Die Kampagne liegt mehr als 20 Jahre zurück, aber sie wirkt bis heute nach. Ende der 90er Jahre hat die Union gegen Pläne der damaligen rot-grünen Bundesregierung Unterschriften gesammelt, die doppelte Staatsbürgerschaft auszuweiten. Eine Aktion, die seinerzeit im hessischen Landtagswahlkampf eine zentrale Rolle spielte und die Debatte bundesweit polarisierte. Von einer "schlimmen Stimmungsmache" spricht die Abgeordnete Filiz Polat bei dieser Bundestagssitzung im Rückblick – "schmerzvoll für viele Einwanderungsfamilien".
Zehn Millionen Menschen ohne deutschen Pass
Die Bemerkung der Grünen-Politikerin zeigt, dass die Heftigkeit der Debatten vergangener Tage Spuren hinterlassen hat. Daran gemessen verlief am Donnerstag die Diskussion im Parlament eher sachlich, zumindest anfangs: Bundesinnenministerin Nancy Faeser erinnert zu Beginn der Aussprache daran, dass von den mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland über zehn Millionen keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Die Hälfte dieser Gruppe lebt nach den Worten der SPD-Politikerin bereits seit mehr als zehn Jahren in Deutschland. "Sie arbeiten hier, sie zahlen Steuern, sie engagieren sich im Sportverein – kurzum: Sie sind hier zuhause."
Ampel will Einbürgerungen schneller ermöglichen
Und doch, so die Innenministerin, könnten diese Menschen mangels deutscher Staatsangehörigkeit "nicht mitbestimmen, wer im Landtag oder im Bundestag sitzt". Ein Grund dafür, warum die Ampel-Koalition Einbürgerungen erleichtern will.
In Zukunft soll es nach fünf Jahren möglich sein, einen deutschen Pass zu bekommen. Bisher müssen dafür mindestens acht Jahre vergangen sein. Wer besonders gut integriert ist, kann nach den Ampel-Plänen künftig schon nach drei Jahren eingebürgert werden. Davon sollen zum Beispiel Menschen profitieren, die sehr gut Deutsch sprechen, im Job mit besonders guten Leistungen auffallen oder sich ehrenamtlich engagieren. "Ein echtes Fortschrittsprojekt", findet die Ministerin.
CSU sieht Deutschland in "Migrationskrise"
Eine Einschätzung, der sich die Union als größte Oppositionsfraktion im Bundestag nicht anschließt. Das macht die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz deutlich. Sie sieht Deutschland aktuell in einer "schweren Migrationskrise" und kritisiert, dass die Koalition in dieser Lage "weitere Anreize für die ungesteuerte Zuwanderung nach Deutschland schafft". Eine Einbürgerung müsse am Ende des Integrationsprozesses stehen, nicht an dessen Anfang, so Lindholz.
FDP verteidigt Ampel-Pläne zur Einbürgerung
Benjamin Strasser, parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium, widerspricht dieser Argumentation. Der FDP-Politiker verweist darauf, dass die Herabsenkung der Mindestaufenthaltszeit auf drei Jahre ja gerade für diejenigen gedacht sei, die bereits gut integriert seien. Ein weiterer wichtiger Punkt für Strasser: "Eine Einbürgerung soll künftig nur dann möglich sein, wenn die Menschen von ihrer eigenen Arbeit leben können." Allerdings gelten hier Ausnahmen – etwa für sogenannte Gastarbeiter, die in der Nachkriegszeit nach Deutschland kamen.
Wenig überraschend lässt die AfD kein gutes Haar an den Ampel-Plänen. "Deutschland ächzt unter Rekord-Zuwanderung", sagt der Abgeordnete Gottfried Curio. Er nennt das Vorhaben ein "Aufbauprogramm für Parallelgesellschaften" und kritisiert insbesondere den Plan, die doppelte Staatsbürgerschaft künftig generell zu ermöglichen. Schon jetzt dürfen Menschen in Deutschland mehrere Pässe besitzen – allerdings ist dies auf bestimmte Gruppen beschränkt, beispielsweise auf Bürger aus anderen EU-Ländern.
CDU wirft Ampel Ablenkungsmanöver vor
Die anderen Fraktionen nehmen die Ausführungen des AfD-Politikers recht ungerührt zur Kenntnis. Unruhig wird es aber im Plenarsaal, als Philipp Amthor ans Rednerpult tritt. Der CDU-Abgeordnete nutzt die Debatte für eine Generalabrechnung mit der Koalition, die seiner Ansicht nach von einer "bunten Multikulti-Welt" träumt. Dabei sei die Realität so, dass "die irreguläre Migration explodiert". Und Amthor setzt noch einen drauf: Die Aktuelle Stunde zum Staatsbürgerschaftsrecht, angesetzt von der Koalition, sei nichts anderes als eine "Therapiestunde" für die Ampel. Ein Manöver, um vom Streit über das Heizungsgesetz abzulenken.
Damit mündet die Diskussion im Bundestag am Ende in parteipolitischer Polemik, und die Sache selbst rückt in den Hintergrund: Dirk Wiese von der SPD bezeichnet Amthors Einlassungen später als "Klamauk-Debattenbeitrag". Es sei "schäbig", wie die Union die Debatte über die geplante Reform des Einbürgerungsrechts führe. Und so gewinnt an diesem Tag im Parlament doch noch eine migrationspolitische Tonlage die Oberhand, die manche schon für überwunden hielten.
Im Audio: Bundesregierung verständigt sich auf Einbürgerungsrecht
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