Seit Donnerstagabend wird in den sozialen Medien zigfach ein kurzes Video geteilt: darin zu sehen und zu hören sind Party-Gäste auf Sylt, die zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits "L’amour Toujours" von Gigi D'Agostino rassistische Parolen grölen. Scheinbar völlig ungeniert und ausgelassen singen sie "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!". Ein Mann macht eine Geste, die an den Hitlergruß denken lässt. Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören. Die Betreiber der betroffenen Bar "Pony" haben nun rechtliche Schritte eingeleitet.
Bar-Betreiber rechtfertigen sich
Auf Instagram verteidigten sie zudem ihr Verhalten zum Zeitpunkt des Eklats: "Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert. Wir hätten umgehend die Polizei verständigt und Strafanzeige gestellt. Das haben wir mittlerweile tun können."
Die besagten Personen seien identifiziert und gemeldet worden. "Dieses zutiefst asoziale Verhalten dulden wir nicht. Haben wir nie und werden wir nie. Deshalb gehen wir jetzt mit allen Mitteln dagegen vor." Man sei immer noch geschockt und zutiefst bestürzt. "Rassismus und Faschismus haben keinen Platz in unserer Gesellschaft."
Staatsschutz ermittelt – Politiker äußern sich
Nach Auftauchen des Sylt-Videos ermittelt nun der Staatsschutz wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen. Politikerinnen und Politiker äußerten sich schockiert.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Parolen am Freitag als "ekelig" und "nicht akzeptabel" bezeichnet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Wer Nazi-Parolen (...) grölt, ist eine Schande für Deutschland".
Ähnlich äußerte sich Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern: "Als ich das Video zum ersten Mal gesehen habe, war ich wirklich fassungslos und angewidert. Denn dieses Video ist an dem gleichen Tag gelaufen, an dem wir 75 Jahre Grundgesetz feiern und das Grundgesetz ist ja die Antwort auf Nazidiktatur, auf Massenmord, auf Unmenschlichkeit mit dem ersten Satz: 'Die Würde des Menschen ist unantastbar'". Das sagte sie im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Schwesig warnte davor, rechtsextremistische Ansichten bestimmten Bevölkerungsgruppen zuzuschreiben. "Es ist ein Irrglaube zu denken, rechtes Gedankengut haben nur ein paar abgehängte Jugendliche aus dem Osten. Wir sehen an diesem Video, es ist eben überall vorhanden. Und unsere Aufgabe ist es, dem auch überall zu begegnen. Und in diesem Fall ist es auch richtig, dass der Rechtsstaat ermittelt und dann auch Konsequenzen zieht."
SPD zieht Insta-Post nach Kritik zurück
Derweil wollte die SPD mit einem Instagram-Post Front machen - ist aber vor allem auf Unverständnis und Kritik gestoßen. Mit Bezug auf die dort gerufenen Parolen hatte die Partei auf der Plattform unter schwarz-rot-goldenem Banner ursprünglich geschrieben: "Deutschland den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen." Nach einer Vielzahl negativer Reaktionen wurde der Post aber gelöscht. Eine Parteisprecherin bestätigte am Freitagabend auf Anfrage den Inhalt der nicht mehr abrufbaren Nachricht.
Stattdessen schrieb die Partei (Rechtschreibung wie im Original): "Wir haben gerade einen Post veröffentlicht mit dem wir auf's Schärfste verurteilen, was wir alle in einem Video aus Sylt gesehen haben. Dabei haben wir es nicht geschafft, einen Ton zu treffen, der alle mitnimmt. Dafür möchten wir uns aufrichtig entschuldigen. Uns geht es darum, klar zu machen, dass wir dieses Land nicht den Rechtsextremen und Hasspredigern überlassen wollen."
Auch ein Video der SPD-Fraktion im Landtag NRW sorgt aktuell für Empörung: dabei wurde über das Sylt-Video eine neue Tonspur gelegt. Darin heißt es unter anderem: "Nazis raus! Trinkt euren Aperol allein!"
Rassistische Gesänge auch auf Schützenfest bei Vechta
Sylt ist kein Einzelfall. Nur einen Tag, nachdem die rassistischen Gesänge von Sylt die Republik erschüttern, kam es bei der Erlanger Bergkirchweih zu einem ähnlichen Vorfall: Auch dort grölten junge Menschen rassistische Parolen. Das Kommissariat für Staatsschutz der Kripo Erlangen hat die Ermittlungen in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth aufgenommen.
Am Freitag wurde zudem bekannt, dass es ebenfalls an Pfingsten in Niedersachsen zu einem ähnlichen Fall kam. Auch auf dem Schützenfest in Löningen wurden rassistische Parolen gerufen, ebenfalls zu "L'Amour Toujours". Zeugen, die das Geschehene gefilmt hatten, zeigten den Vorfall bei der Polizei an. Auch dort ermittelt nun der Staatsschutz.
Expertin sieht in Sylt-Video Normalisierung rechtsextremer Inhalte
Aus Sicht der Expertin Pia Lamberty zeigt das Sylt-Video eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. "Menschen können ohne Scheu in der Öffentlichkeit extreme Parolen äußern", sagt die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht. Der Song "L'amour toujours" sei mittlerweile immer mehr mit den rassistischen Parolen verknüpft. "Das macht ja auch was im Gehirn." So schafften Rechtsextreme eine Akzeptanz solcher Parolen in der breiten Gesellschaft, betont Lamberty.
"Rechtsextremismus ist nicht nur ein Problem, das man in Ostdeutschland sieht oder bei Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, sondern auch bei höheren Schichten." Das Bedrohliche für Betroffene sei vor allem die strukturelle Macht, die diese Personen potenziell einmal ausüben könnten. Das Video zeige: "Rassismus geht auch von Menschen aus, die an Universitäten studiert haben oder in Managementpositionen stehen." Rechtsextremismus und rassistische Einstellungen seien etwas, was man in der gesamten Gesellschaft finde.
Im Video: Gäste einer Bar auf Sylt singen rechtsextremistische Parolen
Mit Informationen von dpa
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