Es gibt kaum jemanden, der sich nicht schon einmal in dieser unangenehmen Lage wiedergefunden hat: Beim Familienfest packt ein Familienmitglied seltsame Geschichten über eine mysteriöse Macht im Hintergrund aus. In der U-Bahn beleidigen zwei Männer eine schwarze Frau. Die Arbeitskollegin schimpft über Zuwanderer, die "nicht arbeiten wollen".
Viele von uns haben so schnell keine Erwiderung parat, manchen fehlt auch der Mut. Deshalb bietet das Beratungsnetzwerk Bayern im gesamten Freistaat ein Argumentationstraining gegen Rechtsextremismus an. Ein solches Treffen fand in der Bamberger Erlöserkirche statt, organisiert von der Evangelischen Erwachsenenbildung Oberfranken-West.
Rüstzeug für Diskussionen
22 Frauen und Männer, quer durch alle Altersgruppen, möchten im Gemeindezentrum der Erlöserkirche ihre Schlagfertigkeit trainieren. Es geht um Situationen, in denen antisemitische, antidemokratische, rassistische, fremdenfeindliche oder antifeministische Parolen fallen. Eine Teilnehmerin begründet ihre Teilnahme so: "Ich bin hergekommen, weil ich in meinem Umfeld mitkriege, dass Haltungen, die bis vor einiger Zeit nicht salonfähig waren, jetzt salonfähig werden und ich oft mit offenem Mund dastehe und nicht weiß, wie ich reagieren soll." Eine "Oma gegen Rechts" wünscht sich verbales Rüstzeug: "Wir sind ja auch in der Fußgängerzone unterwegs bei Demonstrationen und wir begegnen da immer wieder diesen rechten Argumenten."
Jede Situation ein Einzelfall
Referent Dominik Sauerer vom Beratungsnetzwerk Bayern gegen Rechtsextremismus hat solche Situationen häufig erlebt und kennt die unfreiwillige Sprachlosigkeit – zum Beispiel bei fremdenfeindlichen Stammtischparolen. "Sie sind quasi erschlagen, was diese Stammtischparolen alles beinhalten. Und darauf sollen Sie jetzt reagieren. Dafür gibt es keinerlei Patentrezept." Jede Situation sei anders, sagt Sauerer. Doch es gebe wissenschaftlich erprobte Strategien für solche Momente. Zum Beispiel: Konfrontation. "Wir alle tragen auch rassistische Wissensbestände mit uns herum. Europa hat vor 500 Jahren weite Teile der Welt kolonialisiert und sich Rechtfertigung verschafft, warum weiße Europäer mehr wert sein sollen als schwarze Afrikaner." Diese Wissensbestände würden sich seitdem in veränderter Form halten, so Dominik Sauerer: "Damit müssen wir uns selbst konfrontieren, aber auch das Gegenüber."
Solidarität mit Betroffenen zeigen
Bei Menschen, die kein geschlossen rechtsextremes oder verschwörungsideologisches Weltbild haben, schlägt Dominik Sauerer vor, aufzuklären. Zum Beispiel die Forderungen der AfD im sozialpolitischen Bereich, wie "Mehr Kinder statt Masseneinwanderung", zu Ende zu denken. "Was würde das denn bedeuten, für die Gesellschaft, für deinen Arbeitsplatz, für unser aller Zusammenleben?".
Die Strategie "Solidarität" lässt sich zum Beispiel gut anwenden, wenn wir Zeuge eines rassistischen Übergriffs werden. Eine Situation könnte so aussehen: Im Bus unterhalten sich zwei Menschen lautstark und negativ über Einwanderer aus Afrika, während ein Schwarzer Mensch daneben steht. "Solidarität bedeutet, dass man den Betroffenen von menschenverachtender Gewalt, von Beleidigungen oder Bedrohungen beisteht", sagt der Referent. Denn: Wer schweigt, stimmt zu. Ein Vorschlag: Man könne zum Betroffenen sagen: "Ich teile diese Ansicht nicht". Oder ein Gespräch mit ihm beginnen und die Beleidiger ignorieren.
Wegschauen hinterlässt Spuren
Warum eine Reaktion so wichtig ist? Dominik Sauerer hat mit vielen Betroffenen von Fremdenfeindlichkeit gesprochen. "Was sie oftmals als ganz, ganz schwerwiegend einschätzen, ist, dass die umstehenden Dritten nichts gesagt haben. Die haben weggeschaut", berichtet er und beklagt, es gebe zu wenig Zivilcourage in Deutschland. Dieser Umstand sei eine der Grundlagen der Argumentationsseminare: "Wir müssen den Leuten zeigen, dass es auf jeden Einzelnen ankommt." Eine Situation wie oben beschrieben zu verlassen oder zu ignorieren, sei die schlechteste Lösung. Besser: Das, was ich gerade gehört habe, möglichst wortgetreu zu wiederholen, meint Sauerer. "Sie spielen erst einmal den Ball zurück und fragen: Hab' ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie gesagt haben ....". Das verschaffe Zeit zum Nachdenken und verhindere auch die laut Dominik Sauerer beliebte Strategie bei Rechtsextremen: "Das hab ich doch gar nicht gemeint."
Nach dem Argumentationstraining fühlen sich die 22 Männer und Frauen besser gewappnet für kommende Diskussionen. Ein Teilnehmer resümiert: "Bei mir ist die Erkenntnis gereift, dass das Wichtigste ist, was wir brauchen, den Mut finden, es zu tun. Ich wünsche mir, dass wir mutig sind."
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