Übermäßige polizeiliche Gewalt wird nur selten aufgearbeitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag vorgestellte Studie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Das Forschungsteam befragte mehr als 3.300 Betroffene und interviewte zudem unter anderem Polizeikräfte, Richterinnen und Richter sowie Opferberatungsstellen. Die Befragten berichteten vor allem hinsichtlich Großveranstaltungen wie Demonstrationen und Fußballspielen von übermäßiger Polizeigewalt.
Konfliktsituationen oder Personenkontrollen wurden ebenfalls oft genannt. Am häufigsten gaben junge Männer an, polizeiliche Gewalt erfahren zu haben. 19 Prozent der Betroffenen berichteten demnach von schweren physischen Verletzungen. Psychische Belastungen spielten aber auch eine Rolle. Wut und Angst vor der Polizei, das Meiden bestimmter Situationen oder Orte sowie der Verlust des Vertrauens wurden hier genannt.
Niedrige Anzeigebereitschaft bei polizeilicher Gewalt
Bei der Anwendung übermäßiger polizeilicher Gewalt spielen laut Studie sowohl "individuelle wie auch situative und organisationale Faktoren" eine Rolle. Mängel in der Kommunikation, Stress, Überforderung, aber auch diskriminierendes Verhalten von Beamtinnen und Beamten können demnach übermäßige Polizeigewalt begünstigen.
Rechtswidrige polizeiliche Gewalt wird laut Studie nur selten angezeigt - die Befragten hatten eine niedrige Anzeigebereitschaft. "Ein Großteil der Verdachtsfälle rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendungen verbleibt dadurch im Dunkelfeld", erklärte Studienautor und Kriminologieprofessor Tobias Singelnstein. Nur 14 Prozent der befragten Betroffenen gab demnach an, dass in ihrem Fall ein Strafverfahren stattgefunden habe.
Häufig Aussage gegen Aussage - und mangelnde Beweise
Strafverfahren zu Verdachtsfällen rechtswidriger Polizeigewalt werden außerdem zu mehr als 90 Prozent von den Staatsanwaltschaften eingestellt, nur in etwa zwei Prozent der Fälle wird Anklage erhoben. Strukturelle Besonderheiten dieser Verfahren sind unter anderem, dass es für Polizeikräfte herausfordernd sein kann, Kolleginnen und Kollegen zu belasten.
Für die zuständigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erweise sich angesichts der alltäglichen engen Zusammenarbeit mit der Polizei eine unvoreingenommene Herangehensweise an solche Verfahren als schwierig, heißt es in der Studie. Einschlägige Verfahren seien zudem oft von einer schwierigen Beweislage gekennzeichnet. Häufig stehe die Aussage der Betroffenen denen der einsatzbeteiligten Polizistinnen und Polizisten gegenüber und es fehle an weiteren Beweismitteln.
Kriminologieprofessor fordert mehr Dokumentation
In anderen Ländern werde transparent statistisch erfasst, wie häufig und in welcher Form die Polizei Gewalt ausübe oder wie häufig Menschen im Kontext von Polizeieinsätzen zu Tode kamen, sagte Singelnstein der Deutschen Presse-Agentur. "So eine Datenbasis, so eine statistische Erfassung wäre schon mal ein erster wichtiger Schritt."
Er beklagte zudem, dass in den Gesetzen nicht explizit stehe, welche "einfache körperliche Gewalt" Polizisten erlaubt sei. "Aktuell wird sehr intensiv über Schmerzgriffe diskutiert und man sieht, dass die verschiedenen Polizeien in den verschiedenen Ländern da unterschiedliche Linien haben", nannte der Wissenschaftler ein Beispiel. "Manche sagen, wir wenden gar keine Schmerzgriffe an, andere haben das sehr stark in die Praxis übernommen."
Forscher: Besondere Definitionsmacht der Polizei
"In den auf eine polizeiliche Gewaltanwendung folgenden Auseinandersetzungen um die Bewertung der Gewalt in Gesellschaft und Justiz erweist sich die polizeiliche Deutungsweise angesichts dieser Umstände als besonders durchsetzungsfähig", fasst das Forschungsteam seine Ergebnisse zusammen. Diese dokumentiere so die besondere Definitionsmacht der Polizei. Das Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
- Zum Artikel: Vom Opfer zum Täter – Beratungsstelle erkennt Muster
Mit Informationen von AFP und dpa
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