Der ukrainische Präsident Selenskyj (l.) mit US-Präsident Trump (M.) und Vize Vance im Oval Office.
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Gleich wird das Treffen im Weißen Haus abgebrochen: der ukrainische Präsident Selenskyj mit US-Präsident Trump und Vize Vance im Oval Office.

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Psychologe über Eskalation im Oval Office – Ehre gegen Würde

Psychologe über Eskalation im Oval Office – Ehre gegen Würde

Das Treffen zwischen Trump, Vance und Selenskyj endete im Eklat. Taktik oder ungewollte Eskalation? Ein Psychologe erklärt, warum zwei völlig unterschiedliche Kommunikationskulturen aufeinanderprallten – und warum Selenskyj keine Chance hatte.

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Das Treffen zwischen US-Präsidenten Donald Trump, seinem Vizepräsidenten J.D. Vance und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Ende Februar im Weißen Haus hat für einen diplomatischen Eklat gesorgt. Die offene Konfrontation vor laufenden Kameras wirft die Frage auf: War dies eine gezielte Strategie oder eine ungeplante Eskalation?

In sozialen Medien spekulierten Nutzer über potenzielle Taktiken vonseiten Trumps gegenüber Selenskyj. Während einige Parallelen zu juristischen Verhandlungstechniken oder sogar nachrichtendienstlichen Methoden zogen, ordnet der Nachrichtendienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom dies im BR24-Interview "als sehr abwegige Theorie" ein. Vielmehr, so zeigt ein BR24-Gespräch mit dem Sozialpsychologen Prof. Mario Gollwitzer von der LMU München, würden hier zwei fundamental verschiedene Kommunikations- und Wertesysteme aufeinanderprallen.

"Ein Kulturdenken, das Trump wahrscheinlich fremd ist"

Gollwitzer erklärt die Dynamik hinter der Eskalation so: Selenskyj argumentiert aus einer "Kultur der Würde" heraus, die universelle Werte wie Menschenrechte und Gerechtigkeit betont. So beschreibt Selenskyj Putin als Kriegstreiber, der nicht nur die ukrainischen, sondern auch die Werte Europas und der ganzen Welt angreift. "Das ist eine Argumentation aus der Kultur der Würde heraus. Also: Wir kämpfen eigentlich alle für Menschenwürde, für soziale Gerechtigkeit und so weiter. Und das ist ein Kulturdenken, das Trump wahrscheinlich fremd ist."

"Wer stark ist, hat das Sagen"

Trump und Vance hingegen operieren aus einer "Kultur der Ehre" heraus, sagt Gollwitzer. In dieser Kultur spielen Macht, Respekt und Dankbarkeit die zentrale Rolle. "Wer stark ist, hat das Sagen. Und wer schwach ist, der hat halt nicht so viel zu sagen, der hat das schlechtere Blatt, der hat die schlechtere Verhandlungsposition. Dem muss man auch nicht zuhören. Aber der, der stark ist, dem gebührt Respekt. Dem gebührt Dankbarkeit, dem gebührt, dass andere zu ihm heraufschauen", beschreibt der Sozialpsychologe diese Denkweise. Selenskyjs Versuch, auf Augenhöhe über Werte und Gerechtigkeit zu sprechen, verpufft daher wirkungslos.

Ein entscheidender Moment in dem Gespräch ist, als Selenskyj die Sinnhaftigkeit weiterer diplomatischer Versuche in den Verhandlungen mit Russland infrage stellt. Dabei spricht er J.D. Vance nicht als Vizepräsident an, sondern als "J.D.", und bemerkt, dass Russland in der Vergangenheit immer wieder Absprachen gebrochen hätte. "Das war, glaube ich, der Punkt, an dem die amerikanischen Gesprächspartner das Gespräch drehen konnten, hin zu: 'Selenskyj, Du bist undankbar, Du bist respektlos. Du akzeptierst nicht, was wir alles schon getan haben für Dein Land.' Und das war ja quasi dann ab dem Moment das Hauptmotiv", analysiert Gollwitzer.

Warum Selenskyj keine Chance hatte

Ob diese Eskalation geplant war oder sich aus den gegensätzlichen Kommunikationskulturen ergab, bleibt offen. Allerdings kann sich Gollwitzer in beiden Fällen nur schwer ein Szenario vorstellen, in dem es zu einem konstruktiven Ende des Gespräches kommt. Selbst dann nicht, wenn der ukrainische Präsident noch stärker seinen Respekt gegenüber der US-Regierung bekundet hätte und nicht zu einer inhaltlichen Richtigstellung übergegangen wäre. "Selbst das hätte ja wieder ein Einfallstor geöffnet, um zu sagen: 'Alles klar. Dann haben wir jetzt klargestellt, wer hier der Starke und Schwache ist und auf wessen Beteiligung wir jetzt am Verhandlungstisch möglicherweise verzichten können.' Also mir ist ehrlich gesagt nicht klar, wie dieses Gespräch jemals rein konstruktiv hätte enden können."

Warum Trumps Kommunikationsstil für manche funktioniert

Für Trump – das sagt er selbst – ist jede Interaktion eine Verhandlungssituation. Seine direkte und konfrontative Rhetorik kommt bei vielen Menschen gut an. Trump nutzt gezielt Emotionen und einfache Freund-Feind-Schemata. Ein weiterer Faktor ist seine bewusste Abkehr von diplomatischen Konventionen. "Viele Menschen empfinden klassische politische Sprache als gekünstelt. Trumps Stil wirkt für sie echter", sagt Gollwitzer. Gerade in Zeiten geopolitischer Unsicherheit erscheint eine Führungspersönlichkeit, die klare Stärke demonstriert, besonders attraktiv.

Konsequenzen für die Zukunft

Die US-Diplomatie wird sich weiter in Richtung einer Deal-Mentalität entwickeln, in der Verhandlungen als Machtrivalität verstanden werden. "Diplomatie wird nicht verschwinden, aber sie wird sich verändern", sagt Gollwitzer. Wer mit Trump verhandelt, müsse verstehen, wie er Macht und Respekt interpretiert. Für die Ukraine und Europa bedeutet das: Gespräche mit den USA werden künftig noch härter geführt werden.

Bildrechte: Mario Gollwitzer / Fotograf Stephan Höck
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Sozialpsychologe Prof. Dr. Mario Gollwitzer von der LMU München

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