Laut den ersten Untersuchungen ist ein "individueller Anwendungsfehler" verantwortlich dafür, dass das Gespräch hochrangiger Bundeswehr-Offiziere über das Waffensystem Taurus abgehört werden konnte. Das sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in Berlin.
Der Fehler gehe auf den Teilnehmer zurück, der von Singapur aus an dem Gespräch teilgenommen habe. Dort sei es zum Datenabfluss über eine "offene Leitung" gekommen. "Nicht alle Teilnehmer haben sich an das sichere Einwahlverfahren gehalten", sagte Pistorius. Dass ein russischer Spion sich eingewählt hat, schloss er aus. Der Minister betonte, es handle sich um ein Zwischenergebnis. Die Untersuchung werde weiter fortgesetzt, alle beteiligten Geräte würden "forensisch überprüft".
Taurus-Marschflugkörper könnte Moskau treffen
Am Freitag hatte Russland eine abgehörte Schaltkonferenz von vier hohen Offizieren veröffentlicht, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz. Darin erörterten sie Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert würde. Taurus hat eine Reichweite von 500 Kilometern und kann damit von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen.
In dem Mitschnitt ist aber auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) begründet sein Nein damit, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte.
Pistorius: Disziplinarische Vorermittlungen
Verteidigungsminister Pistorius zufolge gibt es disziplinarische Vorermittlungen gegen alle Beteiligten des Gesprächs, also auch gegen Luftwaffen-Chef Gerhartz. Das sei ein "normaler Vorgang", um belastende und entlastende Momente zu einem möglichen Dienstvergehen zusammenzutragen. Danach werde entschieden, ob es zu einem Disziplinarverfahren komme. Pistorius kündigte bereits an, dass er vorbehaltlich neuer Erkenntnisse keinen seiner besten Offiziere "Putins Spielen opfern" werde.
Der Vorfall sei natürlich "sehr ärgerlich", sagte der Verteidigungsminister. Pistorius betonte allerdings: "Unsere zertifizierten Kommunikationsmittel sind bei korrekter Anwendung sicher." Ob es einen weiteren Abhörfall geben könnte, darüber habe er keine Kenntnis. Das schließe aber nicht aus, dass es einen Abhörfall gebe, der übernächste Woche von Russland veröffentlicht werde.
Gespräch via Webex über Bundeswehr-Server
Pistorius bestätigte, dass das Gespräch über die Plattform Webex geführt wurde. Verwendet worden sei eine Version, die bis zu einer gewissen Geheimhaltungsstufe für den dienstlichen Gebrauch zertifiziert sei. Geklärt werden soll demnach noch, ob es Punkte in dem Gespräch gab, die man eigentlich nicht auf der Plattform hätte besprechen dürfen. Pistorius zufolge wird der Webex-Service über Rechenzentren der Bundeswehr gehostet, nicht involviert seien Server im Ausland.
Zum Zeitpunkt des Gesprächs der Bundeswehr-Offiziere fand in Singapur die Branchenmesse "Singapore Airshow" statt. In diesem Umfeld und den genutzten Hotels hätten "flächendeckend" gezielte Abhöraktionen russischer Geheimdienste stattgefunden, sagte Pistorius. Das Vertrauen der internationalen Partner in Deutschland sei auch nach dem Vorfall ungebrochen. Andere Verbündeten hätten in den vergangenen 20 Jahren ähnliche russische Abhöraktionen erlebt.
- Zum Artikel: Was über die Taurus-Abhöraffäre bekannt ist
Ausschuss: Union will Sondersitzung noch diese Woche
Derweil wird der Ruf nach einer parlamentarischen Aufklärung lauter. Die Unionsfraktion im Bundestag hat laut ihrem Parlamentarischen Geschäftsführers Thorsten Frei eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses wegen der russischen Abhöraktion noch für diese Woche beantragt. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hatte eine Sondersitzung für kommenden Montag in Aussicht gestellt.
Frei erklärte dagegen, er hielte es für unverantwortlich, nach der Veröffentlichung der Mitschnitte noch über eine Woche zu warten, bis entscheidende Fragen gegenüber dem Parlament geklärt werden. Zu Mahnungen, man dürfe sich von Russland nicht spalten lassen, sagte Frei, die Union agiere "ohne Schaum vor dem Mund". Es gebe aber "ein legitimes Aufklärungsinteresse".
Mit Informationen von dpa und AFP
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!