Luftstreitkräfte der Nato-Staaten üben vom 12. bis 23. Juni in einem nie dagewesenen Umfang. Die Übung mit dem Namen "Air Defender 23" soll die größte Luftoperationsübung seit Bestehen der Nato sein. Was bedeutet das für den zivilen Luftverkehr? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
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Was ist "Air Defender 23"?
Nach Angaben der Bundeswehr trainieren vom 12. bis 23. Juni bis zu 10.000 Teilnehmer aus 25 Nationen mit mehr als 230 Flugzeugen Luftoperationen im europäischen Luftraum. "Air Defender 23" steht unter der Führung der Deutschen Luftwaffe. Die Planungen dafür laufen bereits seit 2018. Ziel sei es, die Kooperation zu optimieren und auszuweiten und Stärke im Bündnis zu zeigen.
Das Szenario ist einem Artikel-5-Beistandsszenario nachempfunden. In Artikel 5 ist geregelt, dass die Nato-Staaten einen bewaffneten Angriff gegen einen oder mehrere Partner als Angriff gegen alle ansehen. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, Beistand zu leisten. Artikel 5 wurde erst ein einziges Mal aktiviert - nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA.
"Deutschland möchte Verantwortung übernehmen", sagte der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz. Die Übung sei rein defensiv ausgerichtet. Nach der Invasion Russlands in die Ukraine und vor dem Hintergrund russischer Drohgebärden hätten die Nato-Bündnispartner die gemeinsame Verteidigung wieder in den Mittelpunkt ihrer Vorbereitungen gestellt.
An der Übung nehmen Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Japan, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Norwegen, Polen, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, USA und das Vereinigte Königreich teil.
Wo findet die Air-Defender-Übung statt?
Die Einsätze starten hauptsächlich von den Standorten Jagel/Hohn in Schleswig-Holstein, Wunstorf in Niedersachsen, Lechfeld in Bayern, Spangdahlem in Rheinland-Pfalz, Volkel in den Niederlanden und Čáslav in der Tschechischen Republik. Die drei Hauptdrehkreuze sind Schleswig/Hohn, Wunstorf in Niedersachsen und Lechfeld in Bayern.
Die Übungen werden in drei Flugkorridoren über Deutschland durchgeführt. Nach aktuellen Planungen der Luftwaffe wird der Übungsraum Ost zwischen 10 und 14 Uhr, der Übungsraum Süd zwischen 13 und 17 Uhr und der nördliche Übungsraum zwischen 16 und 20 Uhr für die militärische Nutzung zeitweise reserviert sein. Am Wochenende finden keine Übungsflüge statt.
Die Flughöhen in den Übungsräumen betragen zwischen 2.500 und 15.000 Metern und höher. Der Großteil der rund 200 Flüge täglich werde über der Nord- und Ostsee stattfinden, sagte Gerhartz. "Da haben wir kaum Lärmbelästigung."
In der Grafik: Die Übungslufträume für "Air Defender"
Stützpunkt Lagerlechfeld spielt eine zentrale Rolle
Beim größten Luftwaffen-Manöver in der Geschichte der Nato spielt der Stützpunkt Lagerlechfeld nahe Augsburg eine zentrale Rolle. A-10-Kampfjets der Amerikaner und F16-Kampfjets der Griechen sind inzwischen in Lagerlechfeld eingetroffen. Sie proben bereits jetzt den An- und Abflug, um sich mit dem Stützpunkt vertraut zu machen. Bei den Griechen steht der Luftkampf im Vordergrund, die Amerikaner sollen bei der Übung Ziele am Boden ins Visier nehmen und Rettungseinsätze absichern. Es gehe darum, das Zusammenspiel mit anderen Nationen zu üben und die Einsatzfähigkeit der Nato zu beweisen, sagt der Kommandant des Stützpunkts Lagerlechfeld, Oberstleutnant Jürgen Schönhöfer. "Damit senden wir auch ein klares Statement an Russland."
Wird es wegen Air Defender zu Flugausfällen oder Verspätungen kommen?
Die Luftwaffenübung wird nach Einschätzung der Bundeswehr Linienflugzeuge und Ferienflieger im Juni kaum beeinträchtigen. Es sei mit keinerlei Flugausfällen auf ziviler Seite zu rechnen, sagte Gerhartz. Dies hätten mehrere Studien der Deutschen Flugsicherung ergeben. Einzelne zivile Maschinen müssten zwar einen Umweg machen, dies bedeute jedoch allenfalls Flugverspätungen im Bereich von wenigen Minuten.
Von Eurocontrol vorgenommene Simulationen ließen erwarten, dass mit Flugannullierungen im Vorfeld nicht zu rechnen sei, heißt es auch von der Deutschen Flugsicherung (DFS). "Flugverspätungen sowie verlängerte Flugzeiten dagegen werden aufgrund der zu erwartenden Dynamik dieser bislang einzigartigen Großübung und der ohnehin vorhandenen Komplexität des Systems unausweichlich sein." Seitens der DFS wird es demnach im Zeitraum der Übung zu einer "außergewöhnlichen Personalaufstockung" kommen.
In einer neueren Berechnung kommt Eurocontrol auf bis zu 50.000 Verspätungsminuten je Manövertag. Bis zu 100 Flugzeuge könnten unter diesen Bedingungen ihr Umlaufziel zur Nachtschließung diverser Flughäfen nicht erreichen - mit unangenehmen Folgen für Passagiere und Unternehmen, deren Maschinen dann morgens nicht mehr am richtigen Ort starten könnten. Die bundeseigene Flugsicherung bestreitet das mit ihren Daten gefütterte Szenario nicht, verweist aber auf weitere Eurocontrol-Modelle mit deutlich geringeren Auswirkungen. Allerdings rechnet auch die Gewerkschaft der Flugsicherung (GDF) mit Annullierungen und zahlreichen Umleitungen von Flügen wegen des Nachtflugverbots.
Die Flughäfen Nürnberg und Memmingen bezeichneten die Übung als einen "außergewöhnlichen Umstand, der sich auch im zivilen Luftverkehr niederschlagen" werde. "Um den deutschen Luftraum zu entlasten, wird Eurocontrol zahlreiche Überflüge, die planmäßig über Deutschland fliegen würden, auf andere Lufträume umleiten. Dadurch können sich Flugzeiten verlängern", heißt es aus Nürnberg. Im Vorfeld sei aber keine Notwendigkeit für Flugannullierungen erkennbar, so die Flughäfen München, Nürnberg und Memmingen. Verspätungen seien dennoch möglich. Eine genaue Vorhersage könne derzeit nicht getroffen werden. "Alle in diesem Zeitraum Reisenden werden in der Regel rechtzeitig von ihrer Fluggesellschaft oder dem Reisebüro über eventuelle Zeitenänderungen informiert", teilte der Flughafen München mit.
Was tun, wenn es zu Problemen mit dem eigenen Flug kommt?
Kommt es aufgrund der Übung zu Verspätungen oder Ausfällen des regulären Flugverkehrs, sei Ansprechpartner immer die Fluggesellschaft, die den Flug ausführen wird, sagte Julia Zeller von der Verbraucherzentrale Bayern im Gespräch mit BR24. Wurde eine Pauschalreise gebucht, müsse auch der Reiseveranstalter kontaktiert werden. Beträgt die Verspätung am Endziel mindestens drei Stunden, können Reisende einen Anspruch auf eine Zahlung in Höhe von 250 bis 600 Euro haben, die sogenannte Ausgleichzahlung. Die genaue Höhe richte sich nach der Entfernung ihres Endziels sowie danach, ob Start- und Zielflughafen in der EU liegen.
Ein Anspruch auf diese Ausgleichszahlung bestehe allerdings nicht, wenn die Fluggesellschaft beweisen könne, dass der Flug aufgrund außergewöhnlicher Umstände verspätet war, die sich auch durch Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermeiden ließen, erklärt Zeller. Außergewöhnliche Umstände sind in der Regel schlechte Wetterverhältnisse oder der Streik Dritter. "Inwieweit es sich bei Air Defender um einen solchen außergewöhnlichen Umstand handelt, hängt von den konkreten Umständen ab", betont Zeller. Dies müsste letztendlich im Streitfall ein Gericht entscheiden.
Mit Informationen von dpa
Dieser Artikel ist erstmals am 23. Mai 2023 auf BR24 erschienen. Der Artikel wurde aufgrund aktueller Entwicklungen inhaltlich aktualisiert und erneut publiziert.
Im Audio: Nato stellt Manöver "Air Defender" vor
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