Für Julija Nawalnaja änderte die Münchner Sicherheitskonferenz kurzfristig das dicht getaktete Programm: Keine zwei Stunden nach der Meldung über den Tod des russischen Oppositionspolitikers und Kremlkritikers Alexej Nawalny trat seine Ehefrau in München auf das Konferenzpodium und sprach zu den zahlreichen Staatsgästen aus aller Welt im Saal. Bei ihrem emotionalen Auftritt forderte sie eindringlich, der russische Präsident Putin müsse zur Verantwortung gezogen werden.
Der aus Russland berichtete Tod Nawalnys hatte nur wenige Minuten vor der offiziellen Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz die Runde gemacht - und prägte den Auftakt der dreitägigen Tagung. Sowohl der Chef der Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, als auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris gingen in ihren Redebeiträgen darauf ein.
Stehende Ovationen für Julija Nawalnaja
Gleich zweimal gab es stehende Ovationen für Julija Nawalnaja, die anlässlich der Sicherheitskonferenz nach München gekommen war: Als sie auf die Bühne des Tagungshotels kam und nach ihrer bewegenden kurzen Rede. "Sie haben ja sicher diese entsetzliche Nachricht erhalten. Ich habe überlegt: Soll ich wirklich jetzt zu Ihnen sprechen oder soll ich zu meinen Kindern zurückreisen?", sagte sie laut offizieller Übersetzung. Sie habe dann überlegt, was wohl ihr Mann getan hätte an ihrer Stelle. "Ich bin mir absolut sicher, er wäre hier geblieben, er hätte zu Ihnen von diesem Platz aus gesprochen."
Sie wisse nicht, ob sie diese Nachricht glauben könne - schließlich könne man Putin und den russischen Medien seit Jahren nicht glauben. Aber falls ihr Mann tatsächlich tot sei, wolle sie sagen: "Putin und alle, die für ihn arbeiten, seine gesamte Umgebung, seine Freunde - ich möchte, dass sie wissen, dass sie nicht straflos ausgehen werden. Sie werden bestraft werden für das, was sie unserem Land angetan haben, für das, was sie meiner Familie angetan haben, für das was sie meinem Mann angetan haben. Sie werden zur Verantwortung gezogen werden und dieser Tag wird bald kommen."
Nach Angaben russischer Behörden starb Nawalny in seinem Straflager. Die Ursache für den Tod des 47-Jährigen sei unklar und werde noch untersucht, teilte die russische Strafvollzugsbehörde FSIN mit. Nawalny war der prominenteste und entschiedenste Gegner von Russlands Präsident Wladimir Putin, er verbüßte in der Strafkolonie in Charp in der russischen Polarregion eine 19-jährige Haftstrafe.
Im Video: Julija Nawalnaja spricht auf der Münchner Sicherheitskonferenz
Harris: Zeichen der Brutalität Putins
Sicherheitskonferenz-Chef Heusgen eröffnete die Tagung mit einem kurzen Gedenken an den russischen Oppositionspolitiker. "Wir trauern heute um Alexej Nawalny", sagte er. "Er war ein besonderer Mensch. Unsere Gedanken sind bei seiner Frau und seinen Kindern."
Auch US-Vizepräsidentin Harris sprach von einer "schrecklichen Nachricht". Sie bete für ihn und für seine Frau Julija. Wenn sich die Nachricht vom Tod bestätige, wäre das ein "Zeichen der Brutalität des Diktators Putin", sagte Harris. "Es ist ganz klar, dass Putin die Verantwortung trägt".
Baerbock zeigt sich betroffen
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zeigte sich im BR24-Interview betroffen über die "schockierende" Nachricht, die noch einmal die Brutalität des russischen Regimes gegen die eigene Bevölkerung und auch gegen die Ukraine zeige. "Alexej Nawalny stand für unglaublich viele für ein freies, für ein demokratisches Russland. Genau deswegen musste er sterben."
Zugleich betonte Baerbock, die Unterstützung der USA sei nicht nur zentral für die Ukraine, sondern auch für die Sicherheit in Europa, für die Nato und für die Amerikaner selber. "Weil der jetzige Tod von Nawalny noch einmal unterstreicht: Dieser Präsident macht vor nichts halt."
US-Vizepräsidentin sieht "Versagen" Russlands in der Ukraine
Harris bekräftigte in München die Entschlossenheit von US-Präsident Joe Biden und ihr, die Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen die russischen Angriffe weiter zu unterstützen. Viele hätten gedacht, Kiew würde innerhalb weniger Tage fallen. Doch Kiew stehe noch - dank des Mutes des ukrainischen Volkes, dank der Führungskraft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und der Unterstützung durch 50 Länder, angeführt von den Vereinigten Staaten.
Putins Krieg sei bereits jetzt ein "komplettes Versagen" für Russland. Die Ukraine habe die Hälfte des von Russland zu Beginn des Kriegs besetzten Gebietes zurückerobert. Russland habe zwei Drittel seiner Panzer und ein Drittel der Schwarzmeerflotte verloren. Hinzu kämen 300.000 russische Todesopfer - das seien fünfmal so viele, wie Russland in zehn Jahren in Afghanistan verloren habe.
Der Präsident und sie würden in beiden Häusern des US-Kongresses daran arbeiten, die Waffen und Ressourcen zu sichern, die die Ukraine benötige. "Wenn wir dabei versagen, wäre es ein Geschenk für Präsident Putin."
USA wollen Führungsrolle behalten
Harris betonte den grundsätzlichen Willen von US-Präsident Biden, die Führungsrolle der USA in der Welt fortzuführen - und die demokratischen Werte zu verteidigen. Aber es gebe Menschen, sagte sie in Anspielung auf Donald Trump, die das ablehnten und behaupteten, es sei im Interesse der Amerikaner, "uns zu isolieren in der Welt", die sich mit Diktatoren verbündeten und einseitig handeln wollten. Diese Sicht der Welt sei gefährlich. Sie sei destabilisierend, kurzsichtig und würde laut Harris die Vereinigten Staaten schwächen sowie die globale Stabilität untergraben.
Trump hatte am vergangenen Samstag bei einer Kundgebung gesagt, der "Präsident eines großen Landes" habe ihn einmal gefragt, ob die USA dieses Land auch dann noch vor Russland beschützen würden, wenn es die Verteidigungsausgaben nicht zahle. Er habe geantwortet: "Nein, ich würde Euch nicht beschützen." Vielmehr noch: Er würde Russland "sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen". Weltweit wurden seine Aussagen scharf kritisiert.
Guterres: Lage bedrohlicher als im Kalten Krieg
UN-Generalsekretär António Guterres verwies in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz auf die "existenziellen Herausforderungen" und vielfältigen Bedrohungen in der heutigen Welt. Nach wie vor gebe es eine Nukleargefahr. Die globale Ordnung sei aber fragmentierter als beispielsweise im Kalten Krieg, was gewissermaßen bedrohlicher sei. Die aktuelle Weltordnung funktioniere nicht für alle - er würde sogar sagen, sie funktioniere für "niemanden". Hinzu kämen die Risiken, die der Klimawandel sowie die Künstliche Intelligenz mit sich bringen.
Guterres beklagte, dass viele Regierungen die Verpflichtungen der Charta der Vereinten Nationen ignorierten. Es gebe aktuell eine Rekordzahl von Flüchtlingen und Vertriebenen. Eine klare Verletzung der Charta der UN sei auch die russische "Invasion“ in der Ukraine gewesen. Es brauche dort unbedingt einen nachhaltigen Frieden, die unterschiedlichen Parteien müssten an den Verhandlungstisch.
Der "entsetzlichen" Gewaltakte der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 seien durch nichts zu rechtfertigen, betonte Guterres. Aber auch die "kollektive Bestrafung" der Menschen in Gaza durch Israel sei nicht zu rechtfertigen. Die Lage in Gaza sei entsetzlich. Der UN-Generalsekretär forderte, alle Geiseln müssten ohne Bedingung freigelassen werden. Und es müsse eine humanitäre Pause bei den Kämpfen geben. Nur so könne die Grundlage für weitere Schritte auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung geschaffen werden.
50 Staats- und Regierungschefs in München
Zur 60. Münchner Sicherheitskonferenz werden rund 50 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt erwartet. Am Samstag werden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der ukrainische Präsident Selenskyj sprechen. Aus Israel werden Präsident Izchak Herzog und Außenminister Israel Katz in München erwartet. Außerdem sind hochrangige Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der arabischen Länder Saudi-Arabien, Katar, Ägypten und Jordanien dabei.
Über Politik wird auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf den öffentlichen Podien diskutiert. Politik wird aber auch gemacht in den für die Öffentlichkeit unzugänglichen oberen Etagen des Hotels in zahlreichen bilateralen Treffen, die mitunter einem politischen Speed-Dating gleichen.
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