Vertreter der Bundesregierung haben es im Moment nicht leicht: Wo sie auch hinkommen – vielerorts drohen ihnen Gegenproteste. Der Grund ist meist der harte Sparkurs, den die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ausgegeben hat. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) musste bei seinem Besuch am Donnerstag in Nürnberg erneut Gegenwind erleben. Aber er bekam auch Zustimmung.
Mehrere hundert Personen demonstrierten am Nürnberger Hauptmarkt
Mit einem lauten Pfeifkonzert und "Hau ab!"-Sprechchören wurde der Grünen-Politiker am Abend vor einem Bürgerdialog in der Nürnberger Altstadt empfangen. Rund 350 Menschen hatten sich laut Polizei zu einer Kundgebung direkt vor dem Haus der Wirtschaft der Industrie und Handelskammer (IHK) am Hauptmarkt versammelt. Die Veranstalter sprachen von bis zu 1.200 Teilnehmern. Die Protestierenden hielten Plakate hoch, auf denen stand: "Schluss mit Reden. Jetzt Wirtschaft stärken" und "Wir brauchen Taten, keine Sprüche".
Kritisiert wurden vor allem die Sparpläne der Bundesregierung an. Aufgerufen zu der Aktion gegen die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung hatte der Bayerische Bauernverband sowie mehrere Wirtschaftsverbände. Bauernverbandspräsident Günther Felßner erklärte, die Entscheidung des Bundestags, nichts bei den Streichungsplänen der Bundesregierung bei der Agrardieselrückvergütung zu korrigieren, sei für die Landwirte "ein Schlag in die Magengrube".
Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft fordert rasches Konjunkturprogramm
Der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die sich ebenfalls an der Kundgebung beteiligte, rief zum Umdenken auf. So wie jetzt könne es nicht weitergehen, sagte vbw-Präsident Wolfram Hatz im Interview mit dem BR. "Die Bundesregierung macht ihren Job nicht. Statt Reden braucht es endlich Taten." Er forderte eine Absenkung der Steuern und Sozialabgaben, um den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder attraktiv zu machen. Zudem müssten Bürokratie und Regulierung eingedämmt und endlich bezahlbare Energie bereitgestellt werden.
Auch die Hotel- und Gastronomiebranche schloss sich den Protesten an. Angela Inselkammer, die Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA), kritisierte die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen in Restaurants und Cafés von sieben auf erneut 19 Prozent. Versprochen wurde ihnen von der Politik etwas anderes, so Inselkammer zum BR. In zwei Wochen sind dazu Gespräche mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck angesetzt, aber ihre Hoffnungen seien gering, so die DEHOGA-Präsidentin.
90 Minuten im Gespräch mit der Bevölkerung
Wirtschaftsminister Habeck hatte sich am Abend den Fragen von 150 Bürgerinnen und Bürgern gestellt. Trotz des ungemütlichen Empfangs draußen zeigt er sich drinnen entspannt und gut aufgelegt. "Ist egal, ob Mitternacht ist. Sie entscheiden, wann ich fertig bin", scherzte Habeck, auf die knappe Zeit angesprochen – und erntete die ersten Lacher. Energiepreise, Fachkräftemangel, Mangel an Kita-Plätzen und Ganztagesschulen und immer wieder die Bürokratie – die Themenpalette des Abends war groß.
Habeck beantwortete viele Fragen
Robert Habeck nahm sich Zeit, antwortete ausführlich auf jede Frage. Etwa auf die eines Mittelständlers nach Entlastung. Hier räumte der Wirtschaftsminister ein, dass das produzierende Gewerbe noch immer die Last der hohen Energiepreise zu tragen habe, sieht aber Anlass zur Hoffnung. Nach einer Kostenexplosion in den Jahren 2022/23 sei etwa der Handelspreis für Gas aktuell wieder gesunken. Das würden langfristig auch die Unternehmen merken, so Habeck. Oder die Frage nach einem AfD-Verbot. Habeck gab zu, dass es ein Paradox ist, auch den Feinden der Redefreiheit diese zu gewähren. "Wir leben in einer Demokratie, die ihren Feinden viel Raum gibt", sagte er.
Ludwig-Erhard-Statue für den Wirtschaftsminister
Vom Moderator des Abends, dem Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, Michael Husarek, bekam Robert Habeck eine Ludwig-Erhard-Statue überreicht – und lobte seinen Vorgänger aus Fürth als Vordenker für die soziale Marktwirtschaft. "Ludwig Erhard ist nicht nur Schöpfer von Wohlstand, sondern auch Gedankengeber eines Prinzips, das das Land Jahrzehnte über stabil gehalten hat".
Dass die Ampel-Koalition derzeit nicht so stabil wirkt, führt der Wirtschaftsminister auf den Krieg in der Ukraine zurück. "Wenn es nicht Russlands Angriffskrieg gegeben hätte und die zwei Jahre nicht so krisengeplant gewesen wären, dann hätten wir ruhig den Koalitionsvertrag abgearbeitet. Hier und da hätte es Spannungen gegeben, aber wir hätten uns zwischenzeitlich nicht so verloren."
Den knapp 90-minütigen Bürgerdialog bezeichnete Habeck als einen besonderen Austauschprozess. "Es war eine neugierige Zugewandtheit", sagte er über die Gesprächsatmosphäre. Der Verlag Nürnberger Presse hatte zu dem Gesprächsabend eingeladen und die Gäste aus 800 Bewerbungen ausgelost. Viele der Zuhörer waren positiv überrascht. "Er ist kompetenter als ich gedacht hatte", bilanzierte einer von ihnen. "Wenn man ihm länger zuhört, merkt man, dass er wirklich Ahnung von der Sache hat."
Habeck: Bei Protesten ist "etwas ins Rutschen geraten"
Kritisch sieht Habeck die aktuellen Angriffe gegen die Partei der Grünen und ihre Mitglieder. Er verurteilte die Anfeindungen scharf. Sinn von Demonstrationen sei, ins Gespräch zu kommen, erklärte der Minister zu Beginn der Veranstaltung in den Räumen der Industrie- und Handelskammer Mittelfranken.
Mit Blick auf die Absage des politischen Aschermittwochs in Biberach betonte Habeck: "Wenn Demonstrationen ein Gespräch verhindern sollen, Veranstaltungen abgebrochen werden müssen, dann gehen sie auch am demokratischen Sinn vorbei." Da sei etwas ins Rutschen geraten. Am Mittwoch mussten die Grünen ihre Veranstaltung in dem baden-württembergischen Ort aus Sicherheitsgründen absagen. Vorausgegangen waren Proteste und Blockaden unter anderem von Landwirten.
Kundgebung laut Polizei überwiegend friedlich
Die Veranstalter der Kundgebung am Nürnberger Hauptmarkt distanzierten sich mehrfach von antidemokratischen Kräften. "Ideologen" und "Radikale" wolle man nicht bei den Protesten haben, sagte der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner.
Laut Polizei verlief die Demonstration weitgehend friedlich. Kurz vor seiner Ankunft in Nürnberg musste sich Habeck schon einem anderen Protest stellen. Bei einem Werksbesuch des Nougatherstellers Viba im Südwesten Thüringens versperrten Landwirte mit ihren Traktoren einen Zugangsweg zu dem Gebäude.
Mit Informationen von dpa
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