde gewissermaßen von der Vereins- auf die Parteiebene verschoben", sagt Gerlach. "Dieses Beispiel zeigt die Grenzen und die Gefahren des Vereinsverbots gleichermaßen auf. Es verweist auch darauf, dass Verbote allein nicht ausreichen, um die Demokratie zu schützen."
Parteiverbote sind ungleich schwerer durchzusetzen
Ein Parteiverbot ist im Vergleich zu Vereinsverboten von ganz anderem Kaliber. Aussprechen muss es nach einem langwierigen Verfahren das Bundesverfassungsgericht – auf Antrag des Bundesrats, des Bundestags oder der Bundesregierung. Bislang sind in der Bundesrepublik erst zwei Parteien verboten worden. Und das ist lange her: 1953 die rechtsextreme SRP und 1956 die linksextreme KPD.
In der Begründung des KPD-Urteils schlug das Verfassungsgericht Pflöcke ein und machte eine "aggressiv-kämpferische Haltung" gegenüber der freiheitlichen Demokratie zur Bedingung für ein Parteiverbot. 2003 und 2017 scheiterten jeweils Verbotsverfahren gegen die NPD. 2003 war die große Zahl an V-Leuten des Verfassungsschutzes in den Führungsebenen ausschlaggebend, 2017 die politische Irrelevanz der NPD.
Im Video: Innenministerin Faeser verbietet Hamas und Samidoun
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