Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD nach einem Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Damit hat das Gericht am Montag in Münster ein Urteil aus der Vorinstanz bestätigt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das OVG ließ zwar keine Revision zu. Die AfD kann aber einen Antrag auf Zulassung am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stellen.
Rechtsextremer Verdachtsfall: Das bedeutet das Urteil
Nach der OVG-Entscheidung darf das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD weiterhin als Verdachtsfall einstufen. Damit ist es dem Verfassungsschutz gestattet, auch weiter nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung der Partei bundesweit einzusetzen.
Der Verfassungsschutz habe zuvor bei seinen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit gewahrt, erklärte das Gericht bei der Urteilsbegründung. Das Vorgehen sei mit dem Grundgesetz, dem Europarecht und dem Völkerrecht vereinbar. Die Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurden schon vor dem OVG-Urteil von den Verfassungsschutzbehörden dieser Bundesländer als "gesichert rechtsextrem" eingestuft.
Richter: Wehrhafte Demokratie darf kein "zahnloser Tiger" sein
Die Befugnisse des Verfassungsschutzes seien "keineswegs grenzenlos weit", aber eine wehrhafte Demokratie dürfe auch kein "zahnloser Tiger" sein, betonte Gerald Buck, Vorsitzender Richter des 5. Senats, in der Begründung der Entscheidung.
Vor allem bei der Beobachtung einer besonders geschützten politischen Partei müsse der Verfassungsschutz "hinreichend verdichtete Umstände" vorlegen können, die darauf hinwiesen, dass eine Gruppierung möglicherweise Bestrebungen gegen die freiheitliche Grundordnung verfolge. Das sah der Senat im Fall der Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall gegeben.
Verfassungsschutz: "Gute Gründe für Einstufung als Verdachtsfall"
BfV-Präsident Thomas Haldenwang begrüßte das Urteil. Es sei ein "Erfolg für den gesamten Rechtsstaat, für die Demokratie und für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagte Haldenwang in Köln. "Es gab und gibt für uns gute Gründe für die Einstufung als Verdachtsfall."
Es sei jedoch gesetzlich geboten, in regelmäßigen Intervallen die Einstufung erneut zu prüfen, sagte Haldenwang. Das sei eine "ergebnisoffene Prüfung". Es könne dahin gehen, dass sich der Verdacht nicht bestätige. Es könne auch dahin gehen, dass der Verdacht aufrechterhalten bleibe, aber weitere Prüfungen erforderlich seien. "Oder es kann eben in letzter Konsequenz auch eine Hochstufung zum erwiesenen Beobachtungsobjekt erfolgen." Was im konkreten Fall geschehe, hänge auch entscheidend von dieser neuen Bewertung unter Einbeziehung der Urteilsgründe des OVG Münster ab.
Im Video: Urteil - AfD bleibt rechtsextremistischer Verdachtsfall
Herrmann: AfD-Urteil ist richtungsweisend - auch für Bayern
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bezeichnete das Urteil als starkes Zeichen einer wehrhaften Demokratie. "Das Urteil bestätigt, dass die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern die extremistischen Strömungen innerhalb der AfD zu Recht genau im Blick haben. Die Entscheidung stärkt somit auch die künftige Arbeit unserer Verfassungsschützer", sagte er der Nachrichtenagentur dpa in München.
"Die Entscheidung ist auch im Hinblick auf die weiteren anhängigen Klageverfahren richtungsweisend", so Herrmann. Angesichts der Entscheidung des OVG in Münster sei er "zuversichtlich, dass die AfD bei dem anhängigen Klageverfahren auch in Bayern unterliegen wird und der Verfassungsschutz sie weiterhin beobachten und hierüber berichten darf".
Innenministerin Faeser begrüßt AfD-Urteil
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte das Gerichtsurteil. "Das heutige Urteil zeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind", sagte Faeser in Berlin. "Unser Rechtsstaat hat Instrumente, die unsere Demokratie vor Bedrohungen von innen schützen", teilte sie weiter mit. "Genau diese Instrumente werden auch eingesetzt – und sind jetzt erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden."
Faeser betonte, dass der Verfassungsschutz seine Entscheidungen selbstständig treffe. "Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat einen klaren gesetzlichen Auftrag, gegen Extremismus vorzugehen und unsere Demokratie zu schützen – dabei arbeitet es eigenständig", so die Ministerin.
AfD kritisiert Verfahren: "Grenzt an Arbeitsverweigerung"
Die AfD gab nach dem Urteil an, den Rechtsstreit vor das nächste höhere Gericht zu tragen. Die Anwälte der Partei hatten bereits vor dem Urteil angekündigt, vor die nächste Instanz ziehen zu wollen. Damit soll das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Entscheidung des OVG auf Rechtsfehler prüfen.
AfD-Vize Peter Boehringer kritisierte mit Blick auf das Verfahren eine "ungenügende Sachverhaltsaufklärung". "Hunderten Beweisanträgen nicht nachzugehen grenzt an Arbeitsverweigerung wie schon in der Vorinstanz, was ja gerade der Hauptgrund für die Revision gewesen war."
AfD gegen Verfassungsschutz: Rechtsstreit seit 2019
Der Rechtsstreit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz läuft bereits seit mehreren Jahren. Nach einer erstmaligen Einstufung der Partei als sogenannter Prüffall im Jahr 2019 wurde die Gesamtpartei schließlich im März 2021 als Verdachtsfall des Rechtsextremismus hochgestuft. Die Partei ging dann in die Berufung – das Verwaltungsgericht Köln wies im März 2022 allerdings die Klage der AfD ab. Nun bestätigte das OVG diese Entscheidung.
Mit Informationen von AFP, Reuters und dpa
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