Auf einer PEGIDA-Demonstration wird neben Deutschlandfahnen auch ein Kreuz mitgetragen.
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Auf einer PEGIDA-Demonstration wird neben Deutschlandfahnen auch ein Kreuz mitgetragen. (Symbolfoto)

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Oft schwer erkennbar: Rechtsradikales Gedankengut in Kirchen

Oft schwer erkennbar: Rechtsradikales Gedankengut in Kirchen

Auch Christen vertreten rechtsradikale Ideen. Da sind die Kirchen ein Spiegelbild der Gesellschaft. Nach außen ist solches Gedankengut oft schwer erkennbar. In Bayern werden wenige Fälle gemeldet – was aber nicht heißt, dass es sie nicht gibt.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Es ist einer der wenigen Fälle der vergangenen Jahre, die tatsächlich vor Gericht gelandet sind: Der evangelische Pfarrer Olaf Latzel aus Bremen hatte in einem Eheseminar im Oktober 2019 gesagt, Homosexualität sei eine "Degenerationsform von Gesellschaft". Er hatte auch vor einer "Homo-Lobby" gewarnt und Homosexuelle als "Verbrecher" bezeichnet.

Hass gegen Schwule: Pastor wegen Volksverhetzung angeklagt

Diese Ansprache war zeitweise auch auf dem Youtube-Kanal des Pastors zu sehen – die Staatsanwaltschaft Bremen hatte Latzel daraufhin angeklagt, wegen Volksverhetzung. Im Mai dieses Jahres ist Latzel vor dem Landesgericht Bremen freigesprochen worden. Doch die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt – der Fall ist noch nicht abgeschlossen.

Nach Einschätzung von Martin Becher, sind Fälle, in denen ein Pfarrer oder Gemeindemitglied homophobes, radikales oder menschenfeindliches Gedankengut verbreitet, eher die Ausnahme. Becher ist Geschäftsführer des Bayrischen Bündnisses für Toleranz und steht mit vielen Kirchengemeinden in Kontakt. Gemeldet wird ihm etwa ein Fall pro Jahr in Bayern.

Pfarrer verwenden "das N-Wort" oder hetzen gegen Flüchtlinge

Hin und wieder würden Pfarrer "das N-Wort" benutzen und es auch in den Gemeindebrief schreiben, sagt Becher. Ein Pfarrer "in einer größeren Stadt Bayerns" habe in der Flüchtlingskrise "mehr oder weniger zugespitzt" formuliert, "also eigentlich kann man die Leute auch ertrinken lassen". Und schon vor neun Jahren hätten in einem katholischen Priesterseminar junge Männer, die Priester werden wollten, den Hitlergruß gezeigt, erinnert Becher. Diese seien "dann aber auch suspendiert worden".

Es sind alles Fälle, die medial bekannt geworden sind. Und es sind, erklärt Martin Becher, auch Fälle, in denen die Gemeindemitglieder oder Pfarrgemeinderäte meist schon jahrelang mit der Problematik konfrontiert waren, bevor überhaupt etwas an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Das hänge mit dem sozialen Gebilde von Gemeinden zusammen, egal ob evangelisch oder katholisch: "Das sind in der Regel Menschen, die nicht nur ein, zwei, drei Jahre miteinander zu tun haben, sondern insbesondere wenn es im kleinstädtischen oder ländlichen Raum ist, da weiß man, man hat oft 20, 30 Jahre miteinander zu tun."

Kirchengemeinden thematisieren Fällen selten öffentlich

Man sei daher bemüht, langfristig gut miteinander auszukommen, erläutert Becher. "Das heißt, es wird mutmaßlich erstmal viel geschluckt, man kommentiert etwas nicht. Deshalb ist die Bereitschaft von Kirchengemeinden, die Dinge offen oder gar öffentlich zu thematisieren, glaub ich, auch nicht so groß."

In welchen Gemeinden menschenfeindliches oder gar rechtsextremes Gedankengut seine Runden zieht, lässt sich daher, so Martin Becher, schlecht erfassen. Auch gibt es keine offensichtlichen Zusammenhänge, zum Beispiel zwischen eher konservativen Gemeinden und rechtsradikalen Tendenzen. Das sagt Anna-Maria Hoerlin. Sie ist Beraterin im Fachbereich Weltanschauungsfragen der Erzdiözese München und Freising.

Rechtsradikale Ideen nehmen zu - in Kirche und Gesellschaft

Hoerlin sieht eine eher allgemeine Entwicklung: Die Gemeinden seien ein Abbild der Gesellschaft und so wie in der Gesellschaft rechtsradikale oder rechtspopulistische Ideen zunehmen würden, täten sie dies auch in den Gemeinden. Gefährlich sei es, dass rechtsradikale Ideen häufig nicht klar erkennbar, sondern mit anderem Gedankengut durchmischt seien. Und: Es gebe auch keine klar definierte Gruppe mehr, von der man sagen könne, dass sie solches Gedankengut verbreite, erklärt Hoerlin.

Ähnlich sieht das auch die Juristin und Publizistin Liane Bednarz, die sich in Büchern mit der AfD und der Neuen Rechten beschäftigt hat. Es gebe eine kleine Gruppe unter den konservativen Katholiken, "die Grenzgänger sind und Feindbilder, die von rechts kommen, adaptieren und übernehmen", sagt sie im Theo.Logik-Interview auf Bayern 2. Als Beispiele nennt Bednarz die "Dämonisierung all dessen, was irgendwie mit Gender zu tun hat, oder auch das Herbeifantasieren einer Islamisierung".

Gleichzeitig gebe es Akteure innerhalb der Neuen Rechten, "die ganz gezielt auch auf katholische Themen setzen und immer wieder auch den Besuch der Messe betonen", so Bednarz. Auf diese Wiese würden aus beiden Richtungen diese Kreise zusammenwachsen.

Politische Ideologien durch katholische Tradition verschleiern

Liane Bednarz sieht bei Akteuren der neurechten Szene, die sich auf bestimmte katholische Tradition beziehen, vor allem ein strategisches Interesse. Es gehe ihnen darum, "die eigenen politischen Positionen einfach nur als wertekonservativ darzustellen, womöglich eben christlich oder katholisch in einer speziellen Form".

Auf diese Weise hätten Neurechte die Möglichkeit, auf bestimmte kirchliche Sätze, die mal irgendwann galten oder die mal irgendwann irgendein Papst geäußert hat, sich zu beziehen und so zu verschleiern, was eigentlich ihre politischen Ziele sind, was ihre politischen Hintergründen und Ideologien sind", so Bednarz.

  • Zum Artikel: "So unterwandern Rechtsextreme die Esoterik-Szene"

Corona-Krise als Brandbeschleuniger

Die Corona-Krise habe, was den Einzug von Verschwörungstheorien und rechtem Gedankengut in Kirchengemeinden betrifft, auf jeden Fall als Brandbeschleuniger gewirkt, betont Anna-Maria Hoerlin: "Gerade wir in der Beratungsstelle sind häufig damit konfrontiert. Menschen wenden sich häufig an uns, die sagen, plötzlich haben wir diese rechtsradikalen Verschwörungserzählungen beim Abendbrottisch mit dabei."

Eine dieser Theorien sei etwa diejenige vom Bevölkerungsaustausch. Sie besagt, dass die Einwanderung von Nicht-Weißen und Muslimen nach Europa absichtlich und strategisch herbeigeführt wird – mit dem Ziel, die Weiße Mehrheitsbevölkerung zu ersetzen.

Rechtsradikale Tendenzen oft schwierig zu erkennen

Je weniger klar rechtsradikale Tendenzen zu erkennen sind, desto schwieriger ist es, sich von ihnen abzugrenzen. Das beobachtet auch Claudio Gnypek. Er ist Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde Königssteele in Essen. Durch den gleichnamigen Stadtteil Steele zieht seit Jahren regelmäßig eine rechte Bürgerwehr, berichtet Gnypek:

"Sie nennen sich Steeler Jungs, das steht auf ihren Schwarzen T-Shirts. Aber da waren keine Sprüche, die haben auch nichts skandiert, keine Transparente gehabt. Das heißt, die geben sich nach außen hin unpolitisch. Aber wenn man so ein bisschen recherchiert hat, geguckt hat auf ihrer Facebookseite, dann ist man sehr schnell darauf gekommen: Das sind Rechtsextreme."

"Wo Menschen Demokratie infrage stellen, muss Kirche Flagge zeigen"

Relativ schnell habe sich dann im Stadtteil auch ein Bündnis gegen Rechts formiert, erzählt Gnypek – mit dem Titel: Mut machen, Steele bleibt bunt. Die Pfarrerin und der Pfarrer vor Ort seien sofort dabei gewesen – doch es wurde schwierig, als es darum ging, ob die Kirchengemeinde als Ganze mitmacht und auch ihre Räume für Informations- und Diskussionsveranstaltungen zur Verfügung stellt:

"Da gab es auch einzelne, die gesagt haben, wir wollen uns als Gemeinde nicht politisch äußern", erzählt Gnypek. "Und das finde ich schwierig, weil ich finde, gerade bei solchen Fragen, wo es Menschen gibt, die unsere Demokratie infrage stellen und wo es um Menschen geht, die auch Menschen ganz konkret im Stadtteil bedrohen, da muss Kirche Flagge zeigen und sich sehr deutlich positionieren." Mittlerweile sei die Kirchengemeinde in Steele aber sehr aktiv in das Bündnis gegen Rechts eingestiegen.

Kirchengemeinden in Bayern zögern, sich politisch zu engagieren

Ähnliches beobachtet Martin Becher für Bayern: Auch hier seien viele Gemeinden zögerlich, wenn es darum gehe, sich politisch zu engagieren. Trotzdem gebe es mittlerweile viele Christen, die in den Bündnissen gegen Rechts aktiv seien. Martin Becher, aber auch Anna-Maria Hoerlin mahnen jedoch, nach wie vor wachsam zu sein.

Denn der eingangs erwähnte Fall Olaf Latzel kam wohl auch deshalb erst spät vor Gericht, weil seine gesamte Kirchengemeinde hinter ihm stand – und auch noch steht. Latzel war nach der Anklage, kurzzeitig vom Dienst suspendiert worden, seit mehr als einem Jahr darf er aber schon wieder predigen. Dafür sei man "sehr dankbar", heißt es auf der Internetseite der Kirchengemeinde.

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