Angesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen hat die Bedeutung von Atomwaffen einer Studie zufolge besorgniserregend zugenommen. Die neun Atommächte hätten "ihre Atomwaffenarsenale weiter modernisiert", hieß es in einem Bericht des Internationalen Stockholmer Friedensforschungsinstituts (Sipri). Mehrere von ihnen hätten im vergangenen Jahr "neue nuklear bewaffnete oder nuklearfähige Waffensysteme in Betrieb genommen".
Mehr einsatzbereite Atomsprengköpfe
Obwohl die Gesamtzahl der Atomsprengköpfe weiter zurückgehe, steige die Zahl "der einsatzbereiten nuklearen Sprengköpfe" von Jahr zu Jahr an, erklärte Sipri-Direktor Dan Smith. Diese Entwicklung werde sich in den kommenden Jahren vermutlich weiter beschleunigen, was "äußerst besorgniserregend" sei.
"Wir haben seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt, dass Atomwaffen eine so herausragende Rolle in den internationalen Beziehungen spielen", erklärte der Sipri-Experte Wilfred Wan. Im Januar hielten die Atommächte laut Sipri etwa 9.600 der weltweit gut 12.100 nuklearen Sprengköpfe in ihren Lagern für mögliche Einsätze bereit. Rund 2.100 der Sprengköpfe wurden im Jahr 2023 in hoher Alarmbereitschaft auf ballistischen Raketen gehalten, 100 mehr als im Vorjahr.
90 Prozent der Atomsprengköpfe im Besitz von USA und Russland
Fast alle dieser Sprengköpfe befinden sich im Besitz der USA und Russlands, die zusammen über fast 90 Prozent aller Atomwaffen weltweit verfügen. Großbritannien rangiert auf dem dritten Platz gefolgt von Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Zum ersten Mal soll auch China einige Sprengköpfe in hoher Alarmbereitschaft halten. Deutschland besitzt keine Atomwaffen.
Aufruf zum Nachdenken
"Wir leben derzeit in einer der gefährlichsten Zeiten in der Geschichte der Menschheit", erklärte Smith. "Es ist an der Zeit für die Großmächte, einen Schritt zurückzutreten und nachzudenken. Am besten gemeinsam."
Im Februar 2023 hatte Russland seine Beteiligung am New-Start-Abkommen ausgesetzt. Der bis 2026 laufende Vertrag mit den USA zur Begrenzung der jeweiligen Atomwaffenbestände aus dem Jahr 2010 ist das letzte bilaterale Atomabkommen zwischen Moskau und Washington. Im Mai hatte die russische Armee zudem auf Anordnung von Kreml-Chef Wladimir Putin den Einsatz von taktischen Atomwaffen geübt.
Die Friedensforscherinnen und -forscher nehmen zum ersten Mal an, dass auch China über einige Sprengköpfe in hoher Alarmbereitschaft verfügen könnte. "China baut sein Nukleararsenal schneller aus als jedes andere Land", sagte Sipri-Forscher Kristensen.
Transparenz nimmt ab
Dabei will sich aber keiner so recht in die Karten schauen lassen. Die Transparenz in Bezug auf die Nuklearstreitkräfte der beiden führenden Länder habe nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im Februar 2022 abgenommen, beklagen die Sipri-Experten. Auch in den übrigen Ländern sei die Transparenz zurückgegangen. An Bedeutung gewonnen habe hingegen die Debatte über Vereinbarungen zur gemeinsamen Nutzung von Atomwaffen.
"New Start" : Keine gegenseitigen Inspektionen mehr
Die Atomdiplomatie hat seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 mehrere Rückschläge erlitten. Kremlchef Wladimir Putin hatte im Februar 2023 den Abrüstungsvertrag "New Start" - den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag mit den USA - außer Kraft gesetzt. Dieser begrenzt die Atomwaffenarsenale beider Länder und regelt Inspektionen. Auch Gespräche über ein Nachfolgeabkommen für den 2026 auslaufenden Vertrag wurden auf Eis gelegt.
- Zum Artikel: Manfred Weber: "Brauchen die europäische Atomwaffe"
Mit Informationen von AFP und epd.
Zum Video: Friedensforscher - Zahl einsatzbereiter Atomwaffen steigt
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